Jubiläumskampagne anlässlich des 50. Geburtstags der Pensionskasse Rundfunk

Dass man während seine Berufslebens Geld fürs Alter zurücklegen muss, wissen natürlich auch all die Freien in Film, Funk und Fernsehen. Doch aus eigener Kraft eine Rente zu stemmen, von der man halbwegs gut leben kann, ist bei weitem nicht allen möglich. Deshalb ist die Pensionskasse Rundfunk (PKR) – ein sog. „Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit“ mit rund 20.000 Mitgliedern – eine von mehreren wunderbaren Sachen zur Absicherung. Beim Öffentlich-Rechtlichen gibt es zwei Varianten der betrieblichen Altersvorsorge zur Wahl. Bei der Pensionskasse teilen sich die Einzahlungen (feste) Freie und Auftraggeber paritätisch, neben allen zwölf Rundfunkanstalten Deutschlands zählen auch über 450 freie Film- und Fernsehproduktionsunternehmen zu den Anstaltsmitgliedern der Pensionskasse.
Zum 50. Jubiläum der Pensionskasse ist unter dem Motto „Zukunft im Blick“ eine Publikation erschienen, für die auch ich als Mitglied interviewt worden bin. Hier der entsprechende Auszug:

Wie kam es zu Ihrer Berufswahl?
Als junge Frau habe ich begeistert Theater gemacht, wie viele junge Menschen. Irgendwann kam ich zu einem Praktikum in einem Theater und habe gesehen, dass dort lauter Leute sind – Anfang 40, Mitte 40 –, die immer noch in der WG wohnen, keinen Geschirrspüler haben und die Wäsche in den Waschsalon tragen. Da dachte ich mir: Hm, will ich das auch noch mit Mitte 40? Schauen wir mal beim Film! Es war mir damals natürlich nicht klar, dass es dort auch so gehen kann, und so kam es zu meiner Berufsentscheidung. Ich bewarb mich an diversen Filmhochschulen in Deutschland und der ganzen Welt, und nach einem Jahr hat es dann in München geklappt.

Würden Sie Ihren Beruf Ihren Kindern oder der nächsten Generation weiterempfehlen?
Mein Ältester ist 25, und ich hatte immer sehr große Hoffnung, dass er anderswo als in der Medienwelt sein Zuhause findet. Denn da weht ein harscher Wind. Er hat dann tatsächlich als große Arbeit für die Schule eine 45-minütige Sendung mit Wetterbericht, Talkshow-Teil und Koch-Teil selber produziert. Das war für ihn der abschreckende Effekt, vielleicht doch etwas anderes zu machen. Ich muss sagen, für mich ist es ein wunderschöner Beruf, Filme zu machen. Aber es ist auch oft so prekär in dem, wie man sein Leben gestalten muss, dass ich meinen Kindern nicht dazu raten würde. Ich würde sie aber auch nicht davon abhalten. Es ist wichtig, dass die nachfolgende Generation einfach ausprobiert, was gut passt. Ob sie dann Erzieher lernen, wie mein Ältester, oder IT studieren wie mein Zweitältester – das ist etwas, was sie wirklich selber für sich herausfinden müssen.

Was wollten Sie der PKR schon immer mal sagen?
Liebe PKR, macht euch bekannter bei den Leuten! Erklärt, was euer Angebot ist und schaut, dass Ihr auch an die junge Generation herankommt. Die Menschen sollen verstehen, dass man weiterkommt, wenn man gemeinsam ein Ziel verfolgt. Soziale Absicherung ist ein großes Problem für viele Menschen, gerade in freien Berufen. Viele wissen nicht, dass sie auch als Freie von der PKR profitieren können. Man erreicht auf den klassischen Wegen heutzutage nicht mehr so viele Menschen wie früher. Man muss sich da wirklich sehr, sehr viel einfallen lassen, um seine Informationen an den Mann und an die Frau zu kriegen.

Was erwarten Sie von Ihrer Altersvorsorge?
Ich glaube, man braucht in Deutschland ein viel besseres Wort als „Vorsorge“. Wenn ich an Vorsorge denke, denke ich an Krebsabstrich, an Zahnarzt und all so was. Das macht überhaupt keinen Spaß. Man braucht ein Framing, gerade hier in Deutschland, wo man an etwas Lustvolles betont, wo man an Sabbaticals denkt, an Zeit denkt, die einem auch geschenkt wird. Das ist etwas, was Lust darauf machen könnte, an die Zeit zu denken, die nicht jetzt ist.

Mit welchen Argumenten würden Sie Ihren Kolleg*innen raten, sich HEUTE um die Altersversorgung zu kümmern?
Das Allerwichtigste ist, dass es gar nicht nur um eine Altersvorsorge geht. Man weiß nie, wo das Leben einen hinträgt, wie lange man überhaupt noch planen kann. Deshalb ist es besser, man fängt heute an als erst in 20 Jahren. Das ist ganz ähnlich wie mit dem Rauchen: besser heute aufhören als morgen. Jeder Tag ist ein Gewinn.

Welchen aktuellen Programmtipp würden Sie gerne teilen – TV, Radio, Podcast …? 
Ich empfehle ganz dringend, ein analoges Medium in die Hand zu nehmen, weil wir so viel in Videokonferenzen sitzen, weil wir so viel streamen, weil wir so viel digital konsumieren. Es ist wahnsinnig wohltuend, mit einem Buch auf dem Stuhl zu sitzen, mit Blick aus dem Fenster, im Idealfall auf einen Baum oder eine begrünte Häuserwand. Da empfehle ich dringend die Bücher von Yuval Noah Harari. Mit welchem man anfangen möchte, ist relativ egal.

Wie sieht die Film- und Fernsehbranche in zehn Jahren aus?
Das hängt sehr davon ab, wie wir sie gemeinsam gestalten wollen. Es gibt zwei große, entgegengesetzte Strömungen. Die eine Strömung geht dahin, dass die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten gestärkt werden, indem zum Beispiel deren gemeinsame Online-Angebote vergrößert werden, um mit deren Inhalten den großen, privaten internationalen Global Playern etwas entgegenzusetzen. Wenn diese Strömung gewinnt, haben wir in zehn Jahren ein sehr reiches und vielfältiges Tableau, mit vielen neuen Ausspielwegen und Lizensierungsmodellen. Die Dystopie hingegen ist getrieben von Kräften, wo man davon ausgeht, dass alle nur für sich selbst sorgen, und dass das öffentlich-rechtliche Angebot zusammenschrumpfen wird. Ich frage mich, wie dann noch Menschen erreicht wollen, die an Bildungs-, an dokumentarischen oder journalistischen Angeboten gar kein Interesse haben. Ich glaube, wenn diese Dystopie sich durchsetzt, dann hat unsere Demokratie ein großes Problem.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich wünsche mir für die Zukunft eine sehr starke gesellschaftliche Verankerung unserer Öffentlich-Rechtlichen. Ich fände eine Ausdehnung ins Netz hinein gut. Ich glaube auch, dass öffentlich-rechtlich sogar noch größer gedacht werden kann und sollte, als nur Rundfunkanstalten und Deutschlandradio. Wir könnten öffentlich-rechtliche Angebote schaffen, die darüber hinausgehen. Das Öffentlich-Recht- liche ist ein sehr kostbares Gut, das es zu erhalten und für eine zukunftsfeste Aufstellung auszuweiten gilt. Diese Ausweitung, diese Investition in die Zukunft ist dringend nötig.

