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Wenn wir „Schule in der Pandemie“ sagen und den Umgang mit Menschen meinen. Ein Gastbeitrag von Susanne Weiß.

Vor ziemlich genau einem Jahr hatte ich den Gemeinsamen Elternbeirat und die Elternvertretungen der Schulen im Münchner Osten zu einem Runden Tisch eingeladen. Einiges lief nicht rund und vieles ist auch inzwischen Besser. Die Behandlung junger Menschen in der Pandemie im Allgemeinen und der Umgang mit Bildung im Besonderen zeigt aber eine Prioritätensetzung der CSU-FW-Regierung, die beschämend ist. – Zu diesem Thema hier ein Gastbeitrag von Susanne Weiß. Sie hat diese Zeilen aus ihrer Perspektive als Mutter zweier halbwüchsiger Kinder geschrieben. Sie ist zudem Fraktionssprecherin der GRÜNEN im Bezirksausschuss 15 Trudering-Riem. – Mich bewegen diese Worte total. Nicht zuletzt, weil es auch um Musik als Sternstunde dessen, was Schule sein kann, geht.

Betreff: Schubeck darf, Schulen dürfen nicht – Schreiben an Herrn Prof. Piazolo und Herrn Dr. Söder

Sehr geehrter Herr Kultusminister Piazolo, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Söder, 

sicherlich haben wir alle inzwischen viel gelernt aus der Pandemie und dem Umgang mit ihr. Auch beim Thema Schule hat es inzwischen ein Umdenken gegeben und darüber bin ich sehr froh. Die langen Schulschließung 2020 und 2021 haben mich bestürzt, dachte ich doch, es gäbe einen Konsens, dass die Schließung von Präsenzschule eine Maßnahme ist, die nur das allerallerletzte Mittel sein kann. Selbst in den Erzählungen meiner Eltern aus Kriegszeiten, in denen sie Kinder waren, scheint der Schulbetrieb das letzte gewesen zu sein, was aufgegeben wurde und das Erste was nach Kriegsende wieder begonnen hat. 

Gut also, dass die Schulen im neuen Schuljahr nicht geschlossen wurden. Es scheint für mich jedoch, dass es nach wie vor mehr Ernstnehmen und mehr Wertschätzung braucht, wenn es um die Rolle und Leistung unserer Schulen geht. Ich möchte Ihnen dies an einem Bespiel schildern. Sie können dann auch besser nachvollziehend, warum mich die erneute Absage der Weihnachtskonzerte an der Schule meiner Kinder – die in dieser Woche stattgefunden hätten – so bedrückt hinterlässt und warum es dabei um weit mehr geht als zwei Konzerte. 

Es geht um weit mehr als um zwei Konzerte

Die Schule meiner Kinder hat uns vor 3-4 Wochen mitgeteilt, dass aufgrund der Bestimmungen des Kultusministeriums bis auf Weiteres Gruppenunterricht in Gesang oder an Blasinstrumenten verboten ist. Das bedeutet, dass keine Chorproben oder Big Band – Proben stattfinden durften, bei denen gesungen oder durch ein Blasinstrument geblasen wurde. Außerdem sind „Schulveranstaltungen mit Freizeit- oder Kulturcharakter“ bis auf weiteres verboten. Das bedeutet für die Schule konkret, dass keine Konzerte, Schülervorspiele, usw. durchgeführt werden dürfen.  

Zufällig ist mir bekannt, dass am Tag zuvor die Schulleitung und die Musiklehrkräfte zusammensaßen, um intelligente Lösungen zu finden, damit Auftritte und Proben trotz Pandemie stattfinden können. Offenbar hat ihnen das kultusministerielle Schreiben dann keinen Spielraum mehr für eigenständiges Handeln gelassen. 

Zur Einordnung: ich bin selbst Epidemiologin

Damit Sie mich richtig einordnen können: Seit Ausbruch der Pandemie hatte ich für viele Regelungen Verständnis. Ich bin selbst Epidemiologin, dem NDR Coronapodcast mit Herrn Drosten und Frau Ciesek lausche ich seit mehr als 100 Folgen. 

Ja, Einschränkungen mussten sein, aber für Schulen galten aus meiner Sicht oft strengere Regeln als für andere Bereiche! Gehe ich derzeit an einem Nachmittag/Abend oder gar Samstag in die Riem-Arcaden ist es dort rappelvoll, voller als es in jeder Schulaula gewesen wäre, bei einem nach Coronaregeln geplanten Konzert.  Herr Schuhbecks Teatro darf mit Hygienekonzept Essen und Unterhaltung servieren – Schule dürfen nichts dergleichen. Das sind unterschiedliche Standards. Wo bleibt da der Schutz von Schule? 

Konzerte sind Sternstunden dessen, was Schule sein kann

Sie mögen jetzt denken, dass es bei den Schulen doch hauptsächlich um die Aufrechterhaltung des Unterrichts geht. Warum regt sich hier eine Mutter über zwei ausgefallene Schulkonzerte auf? Bleiben wir beim Beispiel „Schulkonzerte“: Sie sind viel mehr als nur ein paar Stunden Musik am Abend. Sie sind einer der Sternstunden von dem, was Schule sein kann. Viele Kinder und Jugendliche haben sich wochenlang vorbereitet und dann sitzt man da als Eltern und fragt sich, wie Lehrer*innen so was schaffen und freut sich an der Gemeinschaft. Eine Art Seelenbad – so viele junge Menschen da oben auf der Bühne schaffen was so Schönes gemeinsam. Das ist mehr als Musik – und tut allen, besonders aber den Kindern und Jugendlichen gut, tröstet vielleicht sogar über so manchen Ärger im Schulbetrieb hinweg. Von unserem stolzen Oberstufenchor, dem einmal mehr als die Hälfte aller Schüler*innen der Jahrgangsstufen angehörten ist durch Corona ein kärgliches Grüpplein übriggeblieben.  

