Antrag „Bayern trägt Verantwortung! – Unabhängige Anlaufstelle für Nachkommen der Opfer von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut schaffen“
Der Landtag wolle beschließen:
Die Staatsregierung wird aufgefordert, eine zentrale, institutionsübergreifende, unabhängige Beratungsstelle zur Klärung von Provenienzansprüchen zu schaffen, an die sich Privatpersonen wenden können, die Unterstützung und Hilfestellungen benötigen, um ihre Ansprüche rechtlich geltend zu machen.
Aufgabe dieser Stelle soll, wie bereits in den Washingtoner Prinzipien gefordert, die Beratung von Nachkommen mutmaßlicher Opfer von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut, die proaktive Vernetzung der betroffenen Personen mit den relevanten Stellen in Bayern1 und die wissenschaftlich unabhängige Begleitung dieser Fälle sein. Zu den Aufgaben dieser Stelle gehören auch das Erarbeiten einvernehmlicher Lösungen sowie die Begleitung von Fällen vor dem Schiedsgericht in Frankfurt am Main, das im kommenden Jahr seine Arbeit aufnehmen wird.
Bei der Besetzung der Anlaufstelle sollte neben fachlicher und wissenschaftlicher Kompetenz auch die Einbindung von Sachverständigen mit jüdischem Hintergrund sowie Nachfahren von Opfern der NS-Verfolgung berücksichtigt werden.
Begründung:
Im März 2024 wurden im Rahmen eines kulturpolitischen Spitzengesprächs von Bund und Ländern Maßnahmen beschlossen, um die Umsetzung der Washingtoner Prinzipien zur Restitution von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut voranzutreiben. Bayern und die Bundesrepublik stehen geschlossen hinter dieser internationalen Vereinbarung von 1998. Im vergangenen Oktober wurden die kommenden Schritte von Bund und Ländern konkretisiert und die Einrichtung einer Schiedsgerichtsbarkeit gemeinsam auf den Weg gebracht. Alleine damit ist es nicht getan. Bayern muss seiner Verantwortung gerecht werden und die nötige Hilfestellung für Betroffene und deren Nachkommen leisten, damit – wenn auch spät – endlich Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen gewährleistet wird,
Die Nachkommen der Opfer leben meist nicht in Deutschland, haben oft weder Kenntnisse in deutscher Sprache noch in bayerischen Verwaltungsstrukturen. Dies baut bei der Suche nach verschollenem Kulturgut ebenso wie bei einer etwaigen der Durchsetzung von Rechten, wo keine einvernehmlichen Lösungen gefunden werden, sprachliche, rechtliche und menschliche Hürden auf. Im Land der Täter ist es an der Zeit, die moralische Verpflichtung aus der Vergangenheit anzunehmen, und die Opfer und Hinterbliebenen endlich vollumfänglich zu würdigen, ihrem Suchen nach Eigentum, ihren Fragen zu mutmaßlich geraubten Kulturgütern endlich mit Wertschätzung zu begegnen. Eine zentrale Anlaufstelle, die Betroffene berät und begleitet, sie im bundesrepublikanischen Bürokratie-Dschungel an die Hand nimmt und innerhalb Bayerns Leitlicht ist, ist
notwendig, um diesen Hindernissen entgegenzuwirken. Bayern wäre damit bundesweit Leuchtturm und Vorbild und würde ein Zeichen setzen im verantwortungsvollen Umgang mit den Opfern, den Angehörigen und den Hinterbliebenen der Greueltaten der NS-Diktatur – endlich auch beim Thema NS-Raubgut.
Ein Beispiel für die Dringlichkeit dieser Maßnahmen zeigt der Fall der Familie Bernheimer, die von einem bayerischen Museum hörte, dass die Beweislast bei ihnen liege, obwohl das Museum in die Enteignung („Arisierung“) und den Kunstraub involviert war. Solche Vorkommnisse dürfen sich nicht wiederholen.
Die „Monuments Men“, eine Gruppe von 345 Männern und Frauen, konnte nach dem Krieg mit sehr begrenzten Mitteln in kurzer Zeit mehr als fünf Millionen Einzelstücke an unrechtmäßig entzogenem Kulturgut identifizieren und restituieren. Diese Leistung zeigt, dass auch heute entschlossenes Handeln möglich ist, wo ein Wille besteht.
Die Restitution von Kunstwerken, die ihren rechtmäßigen Besitzerinnen und Besitzern durch die Nationalsozialisten entzogen wurden, ist ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Angesichts der zunehmenden Normalisierung von Antisemitismus in Deutschland und Bayern ist es unerlässlich, historische Unrechtmäßigkeiten konsequent aufzuarbeiten und diesen Diskurs in die Gesellschaft zu tragen.
Eine unabhängige Institution sollte Zugang zu allen relevanten Archiven erhalten und eine zentrale Schnittstelle für alle innerhalb von Institutionen bereits erfolgreich an Provenienzen Forschenden sein. Die Einrichtung zentraler Kontaktstellen, zuletzt vom US Department of State2 gefordert und von der Bundesregierung unterstützt, muss zügig umgesetzt werden.
1 Archive, Bezirke, Kommunen, Institutionen, Forschungsstellen sowie Ansprechpersonen innerhalb vorgenannter Institutionen
2 https://www.state.gov/washington-conference-principles-on-nazi-confiscated-art/