Die Verantwortung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Punkt, den ich noch nicht überall gut umgesetzt sehe. Das bedeutet für mich vor allem eine soziale und ökologische Nachhaltigkeit. Hier und da funktioniert es schon ganz gut. Aber wir müssen uns wirklich gut überlegen, was wir wollen. Wenn wir öffentliche Gelder ausgeben, stehen wir in der Verantwortung für eine soziale und ökologische Nachhaltigkeit. Das ist etwas, was mir total wichtig ist. Im Bereich ökologische Nachhaltigkeit tut sich etwas, allerdings nicht vorrangig von Seiten der Sender, sondern vor allem von Seiten der Filmförderung, z. B. in Baden-Württemberg oder Schleswig-Holstein. Die Öffentlich-Rechtlichen sind da leider ziemlich hinterher. Da gibt es keine verpflichtenden Standards, obwohl es dringend geboten wäre. Wir müssen wirklich schnell handeln, um die Nachhaltigkeitskriterien umzusetzen, die wir als Bundesrepublik Deutschland unterschrieben haben. Deren Ziele werden wir nicht erreichen, wenn wir nur ein bisschen Grün machen. Wir brauchen auch eine soziale Nachhaltigkeit und diese ist noch in keiner Länderförderung und noch in keinem Funkhaus implementiert.

Heinrich Böll Stiftung: Podcast Böll.Fokus zum Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk

Damit Rundfunk unabhängig und frei von Partikularinteressen und Quotendruck funktionieren kann, wurde in Deutschland nach 1945 ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem etabliert. Wir alle finanzieren es mit Gebühren. Gemeinsam stellen wir auch sicher, dass weder Staat noch Regierungen noch Parlamente oder Politik Einfluss auf unseren Öffentlich-Rechtlichen nehmen können: mit Kontrollgremien, die unseren Öffentlich-Rechtlichen kontrollieren. Der Podcast Böll.Fokus zum Thema.

Ich sitze seit 2019 im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks. Dorthin entsendete mich der Bayerische Landtag. Das tut er, weil so nicht nur gesellschaftliche Interessensgruppen, sondern auch von allen Wahlberechtigten in Bayern gewählte Personen im Kontrollgremium des BR sitzen.

Als Rundfunkrätin des BR und Medienpolitikerin war ich im Frühjahr 2022 von der Heinrich-Böll-Stiftung eingeladen worden, bei der Fachtagung Medienstaatsvertrag: Rundfunk- & Fernsehräte vor neuen Herausforderungen dabei zu sein.

Vor welchen Herausforderungen stehen die Rundfunk- und Fernsehräte? Was brauchen sie? Das waren nur einige der Fragen, denen sich der Fachtag der Heinrich-Böll-Stiftung widmete. Eine Zusammenfassung als Text kann man in diesem Interview „Medienstaatsvertrag: Rundfunk- & Fernsehräte vor neuen Herausforderungen lesen.

Am 14. Juni 2022 widmet sich darüber hinaus die neue Ausgabe des Podcasts Böll.Fokus dem Thema Kontrollgremien der Öffentlich-Rechtlichen. Hier könnt Ihr Böll.Fokus hören:

„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist einzigartig. Er ist politisch unabhängig und staatsfern. Er hat einen Auftrag, nämlich ausgewogen und umfassend zu informieren und den Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen, ihre eigene Meinung zu bilden. Ob der Auftrag erfüllt wird, das kontrollieren die Rundfunk- und Fernsehräte.“ – So kündigt die Heinrich-Böll-Stiftung ihren aktuellen Podcast an.

Mit dabei:

  • Philipp Franke, Referatsleiter Medienpolitik Staatsministerium Baden-Württemberg
  • Sanne Kurz, Grüne Abgeordnete Bayern Landtag, Rundfunkrätin Bayerischer Rundfunk BR
  • Hermann Kuhn, Vorsitzender ARD-Programm-Beirat
  • Beate Bäumer, ZDF-Fernsehrätin, Leiterin Katholisches Instituts Erzbistum Hamburg
  • Oliver Passek, Dozent Hochschule für Medien Stuttgart, ehemals Mitglied ZDF-Fernsehrat
  • Christine Horz-Ishak, Kommunikationswissenschaftlerin, Professorin Universität Köln
  • Olaf Steenfadt, Initiative „Unsere Medien“
  • Normann Schuhmann, Initiative „Klima vor acht“

Entwurf des neuen Medienstaatsvertrags oder Weiterführende zum Thema Lesen? Links zum Thema und zum Podcast direkt auf der Böll.Fokus Seite!

Was bedeutet Feminismus für dich? – Interview mit Sanne Kurz zum Weltfrauentag 2022

Jedes Jahr machen viele Menschen bei mir ein Praktikum. Manche schnuppern dabei nur kurz mal rein und laufen in einem „Shaddowing“ Prozess kurz mit. Die, die sechs Wochen oder gar drei Monate bleiben, können sich auch richtig einbringen. Damit von all diesen sehr unterschiedlichen und durch die Bank großartigen Menschen etwas bleibt, bitte ich alle, einen kleinen Abschiedsgruß bei uns im Team zu lassen. Oft ist das eine kleine persönliche Arbeit, zum Beispiel ein Homepage-Post zu unserer politischen Arbeit im Landtag. Die Arbeiten sind immer „100% Made by the Intern“; ein persönlicher Touch, der mich sehr freut und auch mir immer wieder neue Perspektiven gibt. Lest und hört heute:
„Kultur, Politik, Film, Feminismus – Praktikum bei Sanne Kurz im Bayerischen Landtag“ – ein internationaler, feministischer Podcast mit vielen tollen Frauen zum Weltfrauentag von Katharina Kölbl.

Bayern: 2022 niedrigster Frauenanteil im Landtag bundesweit

Wusstet ihr, dass die Frauenquote im Bayerischen Landtag seit der letzten Landtagswahl nur bei 26,8 % liegt, also nur ungefähr jede vierte abgeordnete Person eine Frau ist? Und dass Bayern damit das Bundesland mit dem niedrigsten Anteil weiblicher Abgeordneten in ganz Deutschland ist? Ich wusste das nicht und fand es bei der ersten Landtags-Plenarsitzung, die ich im Livestream mit angeschaut habe, ziemlich frustrierend zu sehen, wie ungleich die Geschlechterverteilung im Bayerischen Landtag noch immer ist. Das ist aber natürlich nur die Spitze des Eisbergs in unserem patriarchalen System, in dem Sexismus und Misogynie tief verwurzelt sind.

Deswegen habe ich mich unter anderem auch wegen der feministischen Politik der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Praktikum bei Sanne Kurz entschieden! Als Studentin der Sozialwissenschaften, Feministin und große Musik- und Kulturliebhaberin habe ich das Praktikum sehr genossen und viel Neues gelernt – sowohl für mein Leben, als auch über die Abläufe im Landtag, was für mein Studium interessant ist. Toll fand ich auch, dass ich an einer Tagung zum Thema Diversität und Teilhabe im Film teilnehmen durfte, dir mir nochmal vor Augen geführt hat, wie komplex das Thema ist und mir viel Stoff zum Nachdenken mitgegeben hat auch für die Zeit nach meinem Praktikum. Vielen Dank an Sanne Kurz und das ganze Team für die interessanten Einblicke und tollen Erfahrungen!

Weltfrauentag 2022

Anlässlich des Weltfrauentages 2022 habe ich bei einer Kultur-Veranstaltung von „Unser Theater“ in Schwabhausen mitgewirkt und dafür ein Interview mit Sanne Kurz und zwei weiteren Frauen geführt*, die sich alle auf unterschiedliche Art und Weise für mehr Gleichberechtigung und Feminismus einsetzen. Ich fand die Antworten wirklich spannend und war nach allen Gesprächen sehr motiviert, mich weiter zu engagieren. Die Videos wurden bei der Veranstaltung am 12. März gezeigt, aber hier sind nochmal alle Antworten. Vielleicht motivieren sie ja auch den einen oder die andere!

VorstellungFeminismusVorbilderEngagementHindernisseFrauentag


Wer bist du?


Was bedeutet Feminismus für dich?


Hast du weibliche Vorbilder?


Wie engagierst du dich und was motiviert dich zu deinem Engagement?


Welche Hindernisse und Schwierigkeiten hast du bei deinem Engagement, aber auch in deinem Leben erfahren, gerade weil du eine Frau bist?