Ich würde mir wünschen, dass Sie Ihren Schulen und Schulleitungen mehr Vertrauen schenken, Ihnen den notwendigen Spielraum geben und Ihnen – auch gegenüber manch unliebsamen Eltern – den Rücken stärken. Das gilt für die Pandemie, es gilt aber ebenso für den gesamten Schulbetrieb zu Nicht-Coronazeiten. Unsere Schulen müssen wieder spüren können, welche hohe Wichtigkeit sie für die geistige, seelische und physische Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen – unserer Gesellschaft haben.  

Unsere Schulen müssen wieder spüren können, welche hohe Wichtigkeit sie für die geistige, seelische und physische Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen – unserer Gesellschaft haben.

Ich bitte Sie, legen Sie meine Zeilen nicht entnervt zur Seite, sondern geben Sie den Anmerkungen eine Chance. Und wenn Sie selbst gar nicht derjenige sind, an den dieses Schreiben gerichtet ist, so bitte ich den/die Lesende, mein Schreiben an Herrn Prof. Piazolo und Herrn Dr. Söder weiterzureichen.

Lassen Sie mich Ihnen abschließend ein gesegnetes Weihnachten wünschen! Ich hoffe, Sie merken, dass ich keine renitente Mutter bin, die sich nur um das Wohl ihres eigenen Nachwuchses kümmert. Es geht mir um uns als Gesellschaft. 

Blieben Sie gesund auch in 2022! 

Freundliche Grüße 
Dr. Susanne Weiß 

cc. an die bildungspolitischen Sprecher*innen der demokratischen Parteien im Landtag

"Wir müssen die Opfer berücksichtigen. - Aber wir können das nicht tun, wenn wir unsere Aufgabe gut erledigen wollen."

„Quo vadis, Kulturpolitik?“ – Gastbeitrag im Magazin des Paul-Klinger-Künstlersozialwerk e.V.

Wie viele Menschen in unserem Land bin ich ehrenamtlich aktiv. Unter anderem bin ich Mitglied des Paul-Klinger-Künstlersozialwerk e.V. und engagiere mich dort ehrenamtlich im Vorstand. Gelegentlich schreibe ich Beiträge für das Mitglieder Magazin, den „Klinger Report“. In meinem Gastbeitrag vom 18.10.21 setze ich mich mit der Kulturpolitik der neuen Ampel-Regierung auseinander – und feire selbstverständlich den Start unserer neuen Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth!

2021-07-Paul Klinger Künstlersozialwerk KSK Hilfe Beratung sozialversicherung Künstlerin Künstler Kreative

„Klassik bis Comic, von Plattdeutsch bis Plattenladen.“

Zur Kulturpolitik der Ampel-Koalition
von Sanne Kurz

Kultur als Staatsziel, Barrierefreiheit, Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit – das sind Schlagworte aus dem Koalitionsvertrag, die den Ampel-Blick auf Kultur illustrieren: weniger Humboldt-Forum und mehr gerechte Teilhabe aller, ob im Publikum und auf der Bühne, heute – und auch mit Blick auf die kommenden Generationen.

Wann, wenn nicht jetzt?
Wo, wenn nicht hier?
Wie, wenn ohne Liebe?
Wer, wenn nicht wir?

 – Diese Fragen aus einem Songtext von Rio Reiser schickte mir Claudia Roth 2018 auf ihrer Karte mit Weihnachtsgruß. Er zeigt nicht nur, wie Lyrik, Musik, ja die gesamte Kultur ihr Richtschnur in Handeln und Leben sind, sondern er steht auch für das mitreißende Anpacken der Ikone Claudia Roth. Exzellent in der Bundespolitik wie im Kulturbereich vernetzt, äußerst erfahren, weitsichtig, kämpferisch und klug gibt sie für die Kultur das Amt der Bundestagsvizepräsidentin auf. Ja, ein „Abstieg“ auf der Karriereleiter, aber ein wichtiger Schritt „rauf“ für die Kultur in unserem Land. Als Mit-Initiatorin der „Brüsseler Erklärung“ für die Freiheit der Kunst ruht Roths Arbeit auf den Grundfesten unserer Demokratie.  Für die neue Kulturstaatsministerin wird als Ministerin ohne eigenes Ministerium eins aber wichtig sein: der gute Draht zum FDP-Finanzminister, Christian Lindner.

