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Warum ALG II keine Lösung ist

Die bittere Lage der vielen Kleinunternehmen und Solo-Selbstständigen kenne ich aus eigener Erfahrung nur zu gut. Immer wieder werde ich gefragt, warum mein Protest gegen die Grundsicherung so vehement ist. Rede ich da eine supergute Sache schlecht? Ich sitze dann Stunde um Stunde und erkläre, warum ALG II für Solo-Selbständige einfach nicht passt. Hier Argumente für alle, die auch erklären müssen, warum Hartz IV keine Lösung ist.

Dies ist ein „Ja, aber“-Post. Ein Artikel, bei dem das „Ja, aber“ alles zuvor Gesagte ad absurdum führt und als ungültig markiert. Auch, wenn es in dieser Wucht nie gegen das vor dem „Ja, aber“ Stehende gedacht war. Auch, wenn das vor dem „Ja, aber“ Stehende grundsätzlich wahr und richtig ist und Bestand hat.

Darum gleich vorweg: Es ist sehr gut, dass wir in einem Land leben, in dem theoretisch niemand hungern muss. In dem es theoretisch ein dicht gewebtes soziales Netz gibt, in dem theoretisch alle aufgefangen werden, die am Abgrund stehen, in dem theoretisch Würde zählt. Theoretisch. Denn die Corona-Krise hebt wie ein scharfer, brennender Wind hervor, wogegen sich die Ärmsten der Armen nie zu wehren wussten. Was die, die seit Jahren in Not sind, nie artikulieren konnten.

Jetzt sind es auch Künstlerinnen, Journalisten, Fotografinnen, Musiker, die es trifft. Leute, die laut trommeln können, sich Gehör verschaffen, Missstände aufzeigen und uns klarer denn je machen:

Hartz IV – ALG II – Grundsicherung: viele Worte, ein großer Mist.

Zumindest, wenn es um die Bedarfe von Solo-Selbstständigen und Freien geht. Waren diejenigen dieser Berufsgruppen, die bereits in der Vergangenheit ALG II bezogen, immer leise gewesen und hatten den Empfang von Transferleistungen eher verschwiegen und diskret abgewickelt, um nicht den Nimbus der erfolgreichen Journalistin, des hippen Filmemachers, der gefragten Sängerin oder des gehypten Fotografen zu verlieren, so betrifft es nun so breite Gesellschaftsschichten, dass sich niemand mehr schämt, dass alle zusammenstehen und laut rufen: so nicht!

Wenn sie denn überhaupt ALG II bekommen… und behalten dürfen… Denn für Solo-Selbstständige gibt es rund um Hartz IV einige Klippen, Hürden und Unglaublichkeiten, die ich hier dem geneigten Publikum nur mal andeuten will.

Ja, natürlich gibt es auch jene, für die es gut passt, für die die Grundsicherung die Rettung war und ist, denen mit ALG II zumindest ein bisschen geholfen ist. Aber bei Hartz IV gibt es auch: jede. Menge. Probleme. – Vor allem: für Solo-Selbstständige. Wir Grüne trommeln im Landtag seit Beginn der Krise: Hilfe für diese vergessene Gruppe muss her! Fiktiver Unternehmerlohn wäre eine Lösung. Unbürokratisch, betrugssicher. Aber die CSU-FW-Regierung will nicht. Doch die Front weicht auf, zumindest bei der CSU. An den FW sind wir dran.

Sie kennen Hubert Aiwanger persönlich? Leiten Sie ihm folgende Informationen zu seiner Lieblings-Hilfe, dem ALG II, gerne weiter!