Wieso ist ein Frauentag heute noch wichtig?


* Das Interview mit der dritten Person wurde nicht von mir, sondern einer anderen Person, die an der Veranstaltung mitgewirkt hat, geführt und übersetzt, und nur von mir dazugeschnitten.

#MünchenWirdSichtbar: Mit Lichtstern und Lightpainting für Demokratie, Vernunft, Solidarität, Empathie und Respekt

Mit Nazis „spazieren-gehen“ ist bei aller berechtigter Kritik, die man an den Coronamaßnahmen üben darf und auch muss, ein No-Go. Um dem Aufruf des alten und neuen Bundespräsidenten Steinmeier zu folgen und die ‚schweigende Mehrheit‘ sichtbar werden zu lassen, hat das Bündnis #MünchenWirdSichtbar Hoffnung, Vernunft und den brennenden Wunsch nach mehr Miteinander und Zusammenhalt wortwörtlich auf dem Münchner Odeonsplatz sichtbar gemacht. Sanne war Teil des Bündnisses und hat eine Rede gehalten und ich als Praktikantin war aus Überzeugung auch dabei.

Es ist Donnerstagabend und ich stehe mit einer Kerze und einem Stück Rettungsdeckenfolie am Münchner Odeonsplatz. Hoffnung, Solidarität und Zusammenhalt erscheinen mir in dem Moment noch sehr weit weg – schuld daran sind vor allem die absurd irrationalen und menschenfeindlichen Äußerungen der AfD-Fraktion im Plenum des Bayerischen Landtages, die ich im Livestream mitverfolgen durfte.  Aber es trudeln immer mehr und mehr Leute ein, und mit jeder weiteren Person, die hier ist, um ein Zeichen zu setzen für Demokratie, Vernunft, Solidarität und vor allem Zusammenhalt, steigt auch langsam meine Hoffnung. Bald sind wir Tausend Leute und – was mich am meisten beeindruckt, weil ich das von anderen Demonstrationen nicht gewöhnt bin – es sind Menschen aus ganz unterschiedlichen Altersklassen und aus allen Richtungen.

Menschen, die sonst vielleicht nichts miteinander zu tun hätten, aber alle hier sind, um gemeinsam mit dem Bündnis #MünchenWirdSichtbar ihre Stimme für Zusammenhalt zu erheben – wie es auch mit Kerzen in der Mitte des Odeonsplatzes geschrieben steht. Dasselbe gilt für die Unterstützenden, die ebenfalls in den verschiedensten gesellschaftlichen Institutionen tätig sind. Geleitet durch den Lichtkünstler Ulrich Tausend malen wir mit unseren Handylampen und Rettungsdeckenschnipseln Symbole in die Luft, um uns bei allen zu bedanken, die sich in der Pandemie für uns aufgeopfert haben und um der Opfer der Pandemie zu gedenken.

Während wir die Symbole mit dem Handy in die Luft zeichnen, sind es einfach nur einzelne Zeichen, aber alle zusammengenommen von oben betrachtet, lassen ein tolles Lichtermeer entstehen – das ist auch die Message, die wir meiner Meinung nach aus der Veranstaltung mitnehmen können: Während wir uns in der Pandemie vermutlich öfter denn je allein fühlen in einer Welt, in der es keine Hoffnung mehr zu geben scheint, müssen wir uns immer wieder bewusst machen, dass wir nicht alleine sind. Und das müssen wir auch zeigen. Nicht nur einmal und nicht nur im Hinblick auf die Pandemie. Mit Aggressivität und Gewalt kommt man nicht weit. Mit Zusammenhalt schon.

„Als Mutter eines Kita-Kindes, erlebe ich den täglichen Wahnsinn der Infektionslage für pädagogisches Personal, Kinder und Eltern live mit. Als Kulturpolitikerin im Bayerischen Landtag sehe ich täglich die dramatischen Schicksale von Schaustellern, Musikerinnen, Fotografen, Veranstalterinnen und vielen, vielen mehr, deren Existenz zerstört wurde, die abgewandert sind und nie wieder kommen werden. Ich sehe aber auch die Kraft, die Energie, den Mut, das Durchhaltevermögen und die Hoffnung all dieser Menschen. Für diese Hoffnung setze ich mich ein. Wir haben schon viel erreicht: Wir haben Impfstoffe und wir haben etliche Menschen, die täglich in der Pandemie für uns alle den Kopf hinhalten. Diesen Menschen gilt mein Dank.

Sanne Kurz, MdL Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ulrich Tausend hat als Lichtkünstler die verschiedenen Lichtkunstwerke angeleitet.

„Ich mache bei #MünchenWirdSichtbar mit, da Solidarität kein Spaziergang ist. Natürlich ist es wichtig, dass wir alle, auch z.B. Impfgegner für ihre Überzeugungen demonstrieren können. Aber hinter den “Spaziergängen” steckt eine Strategie, um die demokratischen Grundwerte sowie die Rechtsordnung zu untergraben. Den Organisatoren der “Spaziergänge” ist das bewusst, vielen, die einfach “mitlaufen” aber nicht. Und so freue ich mich bei #MünchenWirdSichtbar gemeinsam mit vielen anderen mit Licht ein leuchtendes Symbol für Solidarität und Demokratie zu malen.“

Ulrich Tausend, Lichtkünstler und Medienpädagoge

Tamara Banez ist Sängerin und Songwriterin und hat auf der Kundgebung ihren neuen Song „Entfreunde Dich“ gesungen, der sich gegen Verschwörungstheorien richtet und von dem damit verbundenen Ende einer Freundschaft erzählt.

„Ich unterstütze #MünchenWirdSichtbar, weil wir auch in unserer Stadt wieder zu mehr Toleranz und offenem Dialog finden müssen. Natürlich haben da auch Ängste und Unsicherheiten einen Platz – und unbedingt kritisches Hinterfragen. Aber jegliche Form von Gewalt ist klar zu verurteilen, ebenso wie mangelnde Abgrenzung nach rechts oder Geschichtsrevisionismus. Und es ist mir ein persönliches Anliegen, an ein solides Grundvertrauen in Wissenschaft, Pressefreiheit und demokratische Strukturen in Deutschland zu appellieren. Denn nur, wenn wir uns noch auf diese gemeinsamen Werte verständigen können, ist ein echter Dialog möglich und damit eine Wiederannäherung in Sicht.“

Tamara Banez, Singer/Songwriterin* bei Konstantin Weckers Label „Sturm & Klang“
cc by-nc Ulrich Tausend und Michael Radeck

Mehr Frauen in die (Kultur-)Politik!

Wir Grüne sind eine feministische Partei. „Mehr Frauen in Machtpositionen!“ ist ein Ziel des bayerischen Landesverbands, der deshalb jedes Jahr ein Förderprogramm für Frauen (FFP), die ihr politisches Engagement ausbauen wollen, anbietet. Teil des FFP ist – neben Workshops und Vernetzungsangeboten – auch eine Mentoring-Programm. In bin beim FFP als Mentorin am Start. Hier ein Bericht von meiner Mentee Florina Vilgertshofer:

Politisches Engagement ist für mich seit meinem Parteieintritt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN selbstverständlich. Als Vorsitzende des Unterausschusses Kultur im Bezirksausschuss der Maxvorstadt in München setze ich mich für die künstlerische und kreative Vielfalt meines Viertels ein. Da ich selbst in der Kulturbranche tätig bin, ist es mir ein großes Anliegen, die Interessen von Künstler*innen und Kreativen auch auf politischer Ebene zu vertreten. Dass mir beim Frauenförderprogramm der Grünen Bayern (FFP) ausgerechnet Sanne Kurz, die Kulturpolitische Sprecherin der Grünen im Bayerischen Landtag, als Mentorin zugeteilt wurde, finde ich deshalb natürlich ausgezeichnet! 