Neue Wege gehen, Horizonte öffnen

In der Kulturpolitik der neuen Bundesregierung geht es nun darum, neue Türen aufzustoßen, neue Schwerpunkte zu setzen. „Wir wollen Kultur mit allen ermöglichen, indem wir ihre Vielfalt und Freiheit sichern, unabhängig von Organisations- oder Ausdrucksform, von Klassik bis Comic, von Plattdeutsch bis Plattenladen.“, so steht es im Koalitionsvertrag. Wo nach 16 Jahren GroKo einerseits Prachtbauten und Gespräche die Kultur prägten – James-Simon-Galerie, Humboldt Forum, der Reformprozess der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder die Provenienz-Debatte mit dem zahnlosen Tiger Limbach-Kommission – kam andererseits einiges an Fördermitteln zusammen. 

Dass hier Kontinuität regieren wird, ist bereits an der Verlängerung der Bundes-Corona-Hilfen wie den sogenannten „Geistertickets“, dem Ausfallfonds, den Überbrückungshilfen III und dem Neustart-Programm erfreulich sichtbar.

Fairness als Ziel

Konkret wird der Koalitionsvertrag dann beim Urheberrecht und der sozialen Absicherung: ein fairer Interessensausgleich mit Blick auf die Vergütungssituation für kreative Inhalte findet sich dort ebenso wie der Willen, Soloselbstständige und Hybridbeschäftigte besser abzusichern, die KSK zu stabilisieren und die erhöhten Hinzuverdienstgrenzen aus nicht-künstlerischer Selbstständigkeit beizubehalten. Auch der Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung soll nach Willen der drei Partner erleichtert werden. Die Grundrente soll mit Blick auch auf die Lage der Kreativen evaluiert werden, für neue Soloselbstständige soll die gesetzliche Rentenversicherung zum Regelfall werden, wer lieber privat vorsorgt, kann mit Opt-Out Modell den schützenden Hafen verlassen. Die GRÜNE Idee des Existenzgeldes klingt jetzt so „Um auch bei zukünftigen schweren Krisen, die zu nicht selbst verantworteten Erwerbsausfällen führen, Selbstständige auch bei der Finanzierung ihrer Lebensunterhaltskosten schneller und besser helfen zu können, treffen wir Vorsorge für steuerfinanzierte Wirtschaftshilfen.“; von der SPD kommt die Idee des Kultur-Plenums, die es auch in den Vertrag geschafft hat: Länder, Kommunen, Kulturproduktion, Verbände und Zivilgesellschaft sollen daran beteiligt werden um die Zusammenarbeit zu verbessern – eine Art „Kulturbeirat“ auf Bundesebene.

Neu kommen werden laut Ampel-Vertrag eine Ansprechperson für Kultur- und Kreativwirtschaft, eine zentrale Anlaufstelle „green culture“, ein Kompetenzzentrum für digitale Kultur, eine „Bundesstiftung industrielles Welterbe“ und ein Sonderprogramm „Globaler Süden“.

Parität der Geschlechter als Selbstverständlichkeit

Frauen im Kulturbereich sollen vom überfälligen Schließen des Gender-Pay-Gaps profitieren, Jurys will die Ampel geschlechterparitätisch und divers besetzen und Begrenzungen von Amtszeiten ermöglichen. Die verbesserte Präsenz von Frauen in Führungspositionen soll mit einer ebenfalls besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Elternteile voran gehen.

Blicken wir nach Rheinland-Pfalz, wo eine Ampelkoalition seit Jahren weitgehend geräuschlos und durchaus erfolgreich regiert, sieht man eine für ein ländlich geprägtes Flächenland mir Wald, Weinbau und ohne größere Metropolen eine durchaus solide Kulturpolitik. Die Regierung dort will „nicht nur in den Ballungsräumen, sondern auch in den ländlichen Regionen des Landes, die Teilhabe an Kunst und Kultur zu ermöglichen“, das Ministerium nutzt hier zentral die kulturelle Bildung als Instrument. 

Kultur von klein auf als Wert vermitteln. Auch den Menschen in der Fläche kulturelle Teilhabe bieten. Das ganze dann noch mit sozial-ökologischer Nachhaltigkeit garniert und natürlich digital. Angeführt von Claudia Roth als kulturaffiner, kraftvoller Kämpferin für Kunstfreiheit und Vielfalt, die die Theater- und Musikszene aus eigener Erfahrung kennt. – Das klingt doch nach vier Jahren, die gute werden könnten für die Künste und die Kultur in unserem Land.


Update: Inzwischen wurde Erhard Grundl, mein Kulturpolitik-Kollege aus Straubing, der für uns im Bundestag sitzt, von der Bundestags-Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Sprecher für Kultur und Medien gewählt. Hier findet Ihr seinen Gastbeitrag zur Wahl und die Instagram-Links aller für Kultur zuständigen Grünen Kolleginnen und Kollegen inklusive Kulturstaatsministerin Claudia Roth.

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NSU Untersuchungsausschuss - kein_schlussstrich_cemal bozoglu_2021-2048x2048

NSU: Wir brauchen einen 2. Untersuchungsausschuss! Ein Gastbeitrag von Cemal Bozoğlu.

Jeden Tag radle ich an dem Ort vorbei, an dem Habil Kılıç in seinem Laden ermordet wurde. Den Laden gibt es noch. Auch die Polizeistation, in Sichtweite. Nur wenige Schritte die Bad-Schachener-Straße runter. Jeden Sommer im August kommen Menschen an der Gedenktafel zusammen und andere wundern sich, was das Grüppchen da tut. Die Gerichte haben ihre Urteile gefällt. Aber wie urteilen wir als Gesellschaft? Mein Landtags-Kollege Cemal Bozoğlu zu seinem Kampf für einen 2. NSU Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag.