  • Fakt ist, man erhält maximal 432€ – plus Kosten der Unterkunft. Im Monat. Junge Menschen erhalten weniger. Kinder erhalten weniger. Dinge wie das bayerische Familiengeld, das ich (als Abgeordnete!) für meine jüngste Tochter in voller Höhe erhalte, werden auf das ALG II angerechnet – und der Bezug wird gekürzt.
  • Fakt ist, dass einige Solo-Selbstständige, z.B. solche mit eigener freiwilliger Arbeitslosenversicherung, gar keinen Anspruch auf ALG II haben. Manche Arbeitslosenversicherung zahlt nämlich nur, wenn man die Geschäftstätigkeit beendet, Insolvenz anmeldet und: die Soforthilfen zurückzahlt. Fragt sich nur, von welchem Geld…
  • Fakt ist, dass beim Hochfahren jeder Hinzuverdienst bei Solo-Selbstständigen erst hinterher aufs ALG II angerechnet wird und horrende Rückzahlungen möglich sind.
  • Fakt ist, dass Arbeiten im ALG II-Bezug für Solo-Selbstständige nur unter tageweiser Abmeldung geht, diese Abmeldung zum Arbeiten aber nur wenige Tage im Jahr möglich ist, zu wenige, um von dem Geld zu leben, wenn man frei arbeitet.
  • Fakt ist, dass bei der Berechnung des Hinzuverdiensts Dinge wie eingenommene Umsatzsteuer (dabei muss man die ja abführen!!) mit angerechnet werden, und dass die Sachbearbeitung entscheidet, welche Ausgaben für den Solo-Selbstständigen und seinen Betrieb wichtig sind, und daher als Betriebsausgaben anerkannt werden. Dass also nicht „Gewinn“ mit dem ALG II verrechnet wird.
  • Fakt ist, dass auch 60.000 angesparte Euro für einen Solo-Selbständigen, der vor der Rente steht und keinerlei gesetzlichen Rentenanspruch hat, nicht viel Geld ist: 65 bis 95 Jahre – also 30 Jahre Zeit, für die das Geld reichen muss. 60.000 geteilt durch 30 Jahre: 2.000€/Jahr. Wenig Geld.
  • Fakt ist, dass die Prüfung der Bedarfsgemeinschaft bleibt, auch mit Prüfung des „Einkommens“ beispielsweise Pflegebedürftiger oder schulpflichtiger Kinder.

Ich könnte jetzt noch stundenlang weitermachen. Es läuft auf ein „besser als nichts, aber es passt nicht“ hinaus.

Jobcenter sind sehr bemüht. Machen aber die Gesetze nicht.

Die Jobcenter sind übrigens wohl sehr bemüht, verstehen, dass die Solo-Selbstständigen, die da kommen, alle einen Beruf haben und keine Maßnahmen brauchen, verstehen, dass es eine Sondersituation ist. Verstehen, dass Hilfe nötig ist. Wie so oft in dieser Krise macht die Verwaltung also ihren Job. Die Regierenden schlafen!

Wenn Ihr Unglaubliches erlebt habt auf Eurem Weg, wenn Ihr überlebt, aber nicht gut, schreibt mir. Bitte macht in Eurer Mail deutlich, ob ich Eure Geschichte (anonymisiert) veröffentlichen darf oder nicht. Ich sammle hier unten Berichte und update ab und an. Leitet den Link zu diesem Artikel auch gerne weiter.

Oh, und schreibt auch an Hubert Aiwanger! Sprecht ihn auf seine Rede vom 9.7. an, in der er Hilfesuchenden unterstellt, es ginge ihnen nur um Gewinnmaximierung! Stellt Petitionen an den Bayerischen Landtag und fordert Landes-Hilfsprogramme mit fiktivem Unternehmerlohn nach Vorbild von NRW, nach Vorbild von Baden-Württemberg!


Wer in Bayern lebt, dem bleibt nur der Weg zum Amt. Das ist beschämend. Aber bittere Realität.

„Besser als nichts“ sagen die einen, „Auf geht’s“ sagen die anderen. Und wieder andere haben sich längst einen neuen Job gesucht. Sie sind erst mal verloren für den „Mittelstandsmotor“, sind weg als flexible Selbstständige, die eine gesunde Wirtschaft so dringend braucht, auch in Bayern.

Ich persönlich lehne ALG II nicht grundsätzlich ab. Ich habe selbst als junge Mutter und Studentin einmal staatliche Transferleistungen bezogen, als es noch nicht Hartz IV hieß. Ich war froh, dass es das gab. Wir Grüne fordern allerdings generelle, grundlegende Reformen, manche sagen, wir wollen Hartz IV abschaffen, ich sage, wir wollen die Grundsicherung ersetzen durch Garantiesicherung.

Für Solo-Selbständige fordern wir Grüne ein bundesweites Existenzgeld für Selbstständige in Not von monatlich rund 1200 Euro.

Wer sich zu ALG II, Grundsicherung, Hartz IV gerne informieren will, für den gibt es hier Orientierung:


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