Mein erstes Treffen mit Sanne im Sommer. Es ist Juli, Restaurants sind wieder geöffnet und auch ein paar Open-Air-Konzerte finden statt. Unser Treffen aber dennoch: online. Ich kenne Sanne bereits durch meine Arbeit für das Münchner DOK.fest, doch im Rahmen des Mentoringprogramms entspinnt sich ein persönlicheres Gespräch. Mich interessiert natürlich brennend, wie die ehemalige Kamerafrau zur Grünen Politik und dann in den Landtag gekommen ist. All das und noch viel mehr erfahre ich in dem eineinhalbstündigen Videocall. Mir sitzt eine unglaublich engagierte Frau gegenüber. Eine Frau, die versteht wie die Kulturszene tickt, die sie vertritt. Außerdem versteht sie, wie die Politik tickt und noch viel wichtiger: wie sie vom einen ins andere vermitteln kann.

Sechs Monate exklusive Einblicke hinter die Kulissen

Die kommenden sechs Monate gewährt mir Sanne Einblick in die Arbeit einer Landtagsabgeordneten. Ich habe die Möglichkeit, bei Sitzungen der Fraktion dabei zu sein, bin in die Kommunikation des Teams eingebunden und bekomme eine Führung durch den Landtag. Am spannendsten ist es für mich allerdings, die Diskussion um kulturpolitische Themen auf Landesebene mitzuerleben: den Fair Green Cultural Deal, der die Weichen für eine nachhaltige Entwicklung der Kulturbranche stellt, die Debatte um die Novellierung des Feiertagsgesetz und die damit einhergehende Diskussion zum Tanzverbot an stillen Tagen. Im Herbst stehen unvermeidlich die strenger werdenden Coronamaßnahmen im Fokus – die Absage der Weihnachtsmärkte, die Ungleichbehandlung von Kulturbetrieben versus Handel und Gastronomie und natürlich die Corona-Hilfszahlungen. 

Dieser Einblick bestärkt mich in meiner politischen Arbeit und vor allem in meiner Themensetzung: Denn Kulturpolitik ist nicht nur für Kulturschaffende, Künstler*innen und Kreative relevant. Wir alle profitierten als gesamte Gesellschaft von einer vielfältigen und lebendigen Kulturszene, die es nur geben kann, wenn die notwendigen politischen Rahmenbedingungen gesetzt werden. Dafür braucht die Szene starke und versierte Stimmen in unseren Parlamenten – so wie Sanne Kurz im Bayerischen Landtag. 

Mitmachen beim Frauenförderprogramm Grüne Bayern hat sich für mich gelohnt

Auch wenn das FFP natürlich viel zur kurz war, habe ich aus diesen sechs Monaten sehr viel mitgenommen – auch dank meiner unglaublich engagierten und offenen Mentorin Sanne Kurz. Jeder Grünen Frau, die sich weiterbilden, vernetzen und politisch aktiv(er) werden will, aber nicht ganz genau weiß, wie oder auf welcher Ebene, kann ich deshalb nur empfehlen: bewirb dich für das Frauenförderprogramm – es lohnt sich! 

Wenn wir „Schule in der Pandemie“ sagen und den Umgang mit Menschen meinen. Ein Gastbeitrag von Susanne Weiß.

Vor ziemlich genau einem Jahr hatte ich den Gemeinsamen Elternbeirat und die Elternvertretungen der Schulen im Münchner Osten zu einem Runden Tisch eingeladen. Einiges lief nicht rund und vieles ist auch inzwischen Besser. Die Behandlung junger Menschen in der Pandemie im Allgemeinen und der Umgang mit Bildung im Besonderen zeigt aber eine Prioritätensetzung der CSU-FW-Regierung, die beschämend ist. – Zu diesem Thema hier ein Gastbeitrag von Susanne Weiß. Sie hat diese Zeilen aus ihrer Perspektive als Mutter zweier halbwüchsiger Kinder geschrieben. Sie ist zudem Fraktionssprecherin der GRÜNEN im Bezirksausschuss 15 Trudering-Riem. – Mich bewegen diese Worte total. Nicht zuletzt, weil es auch um Musik als Sternstunde dessen, was Schule sein kann, geht.

Betreff: Schubeck darf, Schulen dürfen nicht – Schreiben an Herrn Prof. Piazolo und Herrn Dr. Söder

Sehr geehrter Herr Kultusminister Piazolo, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Söder, 

sicherlich haben wir alle inzwischen viel gelernt aus der Pandemie und dem Umgang mit ihr. Auch beim Thema Schule hat es inzwischen ein Umdenken gegeben und darüber bin ich sehr froh. Die langen Schulschließung 2020 und 2021 haben mich bestürzt, dachte ich doch, es gäbe einen Konsens, dass die Schließung von Präsenzschule eine Maßnahme ist, die nur das allerallerletzte Mittel sein kann. Selbst in den Erzählungen meiner Eltern aus Kriegszeiten, in denen sie Kinder waren, scheint der Schulbetrieb das letzte gewesen zu sein, was aufgegeben wurde und das Erste was nach Kriegsende wieder begonnen hat. 

Gut also, dass die Schulen im neuen Schuljahr nicht geschlossen wurden. Es scheint für mich jedoch, dass es nach wie vor mehr Ernstnehmen und mehr Wertschätzung braucht, wenn es um die Rolle und Leistung unserer Schulen geht. Ich möchte Ihnen dies an einem Bespiel schildern. Sie können dann auch besser nachvollziehend, warum mich die erneute Absage der Weihnachtskonzerte an der Schule meiner Kinder – die in dieser Woche stattgefunden hätten – so bedrückt hinterlässt und warum es dabei um weit mehr geht als zwei Konzerte. 

Es geht um weit mehr als um zwei Konzerte

Die Schule meiner Kinder hat uns vor 3-4 Wochen mitgeteilt, dass aufgrund der Bestimmungen des Kultusministeriums bis auf Weiteres Gruppenunterricht in Gesang oder an Blasinstrumenten verboten ist. Das bedeutet, dass keine Chorproben oder Big Band – Proben stattfinden durften, bei denen gesungen oder durch ein Blasinstrument geblasen wurde. Außerdem sind „Schulveranstaltungen mit Freizeit- oder Kulturcharakter“ bis auf weiteres verboten. Das bedeutet für die Schule konkret, dass keine Konzerte, Schülervorspiele, usw. durchgeführt werden dürfen.  

Zufällig ist mir bekannt, dass am Tag zuvor die Schulleitung und die Musiklehrkräfte zusammensaßen, um intelligente Lösungen zu finden, damit Auftritte und Proben trotz Pandemie stattfinden können. Offenbar hat ihnen das kultusministerielle Schreiben dann keinen Spielraum mehr für eigenständiges Handeln gelassen. 

Zur Einordnung: ich bin selbst Epidemiologin

Damit Sie mich richtig einordnen können: Seit Ausbruch der Pandemie hatte ich für viele Regelungen Verständnis. Ich bin selbst Epidemiologin, dem NDR Coronapodcast mit Herrn Drosten und Frau Ciesek lausche ich seit mehr als 100 Folgen. 

Ja, Einschränkungen mussten sein, aber für Schulen galten aus meiner Sicht oft strengere Regeln als für andere Bereiche! Gehe ich derzeit an einem Nachmittag/Abend oder gar Samstag in die Riem-Arcaden ist es dort rappelvoll, voller als es in jeder Schulaula gewesen wäre, bei einem nach Coronaregeln geplanten Konzert.  Herr Schuhbecks Teatro darf mit Hygienekonzept Essen und Unterhaltung servieren – Schule dürfen nichts dergleichen. Das sind unterschiedliche Standards. Wo bleibt da der Schutz von Schule? 