Grüne und SPD ergreifen Initiative für einen zweiten NSU-Untersuchungsausschuss! – Zehn Jahre nach Enttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds am 4. November 2011 sind noch zahlreiche Fragen ungeklärt. 

Die Grüne Fraktion Bayern und die BayernSPD Landtagsfraktion wollen die zahlreichen ungeklärten Fragen, die sich immer noch um den NSU-Komplex ranken, aufklären und ergreifen die Initiative für einen zweiten Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag. In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe sollen die Fraktionen über die genauen Untersuchungsgegenstände des Ausschusses beraten und noch 2021 einen Fragenkatalog erarbeiten. Die SPD-Landtagsfraktion muss allerdings formal noch in ihrer nächsten Sitzung über das Vorgehen entscheiden. Für einen möglichst breiten Konsens werde ich, Cemal Bozoğlu, gemeinsam mit Florian Ritter für unsere Fraktionen auch mit den anderen demokratischen Fraktionen des Landtags das Gespräch suchen. 

Kein Schlussstrich! Zu viele Fragen zum NSU und dem Unterstützungsnetzwerk sind noch offen.

Mit dem Tod der beiden Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos endete vor genau zehn Jahren, am 4. November 2011, die mörderische Existenz des Nationalsozialistischen Untergrunds. 13 Jahre lang konnte eine rechtsextreme Terrorgruppe unentdeckt und ungestört zehn Menschen ermorden, drei Sprengstoffanschläge verüben und über ein Dutzend Raubüberfälle begehen. Allein in Bayern hat der NSU fünf Menschen ermordet: Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Habil Kilic, Ismail Yasar und Theodorus Boulgarides. 

Der Bombenanschlag auf die Gaststätte ‚Sonnenschein‘ im Juni 1999 in Nürnberg markierte den Anfang der Anschlagserie. Bayern ist nicht nur der wichtigste Tatort des NSU, sondern auch der zentrale Ort der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen der ‚BAO Bosporus‘, die sehr einseitig in Richtung ‚Organisierte Kriminalität‘ ermittelt hat. Auch zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU sind die berechtigen Fragen der Angehörigen der Opfer nach den Hintergründen der Taten, dem Unterstützernetzwerk des NSU in Bayern und der Auswahl der Opfer immer noch nicht beantwortet. In einer Petition an den Bayerischen Landtag fordern die Betroffenen gemeinsam mit über 2.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, Opferberatungsstellen, Anwälte und zivilgesellschaftlichen Initiativen die Einrichtung eines zweiten NSU-Untersuchungsausschusses. 

Ich will schließen mit zwei Zitaten, die unsere Motivation und die der BayernSPD Landtagsfraktion gut zeigen:

„Vor zehn Jahren hat die Bundesregierung den Angehörigen der Opfer des NSU die vollständige Aufklärung der Morde des NSU versprochen. Von der Einlösung dieses Versprechens sind wir immer noch weit entfernt. Wir wissen immer noch nicht, warum Bayern mit fünf Morden und einem Sprengstoffanschlag das Haupttatland des NSU war, wie die Opfer ausgewählt und ausgespäht wurden, welche Neonazikreise in Bayern den NSU unterstützt haben und warum die Sicherheitsbehörden so lange in die falsche Richtung ermittelt haben. Wir sind es den Opfern des NSU schuldig, die Aufklärung der Tathintergründe und Unterstützernetzwerke weiter voranzutreiben.“ 

Cemal Bozoğlu, MdL – Sprecher für Strategien gegen Rechtsextremismus der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bayerischen Landtag

„Wir sind es nicht nur der Öffentlichkeit schuldig, sondern insbesondere den Hinterbliebenen der Opfer, die offenen Fragen aus dem NSU-Komplex zu klären. Durch die beispiellose Mordserie ist unfassbares Leid geschehen, das durch die mangelnde Aufklärung noch verstärkt wird. Der Prozess gegen den Kern des NSU hat zwar ein klares Urteil über die Schuld der Angeklagten gesprochen, musste aber viele Fragen unbeantwortet lassen. Mit einem neuen Untersuchungsausschuss wollen wir einen Beitrag dazu leisten, die nach dem ersten Untersuchungsausschuss und dem Prozess noch offenen Sachverhalte zu klären. Wir dürfen nichts unversucht lassen!“ 

Florian Ritter, MdL; Sprecher im Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus, BayernSPD Landtagsfraktion
Verena Osgyan Grüne Bayern Landtag Hochschule Wissenschaft Politik

Hochschulinnovationsgesetz Bayern – Kritik.

Ein Gastbeitrag zur Bayerischen Hochschulrechtsreform von Verena Osgyan, unserer hochschulpolitischen Sprecherin im Landtag

Seit die Pläne zur Hochschulreform die Hinterzimmer der Regierung und des Ministeriums verlassen haben und das verheerende Ausmaß der beabsichtigten Eingriffe in die Hochschullandschaft klar geworden ist, haben mich zahlreiche Betroffene angeschrieben. Natürlich haben wir Grünen einen Plan, wie man die Hochschulen viel besser zukunftsfest aufstellen kann.
Hier ein Gastbeitrag meiner Kollegin Verena Osgyan, unserer Sprecherin für Wissenschaft und Hochschulpolitik im Landtag:

Das Bayerische Hochschulgesetz hatte seine letzte große Reform im Jahr 2006. Bereits damals stieß es auf erhebliche Kritik aufgrund der Einführung von Hochschulräten und der verstärkten Konzentration von Entscheidungsbefugnissen auf die Präsidien. In der Zwischenzeit hat sich natürlich ein erheblicher Reformbedarf aufgestaut, denn Themen wie Internationalisierung, Digitalisierung aber auch Nachhaltigkeit haben mittlerweile einen ganz anderen Stellenwert als noch Anfang der 2000er Jahre. In den letzten zwei Jahren wurde vom CSU-geführten Wissenschaftsministerium daher eine erneute Hochschulrechtsnovelle angekündigt. 

Von einem Umbruch, der in der bayerischen Wissenschaftslandschaft keinen Stein auf dem anderen lassen soll, war jedoch keine Rede – bis zur Regierungserklärung von Ministerpräsident Söder im Herbst 2019, in der er sein Prestigeprojekt Hightech-Agenda zum Vorbild seiner Hochschulpolitik machen wollte. Es wurden zwar zusätzliche Milliarden ausgebracht für einige wenige Spitzentechnologien wie KI, Luft- und Raumfahrttechnik und Wasserstofftechnologie. Fächer, die keine unmittelbare Verwertbarkeit bringen – Geistes- und Sozialwissenschaften, Lehramtsstudium, aber auch die MINT-Grundlagenforschung – gehen dabei leer aus. Damals war schon abzusehen, dass er seine Hightech-Agenda als Blaupause für die Hochschulstruktur ansieht.

Nachdem daraufhin im vergangenen Jahr ein Vorschlag des Wissenschaftsministeriums noch im Ministerrat gestoppt wurde, wurde – offenbar auf Druck aus der Staatskanzlei – an einem „Eckpunktepapier“ gearbeitet, das nach der Sommerpause geleakt wurde. Vor diesem Hintergrund hatten wir bereits im Herbst eine erste Anhörung im Wissenschaftsausschuss durchgesetzt, um transparent zu machen welche Pläne die Staatsregierung hier im Hinterzimmer voranzutreiben gedachte. 

In dem Eckpunktepapier, das offiziell erst nach der Anhörung vorlag, fand sich unter anderem eine komplette Entkernung der Gremienstruktur, ein höchst umstrittenes neues Modell für die Rechtsform der Hochschulen als Körperschaften und die Fortführung des anderswo längst wieder ad Acta gelegten Prinzips der „unternehmerischen Hochschule“ wieder. Markige Worte wie „Entfesselung der Hochschulen“ und „Beseitigung von Gremienhemmnissen“ weckten zudem Befürchtungen, dass es um nichts weniger ging als um die Entstaatlichung und Entdemokratisierung unseres ganzen Wissenschaftssystems.

Nachdem damit die Katze aus dem Sack war, brach angesichts der CSU-Pläne massiver Protest unter Studierenden ebenso wie Forscher*innen und Lehrenden aus. Es gab große Demonstrationen, unter anderem in München, Nürnberg und Augsburg, offene Briefe von jeweils über 1.000 Hochschul- und Universitätsprofessor*innen und Stellungnahmen diverser Verbände von Studierenden über Mittelbau bis hin zu den Senatsvorsitzenden der Universitäten. 

Wir Landtags-Grüne waren in der Zwischenzeit nicht untätig und haben deshalb, nach vielen Gesprächen mit Hochschulangehörigen in ganz Bayern, am 10. Mai 2021 als Gegenentwurf zu den Plänen der Söder-Regierung unser eigenes „Hochschulfreiheitsgesetz“ vorgestellt. Denn aus unserer Sicht ist ein kompletter Neuanfang nötig, um die Hochschulen tatsächlich zukunftsfähig und innovativ aufzustellen und die Bedürfnisse der direkt Betroffenen umzusetzen. Neben einem klaren Bekenntnis zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit, Gleichstellung und Diversity in der Wissenschaft und der Stärkung des gesellschaftlichen Auftrags der Hochschulen, der sog. „Third Mission“, sieht unser Gesetzentwurf deshalb unter anderem vor, die Strukturen innerhalb der Hochschulen transparent und demokratisch auszugestalten mittels Stärkung der demokratischen Gremienstrukturen, Wiedereinführung einer verfassten Studierendenschaft, die Sicherstellung guter Lehre anstatt prekärer Beschäftigungsbedingungen sowie zukunftsfeste Regelungen zu Digitalisierung und Open Science.

Das Gesetz ist hier zu finden:

Am Dienstag, 18. Mai 2021, hat nun die CSU-Regierung ihr „Hochschulinnovationsgesetz“ endlich vorgestellt und damit krachend ihre Chance zu echten Reformen verpasst. Statt die Hochschulen nachhaltig und zukunftsfähig aufzustellen, die hochschulinterne Demokratie zu unterstützen und sich aktuellen gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen anzunehmen, ist das Gesetz in großen Teilen alter Wein in neuen Schläuchen und enthält wenig Neuerungen und noch weniger Innovation. Und da, wo es substanzielle Änderungen bringt, beziehen sich diese weiterhin auf eine einseitige Förderung der unternehmerischen Betätigung der Hochschulen, bestimmter Forschungsdisziplinen und des wirtschaftlichen Transfers. Damit entzieht sich die Staatsregierung mit ihrem Gesetz einfach komplett aus der Verantwortung und ignoriert die tatsächlichen Erfordernisse moderner Wissenschaftspolitik.