Konzerte sind Sternstunden dessen, was Schule sein kann

Sie mögen jetzt denken, dass es bei den Schulen doch hauptsächlich um die Aufrechterhaltung des Unterrichts geht. Warum regt sich hier eine Mutter über zwei ausgefallene Schulkonzerte auf? Bleiben wir beim Beispiel „Schulkonzerte“: Sie sind viel mehr als nur ein paar Stunden Musik am Abend. Sie sind einer der Sternstunden von dem, was Schule sein kann. Viele Kinder und Jugendliche haben sich wochenlang vorbereitet und dann sitzt man da als Eltern und fragt sich, wie Lehrer*innen so was schaffen und freut sich an der Gemeinschaft. Eine Art Seelenbad – so viele junge Menschen da oben auf der Bühne schaffen was so Schönes gemeinsam. Das ist mehr als Musik – und tut allen, besonders aber den Kindern und Jugendlichen gut, tröstet vielleicht sogar über so manchen Ärger im Schulbetrieb hinweg. Von unserem stolzen Oberstufenchor, dem einmal mehr als die Hälfte aller Schüler*innen der Jahrgangsstufen angehörten ist durch Corona ein kärgliches Grüpplein übriggeblieben.  

Ich würde mir wünschen, dass Sie Ihren Schulen und Schulleitungen mehr Vertrauen schenken, Ihnen den notwendigen Spielraum geben und Ihnen – auch gegenüber manch unliebsamen Eltern – den Rücken stärken. Das gilt für die Pandemie, es gilt aber ebenso für den gesamten Schulbetrieb zu Nicht-Coronazeiten. Unsere Schulen müssen wieder spüren können, welche hohe Wichtigkeit sie für die geistige, seelische und physische Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen – unserer Gesellschaft haben.  

Unsere Schulen müssen wieder spüren können, welche hohe Wichtigkeit sie für die geistige, seelische und physische Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen – unserer Gesellschaft haben.

Ich bitte Sie, legen Sie meine Zeilen nicht entnervt zur Seite, sondern geben Sie den Anmerkungen eine Chance. Und wenn Sie selbst gar nicht derjenige sind, an den dieses Schreiben gerichtet ist, so bitte ich den/die Lesende, mein Schreiben an Herrn Prof. Piazolo und Herrn Dr. Söder weiterzureichen.

Lassen Sie mich Ihnen abschließend ein gesegnetes Weihnachten wünschen! Ich hoffe, Sie merken, dass ich keine renitente Mutter bin, die sich nur um das Wohl ihres eigenen Nachwuchses kümmert. Es geht mir um uns als Gesellschaft. 

Blieben Sie gesund auch in 2022! 

Freundliche Grüße 
Dr. Susanne Weiß 

cc. an die bildungspolitischen Sprecher*innen der demokratischen Parteien im Landtag

„Quo vadis, Kulturpolitik?“ – Gastbeitrag im Magazin des Paul-Klinger-Künstlersozialwerk e.V.

Wie viele Menschen in unserem Land bin ich ehrenamtlich aktiv. Unter anderem bin ich Mitglied des Paul-Klinger-Künstlersozialwerk e.V. und engagiere mich dort ehrenamtlich im Vorstand. Gelegentlich schreibe ich Beiträge für das Mitglieder Magazin, den „Klinger Report“. In meinem Gastbeitrag vom 18.10.21 setze ich mich mit der Kulturpolitik der neuen Ampel-Regierung auseinander – und feire selbstverständlich den Start unserer neuen Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth!

2021-07-Paul Klinger Künstlersozialwerk KSK Hilfe Beratung sozialversicherung Künstlerin Künstler Kreative

„Klassik bis Comic, von Plattdeutsch bis Plattenladen.“

Zur Kulturpolitik der Ampel-Koalition
von Sanne Kurz

Kultur als Staatsziel, Barrierefreiheit, Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit – das sind Schlagworte aus dem Koalitionsvertrag, die den Ampel-Blick auf Kultur illustrieren: weniger Humboldt-Forum und mehr gerechte Teilhabe aller, ob im Publikum und auf der Bühne, heute – und auch mit Blick auf die kommenden Generationen.

Wann, wenn nicht jetzt?
Wo, wenn nicht hier?
Wie, wenn ohne Liebe?
Wer, wenn nicht wir?

 – Diese Fragen aus einem Songtext von Rio Reiser schickte mir Claudia Roth 2018 auf ihrer Karte mit Weihnachtsgruß. Er zeigt nicht nur, wie Lyrik, Musik, ja die gesamte Kultur ihr Richtschnur in Handeln und Leben sind, sondern er steht auch für das mitreißende Anpacken der Ikone Claudia Roth. Exzellent in der Bundespolitik wie im Kulturbereich vernetzt, äußerst erfahren, weitsichtig, kämpferisch und klug gibt sie für die Kultur das Amt der Bundestagsvizepräsidentin auf. Ja, ein „Abstieg“ auf der Karriereleiter, aber ein wichtiger Schritt „rauf“ für die Kultur in unserem Land. Als Mit-Initiatorin der „Brüsseler Erklärung“ für die Freiheit der Kunst ruht Roths Arbeit auf den Grundfesten unserer Demokratie.  Für die neue Kulturstaatsministerin wird als Ministerin ohne eigenes Ministerium eins aber wichtig sein: der gute Draht zum FDP-Finanzminister, Christian Lindner.

Neue Wege gehen, Horizonte öffnen

In der Kulturpolitik der neuen Bundesregierung geht es nun darum, neue Türen aufzustoßen, neue Schwerpunkte zu setzen. „Wir wollen Kultur mit allen ermöglichen, indem wir ihre Vielfalt und Freiheit sichern, unabhängig von Organisations- oder Ausdrucksform, von Klassik bis Comic, von Plattdeutsch bis Plattenladen.“, so steht es im Koalitionsvertrag. Wo nach 16 Jahren GroKo einerseits Prachtbauten und Gespräche die Kultur prägten – James-Simon-Galerie, Humboldt Forum, der Reformprozess der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder die Provenienz-Debatte mit dem zahnlosen Tiger Limbach-Kommission – kam andererseits einiges an Fördermitteln zusammen. 

Dass hier Kontinuität regieren wird, ist bereits an der Verlängerung der Bundes-Corona-Hilfen wie den sogenannten „Geistertickets“, dem Ausfallfonds, den Überbrückungshilfen III und dem Neustart-Programm erfreulich sichtbar.

Fairness als Ziel

Konkret wird der Koalitionsvertrag dann beim Urheberrecht und der sozialen Absicherung: ein fairer Interessensausgleich mit Blick auf die Vergütungssituation für kreative Inhalte findet sich dort ebenso wie der Willen, Soloselbstständige und Hybridbeschäftigte besser abzusichern, die KSK zu stabilisieren und die erhöhten Hinzuverdienstgrenzen aus nicht-künstlerischer Selbstständigkeit beizubehalten. Auch der Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung soll nach Willen der drei Partner erleichtert werden. Die Grundrente soll mit Blick auch auf die Lage der Kreativen evaluiert werden, für neue Soloselbstständige soll die gesetzliche Rentenversicherung zum Regelfall werden, wer lieber privat vorsorgt, kann mit Opt-Out Modell den schützenden Hafen verlassen. Die GRÜNE Idee des Existenzgeldes klingt jetzt so „Um auch bei zukünftigen schweren Krisen, die zu nicht selbst verantworteten Erwerbsausfällen führen, Selbstständige auch bei der Finanzierung ihrer Lebensunterhaltskosten schneller und besser helfen zu können, treffen wir Vorsorge für steuerfinanzierte Wirtschaftshilfen.“; von der SPD kommt die Idee des Kultur-Plenums, die es auch in den Vertrag geschafft hat: Länder, Kommunen, Kulturproduktion, Verbände und Zivilgesellschaft sollen daran beteiligt werden um die Zusammenarbeit zu verbessern – eine Art „Kulturbeirat“ auf Bundesebene.