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Kritik am Infektionsschutzgesetz ist wichtig, Desinformation ist aber gefährlich für die Demokratie

Ein Gastbeitrag von Dieter Janecek, MdB. (Oder direkt zu „Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“)

Mehr als 2.000, größtenteils krude E-Mails in Sachen Infektionsschutzgesetz in den letzten 7 Tagen, eine für Mittwoch angekündigte Großdemo von Rechtsextremisten rund um Pegida, AfD, NPD und den sogenannten Querdenkern –  in Berlin und im Posteingang ist derzeit einiges los. 

Das Parlament befasst sich intensiv und öffentlich mit dem Infektionsschutzgesetz.

Einer der Hauptvorwürfe der sog. “Querdenker”: Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz drohe die heimliche Abschaffung der Demokratie. Richtig ist hingegen: Das Parlament befasst sich intensiv und öffentlich mit dem Infektionsschutzgesetz. Letzten Donnerstag führte der federführende Gesundheitsausschuss eine öffentliche Anhörung durch, heute haben bzw. hatten sowohl der Ausschuss für Wirtschaft und Energie wie der Ausschuss für die Digitale Agenda (als mitberatende Ausschüsse) Sondersitzungen. Weitere mitberatende Ausschüsse tagen ebenfalls. Und am Mittwoch kommt die Debatte dann ins Plenum. Parlamentarismus funktioniert. 

Parlament und die Fraktionen ringen um Lösungen.

Still und leise und an Öffentlichkeit und Parlament vorbei passiert also nichts, im Gegenteil, das Parlament und die Fraktionen ringen um Lösungen. Dieses Ringen ist für eine Demokratie von zentraler Bedeutung, ebenso wie Kritik. Und zu kritisieren gibt es einiges an den Plänen der Bundesregierung, das zeigte auch die öffentliche Anhörung letzte Woche. So löst der Gesetzesentwurf und insbesondere auch der besonders umstrittene § 28a des Gesetzentwurfs nicht das zentrale Problem der bisherigen Corona-Politik. Denn die Regelungen blieben so rechtlich unbestimmt und ungenau wie die bisherige Rechtslage. Die parlamentarischen Beratungen dazu laufen noch, ebenso natürlich die Beratung zu den mehr als einem Dutzend Anträgen und Änderungsanträgen, die bislang zum Infektionsschutzgesetz eingebracht wurden, und zwar sowohl von den Koalitionsfraktionen als auch aus den Oppositionsfraktionen. 

Bekämpfung der Corona-Pandemie braucht tragfähige rechtsstaatliche Grundlage.

Wir Grüne setzen uns bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie für eine tragfähige rechtsstaatliche Grundlage ein, die insbesondere auch die Verantwortlichen vor Ort in die Lage versetzt angesichts einer sich dynamisch entwickelnden Situation kurzfristig und situationsangepasst zu reagieren. Wir verlangen grundsätzlich eine stärkere Einbindung der Parlamente, auf Bundes- wie auf Landesebene, wenn es darum geht, Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu beschließen (siehe Antrag: “Rechtsstaat und Demokratie in der Corona-Pandemie”). Bereits im Juli haben wir einen Antrag auf Gründung eines “Pandemierats”, als interdisziplinäres wissenschaftliches Beratungsgremium in den Bundestag eingebracht.

Grundrechte können keinesfalls willkürlich eingeschränkt werden.

Noch ein Wort in Sachen Grundrechte: Es ist ein weitverbreitetes Missverständnis, dass Rechte, auch Grundrechte nicht eingeschränkt werden können. Kein Recht ist absolut, auch kein Grundrecht. Viele Rechte stehen im ständigen Konflikt miteinander. Der entscheidende Punkt: Grundrechte können keinesfalls willkürlich eingeschränkt werden, sondern nur, um im Fall von Grundrechtskollisionen eine Abwägung zu treffen. Meine Kollegin Manuela Rottmann hat das erst vor kurzem treffend zusammengefasst.

Wir haben als Oppositionsfraktion zu vielem Alternativvorschläge gemacht.

Am Vorgehen der Bundesregierung und auch der Ministerpräsidenten in Sachen Corona gibt es viel zu kritisieren, wir haben als Oppositionsfraktion zu vielem Alternativvorschläge gemacht. Eine Bedrohung für unsere Demokratie sind aber nicht diejenigen, die um beste Lösungen ringen, sondern diejenigen, die absichtlich Falschinformationen und Verschwörungstheorien verbreiten, sich als alleinige “Stimme des Volkes” verstehen, das Ende der Demokratie ausrufen, unseren demokratischen Staat in Frage stellen oder zum Sturm auf den Bundestag aufrufen. 

Streit gehört zur Demokratie.

Streit gehört zur Demokratie, gerade auch in einer Pandemie. Bewusste Falschmeldungen und Verschwörungstheorien sind hingegen Gift für die Demokratie. 