Neu kommen werden laut Ampel-Vertrag eine Ansprechperson für Kultur- und Kreativwirtschaft, eine zentrale Anlaufstelle „green culture“, ein Kompetenzzentrum für digitale Kultur, eine „Bundesstiftung industrielles Welterbe“ und ein Sonderprogramm „Globaler Süden“.

Parität der Geschlechter als Selbstverständlichkeit

Frauen im Kulturbereich sollen vom überfälligen Schließen des Gender-Pay-Gaps profitieren, Jurys will die Ampel geschlechterparitätisch und divers besetzen und Begrenzungen von Amtszeiten ermöglichen. Die verbesserte Präsenz von Frauen in Führungspositionen soll mit einer ebenfalls besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Elternteile voran gehen.

Blicken wir nach Rheinland-Pfalz, wo eine Ampelkoalition seit Jahren weitgehend geräuschlos und durchaus erfolgreich regiert, sieht man eine für ein ländlich geprägtes Flächenland mir Wald, Weinbau und ohne größere Metropolen eine durchaus solide Kulturpolitik. Die Regierung dort will „nicht nur in den Ballungsräumen, sondern auch in den ländlichen Regionen des Landes, die Teilhabe an Kunst und Kultur zu ermöglichen“, das Ministerium nutzt hier zentral die kulturelle Bildung als Instrument. 

Kultur von klein auf als Wert vermitteln. Auch den Menschen in der Fläche kulturelle Teilhabe bieten. Das ganze dann noch mit sozial-ökologischer Nachhaltigkeit garniert und natürlich digital. Angeführt von Claudia Roth als kulturaffiner, kraftvoller Kämpferin für Kunstfreiheit und Vielfalt, die die Theater- und Musikszene aus eigener Erfahrung kennt. – Das klingt doch nach vier Jahren, die gute werden könnten für die Künste und die Kultur in unserem Land.


Update: Inzwischen wurde Erhard Grundl, mein Kulturpolitik-Kollege aus Straubing, der für uns im Bundestag sitzt, von der Bundestags-Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Sprecher für Kultur und Medien gewählt. Hier findet Ihr seinen Gastbeitrag zur Wahl und die Instagram-Links aller für Kultur zuständigen Grünen Kolleginnen und Kollegen inklusive Kulturstaatsministerin Claudia Roth.

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Sprecher für Kultur und Medien – ein Gastbeitrag von Erhard Grundl

Nach erfolgreicher Unterzeichnung des Ampel-Koalitionsvertrags und Benennung unserer neuen Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, wird das Bild der neuen Bundes-Kulturpolitik komplettiert. Mein bayerischer Kollege Erhard Grundl wurde am 10. Dezember 2021 zum Sprecher für Kultur und Medien gewählt. Ich gratuliere ganz herzlich und freue mich, die gute Zusammenarbeit mit der starken Stimme aus Straubing in Berlin fortsetzen zu können. Hier findet Ihr den Gastbeitrag meines Kollegen Erhard Grundl zur Wahl.

Die Besetzung der Ausschüsse der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag ist auch dann, wenn man dem Bundestag bereits länger angehört, immer wieder spannend. Die Impulse der gemeinsamen Arbeit in der kommenden Legislatur werden durch die Dynamik zwischen uns Kolleginnen und Kollegen maßgeblich mitbestimmt und neue Schwerpunkte und Perspektiven komplettieren unsere Arbeit.

Sprecher für Kultur und Medien

Heute hat mich unsere Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Leiter der Arbeitsgruppe Kultur und Medien der Fraktion gewählt – und damit auch in den erweiterten Fraktionsvorstand. Außerdem darf ich als Obmann für den Ausschuss Kultur und Medien in der 20. Wahlperiode als Sprecher meiner Fraktion fungieren. Ich freue mich sehr, meine Arbeit im Bereich der Kulturpolitik damit fortsetzen und intensivieren zu können und nehme auch gerne die für mich neuen Herausforderungen in der Medienpolitik an.

Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien

Dass jetzt mit meiner geschätzten Kollegin Claudia Roth, eine der bekanntesten Politikerinnen Deutschlands das Amt der Kulturstaatsministerin im Bundeskanzleramt bekleidet, gibt der Kultur- und Medienpolitik insgesamt einen klaren Bedeutungszuwachs. Das wird meine Arbeit im Ausschuss entscheidend prägen und auch verändern.

Team Bundes-Kulturpolitik Grüne Claudia Roth Erhard Grundl Luise Amtsberg Kirsten Kapper-Gonther

Unser Grünes Team „Kultur & Medien“ findet Ihr auf Instagram unter @amtsbergluise, @emiliafester, @lime_green_leni, @kirstenkappertgonther, @awettesfaiesus und @erhard.grundl -sowie natürlich @claudiaroth_official persönlich und via BKM @bundeskultur.

Mich erreicht Ihr über meine Homepage Erhard Grundl.

Auf bald!
Euer Erhard Grundl.


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Interview mit ProQuote Film: Gamechanger – Sanne Kurz

12.11.2021

ProQuote Film setzt sich für mehr Diversität in der Film- und Medienbranche ein und kämpft für die gleiche Verteilung von Mitteln und den Einsatz von mehr Frauen* vor und hinter der Kamera. ProQuote Film hat mich für die Interviewreihe „Gamechanger“ eingeladen, wo ich über das Frausein in der Filmbranche erzählte und warum eine Frauenquote wichtig ist.

Nur 30 Prozent der Sitze im Rundfunkrat des BR, in dem ich Mitglied bin, sind von Frauen besetzt. Hier wird mal wieder deutlich, wie wichtig die Stärkung der Repräsentation von Frauen* in der Medienwelt ist – nicht zuletzt weil genau hier Vorbilder für junge Frauen entstehen.

ProQuote Film ist die Stimme der Filmschaffenden in Deutschland, die sich für Geschlechtergerechtigkeit engagieren wollen. Die NGO organisiert für diesen Zweck beispielsweise den „Quotenkongress Womxn for Womxn“, bei dem ich zu Gast auf dem Panel „Pro Quote. Systemfehler Männerquote“ sein durfte. Besonders gefreut hat mich die Interviewanfrage von ProQuote Film. Ich bin schon sehr lange Mitglied, war als Filmemacherin dabei und kämpfe jetzt in Rundfunkrat und Bayerischem Landtag weiter für Gleichstellung in Film und Medien. Einen Einblick in diesen Weg von mir als Frau, als Mutter, als Filmemacherin und Politikerin teilen zu dürfen, war mir eine große Ehre. Die Gamechanger Interviews sind alle super lesenswert, wie ich finde – reinklicken lohnt.

Hier findet ihr den Link zu meinem Interview aus der Serie Gamechanger:

Interview über die LGBTQI+- Community

In meinem Büro biete ich an, in den Landtags-Alltag reinzuschnuppern. Kurzes Shadowing oder längeres Praktikum: Alle im Team haben die Möglichkeit, zum Abschluss eine eigene, persönliche Arbeit zu machen. Ich mag nicht nur, dass so von all den Persönlichkeiten, die uns bereichern, etwas bleibt, sondern finde auch, dass immer wieder tolle Beiträge entstehen! So wie dieser Artikel unserer Praktikantin, die nach ihrem Abi bei uns war und ab Herbst im Studium durchstartet.

Für mein Abschlussprojekt habe ich mich entschieden, einen Beitrag über die LGBTQI+ -Szene zu machen. Hierzu habe ich Arne Brach und Tessa Ganserer interviewt. Arne ist Parlamentarischer Berater für Queerpolitik bei der Grünen Fraktion Bayern, Tessa ist Sprecherin für Queerepolitik bei der Grünen Fraktion im Bayerischen Landtag.

Arne, Was macht man als Parlamentarischer Berater für Queerpolitik?

Die Parlamentarischen Berater*innen (PBs) in der Fraktion sind sozusagen die Fach-Referent*innen für bestimmte Themengebiete. Ich berate also die Fraktion und insbesondere die Fach-Sprecherin unserer Fraktion für Queerpolitik Tessa Ganserer zu Themen, die Queerpolitik betreffen oder sie tangieren. Ich lese Nachrichten mit entsprechenden Inhalten, schaue was in dem Themengebiet in Deutschland und auf der Welt passiert und versuche dann Wege zu zeigen, wie man diese Anliegen oder eben auch eigene Ideen in Bayern voranbringen kann. Dazu kommt die Organisation entsprechender queerpolitischer Veranstaltungen wie Vernetzungstreffen, Fachgesprächen mit Vereinen, Verbänden oder Akteur*innen und die Vorbereitung von Sachverständigenanhörungen.

Nach Rücksprache mit den zuständigen Abgeordneten schreibe ich Anträge und Schriftliche Anfragen für die parlamentarische Arbeit.

Wie bist du dazu gekommen?

In der letzten Legislatur bis 2018 war ich beim damaligen Sprecher für Queerpolitik als Persönlicher Mitarbeiter für den Themenbereich zuständig. Der Unterschied zwischen Persönlichen Mitarbeiter*innen (PMs) und Parlamentarischen Berater*innen ist, dass die PMs nur für den*die Abgeordnete*n tätig sind, die PBs hingegen theoretisch für alle Abgeordneten arbeiten, weil die Arbeitgeberin die Fraktion ist.

In der neuen Fraktion war nach der Wahl der Fachbereich Queerpolitik neu zu besetzen. Ich habe mich dann einfach um die Stelle beworben und sie bekommen.

Was wollen Queere Vertreter*innen und Verbände konkret von der Politik, bzw. was kann die Politik für die LGBTQI+- Community tun?

Queere Menschen gehören zu strukturell benachteiligten und diskriminierten Personen. Unsere Gesellschaft ist historisch bis dato „heteronormativ“ und „binärgeschlechtlich“ konditioniert und gewachsen. Heteronormativ heißt, dass die Verbindung zwischen Frau und Mann der Norm entspricht. Binärgeschlechtlich bedeutet, dass man geschlechtlich nur von Männern und Frauen spricht. Intergeschlechtlichkeit, also das Vorhandensein von männlichen und weiblichen geschlechtlichen und/oder hormonellen und/oder genetischen Merkmalen und Transsexualität – also die individuelle Entscheidung, dass ein Mensch trotz optisch anders zu interpretierenden Merkmalen und dem deswegen im Ausweis zugewiesenen Geschlecht dieses ändern will, weil er*sie sich anders sieht und damit auch anders ist – wurden, wie auch Homosexualität, lange Zeit als Störung und Krankheit betrachtet. Homosexualität war in Deutschland bis 1994 unter bestimmten Voraussetzungen sogar noch eine Straftat.

In vielen gesellschaftliche Gruppen und Schichten ist dieses Denken von Norm sehr verankert. Und in vielen Strukturen ebenso. So gibt es im Sport zum Beispiel für trans* oder inter* Personen aktuell keinen Platz, außer theoretisch vielleicht in Präzisionssportarten wie Bogenschießen oder Denksportarten wie Schach. In Schulen gibt es keine geschlechtsneutralen Toiletten. In Justizvollzugs- oder Maßregelvollzuganstalten gibt es nur Einrichtungen für Männer und Frauen. Wenn man sich als Kunde online irgendwo registriert, gibt es oft nur die Auswahl zwischen „Herr“ und „Frau“ bei der Anrede. Trans* Menschen müssen aktuell zur Erzielung einer Änderung des Personenstands deutlich machen, dass sie in dem gewählten Geschlecht leben wollen, also dementsprechend am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, können aber ihren Pass deswegen noch nicht ändern. Somit sind Trans* Personen also zum Beispiel gezwungen, bei einer Passkontrolle oder einem Behördengang ihren alten, ungeliebten Pass vorzuzeigen mit einem Bild, dass nicht ihnen entspricht. Beamte, die sich in der Thematik nicht auskennen, konfrontieren diese Personen dann mit Vorurteilen, Verdächtigungen und manchmal auch Ablehnung. Das ist eine Qual, eine Demütigung.

Queere Menschen, Verbände, Akteur*innen fordern von der Politik also, alles zu tun, um Diskriminierung abzubauen und Aufklärung als Basis für Akzeptanz voranzubringen. In Schulen, bei der Polizei und bei Behörden, im Sport und in den Medien.

Alle Bundesländer haben zu diesem Zweck einen „Aktionsplan gegen Diskriminierung und für Akzeptanz“ – nur Bayern nicht, weil die CSU das nicht will.

In diesen Plänen werden klare Ziele formuliert in den verschiedenen Bereichen und Wege, die dort hinführen sollen, beschrieben. So kann man Fortschritte immer wieder überprüfen und an Stellschrauben drehen.

Wie weit sind wir als Gesellschaft mit Toleranz gegenüber der LGBTQI+-Community?

Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Gesellschaft ist ja divers.

Es gibt Land und Stadt, finanziell schwach und finanziell stark, verschiedene Kulturen und Glaubensrichtungen, verschiedene Parteien, verschiedene Arbeitsbereiche und Bildungs- und Wissensstände. Im Kulturbereich ist es z.B. bestimmt üblicher und leichter, akzeptiert zu werden als z.B. im Profifußball, wo sich bisher nur Ehemalige outeten. Queere Menschen in Großstädten sind „normaler“ als im Pfälzer Wald.

Und dann besteht die Welt ja nicht aus Deutschland. In gut zehn Ländern wird Homosexualität mit dem Tode bestraft, in vielen Dutzend anderen Ländern mit Gefängnis. Und auch wenn es rechtlich mancherorts gut aussieht: Wenn die Gesellschaft nicht mitmacht, ist das nichts wert. Es gibt Verfolgung, Verschleppung und Mord an Menschen, die als vogelfrei betrachtet werden. Die enorme Quote an Suiziden und suizidären Gedanken innerhalb der Community kommt nicht von ungefähr. Sie liegt an der Prägung, dass hetero normal ist, und dass es neben Mann und Frau nichts gibt.

Selbst wenn Homosexualität legal ist, heißt das nicht, dass man nicht dennoch deswegen vor einem Club totgeprügelt werden kann. Auch in der EU, wie wir am Fall „Samuel“ in Spanien gesehen haben in dieser Woche.

Aufgabe der Politik ist es, die Grundsteine zu legen für eine nötige Aufklärung und Sensibilität auf Basis völliger rechtlicher Gleichstellung, damit die Abneigung und die Diskriminierung abnehmen. Die Politik muss vorleben, was sie von der Gesellschaft verlangt und erwartet. Das beginnt schon in der Schule. Wenn es zum Beispiel in Mathematik mal Textaufgaben gäbe, in denen Inge und Sabine statt Inge und Martin sich ein Haus kaufen wollen, wenn in Deutsch Romane gelesen würden, in denen Homosexualität nicht das merkwürdige, subtile Hauptthema ist, sondern einfach „normal“, wenn in Geschichte Homosexuellenverfolgung im Holocaust nicht ausgeklammert wird – dann sind das Keimzellen für Akzeptanz von Vielfalt.

Insgesamt stehen wir in Deutschland natürlich vergleichsweise gut da. Aber dass mit der Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare alles erledigt ist, ist ein Märchen. Es gibt viel zu tun und es gibt auch hier in der Politik Widerstände. Insbesondere bei Union und natürlich Parteien am rechten Rand.

Muss man sich als Homosexuelle*r noch outen?

Die Gesellschaft zwingt Homosexuelle dazu. Oft hört man ja sowas wie „Gleichstellung schön und gut, aber müsst ihr Schwulen und Lesben das immer so rausposaunen?“. Aber tue ich das, wenn ich in der Arbeit die Frage einer Kollegin „Was hast du am Wochenende gemacht?“ wahrheitsgemäß beantworte mit „Ich war (als Mann) mit meinem Mann/Freund/Lebenspartner im Kino.“  Verschweige ich das, leugne ich mich und es geht immer so weiter mit der heteronormativen Gesellschaft und der Unsichtbarkeit von Vielfalt. Antworte ich ehrlich, wird es als  Outing betrachtet, als Rumposaunen, als vor mir Hertragen. Und es bringt eben das Risiko von Diskriminierung mit sich. Arbeitsplätze sind keine diskriminierungsfreien Zonen. Das sind Tatsachen.