Danke, lieber Dieter Janecek, für Deinen Beitrag zur heutigen Beratung zum Infektionsschutzgesetz! Für Rückfragen oder Anmerkungen erreicht man Dieter Janecek via Homepage-Link „Kontakt“

Landtags-Grüne fordern seit September Infektionsschutzgesetz für Bayern

Wir Grüne im Bayerischen Landtag waren natürlich auch nicht faul und haben bereits im September einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem Durchregieren per Verordnung unmöglich werden würde, und Infektionsschutzmaßnahmen auf solide rechtliche Füße gestellt würden.

Das Grün regierte Baden-Württemberg hat sowas längst. Unseren Gesetzentwurf für ein Bayerisches Gesetz über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie (Bayerisches Corona-Maßnahmengesetz – BayCorMaG) gibt es zum Nachlesen hier.

Weiterlesen:

Eine sehr gute Sammlung von Verordnungen und Gesetzen in der Zeit der Pandemie gibt es auf dem Blog „Informationen zu Covid-19 / Coronavirus SARS-CoV-2„. Dort findet sich auch der Beitrag „„Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ heute verabschiedet“ mit Link zum Bundesgesetzblatt 52 vom 18.11.2020.

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Mein Gastbeitrag zu #LockdownLearning: Lock-Down: Head-On

#LockdownLearning – eine Sendung von Kulturschaffenden für Kulturschaffende zur Corona-Kultur-Krise. Von Münchner Kulturschaffenden selbst-organisiertes, wöchentliches, interaktives Online Video-Talk-Format. Mit Akteur*innen, Künstler*innen, Produzent*innen. Mit Verwaltung und Politik. Mit guten Fragen, Lösungsideen und Erklärungsansätzen. Hier mein Gastbeitrag vom 7.10.2020.

Am 10. März 2020 wurde der „Kultur- und Kreativwirtschaftsbericht Bayern“ vorgestellt. Mit diesem Bericht feierte die Staatsregierung sich selbst – und ihr vermeintlich fantastisches Engagement für eine Szene, in der nahezu 400.000 Menschen arbeiten – ebenso viele wie in der Automobilindustrie im Freistaat.

Am 11. März kamen die Veranstaltungsverbote. 400.000 Menschen, von denen viele von heute auf Morgen jeglicher Geschäftsgrundlage beraubt waren. 400.000 Menschen, von denen etliche Freie oder im Minijob sind, in Branchen, in denen nicht mal die öffentliche Hand Mindesthonorare oder Mindestgagen zahlt. Niemand hatte Rücklagen. Das Wegbrechen der Existenzgrundlage traf alle mit voller Wucht.

Betriebskosten versus Betriebsausgaben

Soforthilfen waren dann auch schnell gestrickt. Nur leider hatte niemand erklärt, dass „Betriebskosten“ anders als die vom jährlichen Finanzamt-Trip bekannten „Betriebsausgaben“ nur Mieten, Pachten, Leasingraten, Versicherungen und Finanzaufwand beinhalten.

Wir haben uns gefreut: Toll! Auch Kreative bekommen Soforthilfe! Dafür feiert sich die Staatsregierung noch heute. Aber leider, leider, sind diese Soforthilfen nur fürs repräsentative Eck-Büro (= Geld geht an den Real-Estate Investor), die Versicherung (= Geld geht an den global agierenden Versicherungs-Konzern) oder das Dienstwagen-Leasing (= Geld geht an Automobil-Konzerne).

Den Kumpel, der seit Jahren die Shots fürs Portfolio macht, zahlen? – Verboten.
Die Crew, die das Casting Video macht, zahlen? – Verboten.
Die Frau, die das letzte Konzert zusammengeschnitten hat, zahlen? – Verboten.
Soforthilfen kamen also bei Kreativen selten an und da, wo sie ankamen, hat man sie – aus Unwissenheit – oft zu Unrecht beantragt. Da hernach „Betrug“ zu unterstellen war frech, Geld zurück zu fordern, ist bitter.

Künstlerhilfen unter Vorbehalt

Noch bitterer die nächste Pille, die zu schlucken war: Künstlerhilfen! Nach langem Trommeln, Konto schon leer, Dispo ausgereizt, gestundet was geht, da rückte der Freistaat im Juni endlich magere tausend Kröten raus.

Nur für Leute in der KSK – hieß es zunächst.
Nur für Leute, die zuvor weder ALGII noch Soforthilfe beantragt hatten – hieß es zunächst.
– Das wurde alles nach Protesten nachgebessert. Aber Murks blieb Murks, die Bedingungen blieben realitätsfern. Drei Beispiele:

  1. Nur für Leute, die unter 3.000€ Soforthilfe erhalten haben. – Dabei musste man die Soforthilfe doch an Dritte weitergeben.
  2. Nur drei Monate ohne Unterbrechung an einem Stück. – Dabei hat man im Kulturbereich nur sehr selten Einfluss darauf, wann Jobs reinkommen, wann Geld aufs Konto kommt.
  3. Anders als für die Laien-Blasmusik gab es Hilfen für Profis leider auch nicht rückwirkend ab Mitte März. Für die Zeit, die am meisten weh tat. Weh tut. Immer noch.

Gleichheitsgrundsatz war einmal

Denn Kultur geht aktuell nur im Notbetrieb. Stört sich niemand an Bildern von mit Touris vollbepackten Ballermann-Bombern, darf man Bierhallen zum Anschlag füllen, Stadien für Sport-Publikum immerhin zu 20% nutzen, knallt bei Kultur in Bayern der Deckel zu: 200 Personen erlaubt und keine mehr. Auch in der für 12.463 Menschen ausgelegten Olympiahalle, auch nach 80.000 Gästen und Null Corona-Fällen bei den Salzburger Festspielen. Das ist reiner Populismus, hat mit Infektionsschutz null-komma-null zu tun und schürt nur Ängste des Publikums. Na klar soll und muss Kultur sicher sein! Aber die permanente Verletzung des verfassungsrechtlich garantierten Gleichheitsgrundsatzes. Hilft. Niemandem! Im Gegenteil: sie beschädigt die verfassungsrechtlich garantierte Kunstfreiheit.

  • Musik im Biergarten, ohne Eintritt, während Gäste essen, ratschen und am Tisch sitzen? Hintergrundmusik in der Gastro – erlaubt! Fremde an einem Tisch – gestattet! 1000 Personen in einem Raum? Easy!
  • Musik in genau dem gleichen Biergarten, mit Eintritt, oder lauter als ein Gespräch?
    Kulturveranstaltung – nur mit beschränkter Teilnehmerzahl erlaubt!
  • Sport in der Olympiahalle – 2492 Personen erlaubt.
  • Kultur in der Olympiahalle – 200 Personen erlaubt.
  • Konzert zu Hause. Fette Bässe. Dicke Luft. Schweiß im Gesicht. Ich kenne alle, aber hab von niemanden eine Nummer. – Erlaubt! Wär‘ nett, wenn Ihr nur 25 Leutchen wärt…
  • Live-Act im Club. ID- und Kontaktdaten-Erfassung, zum Pandemie-Geschehen passendes Online-Ticketing, Contact-Tracing, Hochleistungs-Entlüftung mit Frischluft-Anlage. Auch fette Bässe. Auch Schweiß. – Verboten!

Ein Ministerpräsident kurz vor der Heiligsprechung

Über allem ein Ministerpräsident, der kurz vor der Heiligsprechung zu stehen scheint, der, surfend auf der zweiten Welle, einen „Corona Koordinator“ ernannt hat, damit man im Falle eines Falles wen zum Absägen hat, wenn es mal schiefläuft. „Wir helfen Technikern“, tweetete dieser MP. „Die emotionale Seele des Landes erhalten“, fabulierte er. Den Murks durften andere aufwischen. Echte Hilfe kam bis heute nicht an. Bei fast niemandem. Dass von 140 Millionen Euro „Künstlerhilfen“ nur knapp 20 Millionen abgerufen wurden zeigt, wie realitätsfern die bayerische Staatsregierung geplant hat. Dass man dem Publikum weiter Angst macht, Kulturschaffende weiter ins ALGII schickt, die sich ausdrücklich auf Werk und Wirken erstreckende Kunstfreiheit weiter durch Verunmöglichung torpediert, das ist ein Skandal in einer Tragweite, dass man sich einen Generalstreik der Künste geradezu herbeisehnt.

Die Lösungen der Exekutive? Das Partyvolk durch „stärkere Polizeipräsenz“ weiter gängeln. Alkoholverbote, Sperrungen öffentlichen Raums. Auch wenn die komplette Nachtkultur keinen Ort hat, wohin sie legal ausweichen könnte. „Zuhause mit der Partnerin tanzen“ war alles, was dem MP dazu einfiel. Jetzt sollen auch noch Veranstalter*innen Ausweise kontrollieren, Kontakt-Angaben abgleichen und bei Falschangaben ihres Publikums 1000€ Strafe kassieren. Konstruktiv einen Niedergang der Kultur verhindern wird man so ganz sicherlich nicht.

Und nein, es geht mir nicht darum, immer nur zu meckern. Klar können Kreative auch andere Jobs machen. Es könnte aber sein, dass wir all die Kreativen nochmal dringend brauchen könnten. Und dass diese Kreativen, wenn sie erst mal einen Job beim Netto an der Kasse haben, oder im schicken Eck-Büro einer Versicherungsgesellschaft das Social-Media Management machen, dass sie dann weg sind für das, was sie echt können, und wofür wir sie so dringend brauchen: Kreativ sein.

Die Leute fahren nicht nach München, um Versicherungs-Eck-Büros anzuschauen

Kultur ist systemrelevant ist irgendwie eine Untertreibung. Und irgendwie eine irrelevante Feststellung. Wenn München auf Knopfdruck über Nacht Kultur-frei wäre, wer würde hier leben wollen? Wer hier Urlaub machen? Wer nach der Arbeit noch ausgehen? Wer seine Kinder an einem Regentag wohin führen? Ins Nichts?

Fakt ist: Veranstaltungsverbote sind Tätigkeitsverbote und gehören entschädigt.
Notbetrieb ist Verlustbetrieb und gehört supportet.

Ich will für Kreative noch nicht mal wie beim Kurzarbeitergeld 60% oder gar 87% des Vorjahres-Verdienstes, obwohl das legitim wäre. Ich will nur das Existenzminimum, ich will die Anerkennung von Mindestgagen und Mindesthonoraren, die Förderfähigkeit von Honorar- und Werkverträgen und dass sich endlich alle, die gerufen werden, auch mit denen an einen Tisch setzen und Lösungen finden, die es betrifft: mit denen, die Kultur machen.