Wird es der Community (Szene ist nur ein Teil der Community) gerecht, nur die männliche und weibliche Form zu nutzen, oder ist die Schreibweise mit Sternchen heute Pflicht, bei allen, die die Community akzeptieren?

Der Gender-Stern löst keine Probleme, aber er trägt zur Sichtbarkeit bei. Ist es nicht kurios, dass ein kleines Sternchen Menschen in regelrechten Aufruhr versetzt und so viel Abneigung und Hass zutage fördert? Das ist der Beweis dafür, dass der Gender-Stern funktioniert und nötig ist. Dabei verstehen die meisten gar nicht, dass es dabei nicht um Sichtbarmachung von Frauen geht, denn da könnte man auch einfach weiter von „Damen und Herren“ und von „Lehrerinnen und Lehrern“ sprechen.
Es geht beim Genderstern zum einen grundsätzlich um das Auflösen des Patriarchats in der Schriftform. Es gibt ausreichend Studien, die belegen, dass bei der Nutzung des generischen Maskulin eben an Männer gedacht wird und nicht an alle Geschlechter.
Zum anderen geht es konkret darum zu sagen: Es gibt nicht nur Männer und Frauen! Denn seit 22.12.2018 haben Menschen das Recht, sich nicht männlich oder weiblich einordnen lassen zu müssen. Und damit haben sie auch ein Recht auf Ansprache und Sichtbarkeit. Ob das am Ende in der Schriftform durch einen Stern oder einen Doppelpunkt passiert, ist egal. Und ob es beim Sprechen durch die Nutzung des Glottisschlages oder durch Nutzen geschlechtsneutraler Wörter passiert, wie „Studierende“ statt „Studenten“, ist egal. Tatsache ist: Das generische Maskulin ist überholt. Sprache entwickelt sich weiter.

Der Aufschrei war riesig, als die UEFA verboten hat, die Allianz Arena in Regenbogenfarben zu beleuchten. Reicht es, sich wie Markus Söder eine Regenbogen-Maske aufzusetzen, oder muss jede*r als Privatperson noch mehr tun als nur politische Symbole zu tragen?

Es wäre schon fabelhaft, wenn alle Menschen, die die Akzeptanz von queeren Menschen ernst nehmen, dass zum einen nicht nur an einem Tag im Jahr tun, oder weil es sich gerade anbietet, wie beim UEFA-Skandal, sondern immer, wo es nötig ist.
Als Beispiel seien Petitionen genannt. Wenn queere Menschen eine Petition starten, für zum Beispiel einen Aktionsplan in Bayern, dann unterschreiben das queere Menschen. Es müssen aber alle tun, denen das ein ernstes Anliegen ist. Vielfalt und eine friedliche Gesellschaft liegen nicht nur im Interesse von LGBTQI+s, sondern von viel mehr Menschen. Und die müssen den Mund aufmachen, wenn sie gefragt werden, und Stellung beziehen.

Deine Meinung zu Orbans sogenanntem „Kinderschutz- Gesetz“?

Es ist neben den queerfeindlichen Gesetzen, die dort schon seit Jahren in Kraft sind, ein Anachronismus. Es schafft in der EU zwei Pole, die den Anschein erwecken, es sei okay, queerfreundlich zu sein aber auch queerfeindlich zu sein. Demokratien müssen auch ihre Minderheiten schützen, statt angeblichen Mehrheiten nach dem Mund zu reden. Es geht um Menschenrechte! Die neuen Gesetze stärken jede queerfeindliche Strömung. Gerade Kinder und Jugendliche brauchen Zugang zu Büchern und Medien, die zeigen, dass queer sein nichts Falsches ist.

Ist es in Ordnung, dass Staaten wie Ungarn und Polen (Abtreibungsgesetzt) noch in der EU sind, das widerspricht doch auf jeder Ebene den Werten der Europäischen Union?

Solange es in solchen Fällen keine wirksamen Sanktionen gibt, ist es wohl in Ordnung – rechtlich. Moralisch sehen das die einen so und die anderen so. Wer das nicht will, muss die EU auf ein neues Wertefundament setzen. Das ist aber fast ein Ding der Unmöglichkeit, da alle Regelungen, die alle betreffen, einstimmig sein müssen (was nicht grundsätzlich falsch ist, denn es könnte ja auch mal in die andere Richtung kippen). Wenn doch mal eine gemeinsame Haltung der EU gelingt, dann kommt der kleinste gemeinsame Nenner raus. Menschenrechte brauchen aber auch in der EU den großen Wurf. Das wird erst gelingen, wenn Aufklärung und Akzeptanz weiter wachsen und wachsen und irgendwann in allen EU-Staaten Regierungen im Amt sind, die solche Werte gemeinsam festschreiben und Sanktionen oder gar einen Rauswurf von Nationen ermöglichen.

Aber auch da muss man sich fragen: ist den queeren Menschen in Polen, in Ungarn, in Bulgarien geholfen, wenn ihre Länder rausgeworfen würden? Oder brauchen die besonders die Solidarität der restlichen EU-Länder?

Tessa Ganserer

Tessa, du bist mit 21 Jahren den Grünen beigetreten. Warum? Was hat dich dazu bewogen?

Bei den Grünen bin ich 1998 eingetreten. Damals war Helmut Kohl Kanzler, schon solange ich denken konnte. 1998 war die erste Wahl, bei der ich auch mein Kreuzchen setzen durfte, aber ich wollte nicht nur ein Kreuz auf den Stimmzettel setzen, sondern auch einen Beitrag leisten, dass es zu einem Politikwechsel kommt. Es herrschte eine Aufbruchsstimmung, und ich wollte aktiv am Wahlkampf teilhaben. Wir sind mehrere Wochen lang mit dem Auto durch Bayern gefahren und haben auch in sehr kleinen Orten Wahlkampf gemacht.

Wie hat dein Umfeld auf dein Outing reagiert?

Ich habe viel positives Feedback erhalten, auch von meinen Kollegen und Kolleginnen und auch viele sehr persönliche Zuschriften. Aber vor allem auf Social Media blieben auch Hass-Kommentare nicht aus.

Wie oft erfährst du Diskriminierung? Gibt es mittlerweile mehr Akzeptanz?

In den Sozialen Netzwerken erhalte ich oft Beleidigungen, bis hin zu Bedrohungen, und auch auf der Straße treffe ich auf Anfeindungen. Aber vor allem die alltäglichen Situationen sind oft schwer. Zum Beispiel beim Ausweisen, weil mein Ausweis nicht meine wirkliche Identität abbildet. So bin ich immer wieder gezwungen Fremden meine Transsexualität zu erklären. Das Leben wird der queeren Community systematisch erschwert (Bsp.: im Gesundheitssystem, öffentliche Toiletten), und Ausgrenzungen in vielen Bereichen gehören zum Alltag. Das ist sind wirkliche Probleme, die einen tagtäglich betreffen.

Gibt es auch innerhalb der LGBTQI+-Community Diskriminierung und Anfeindungen?

Ja, auch in der Regenbogen-Community gibt es Rassismus und Ablehnung, Abwertungen, Menschen mit Behinderung werden oft nicht akzeptiert und transfeindliche Äußerungen gibt es. 7-10 % der Bevölkerung sind queer, die Regenbogen-Community bildet einen Querschnitt der Bevölkerung. Daher gibt es natürlich auch Menschen mit rassistischem Denkmuster, Menschen, die sich transfeindlich äußern. Man identifiziert sich ja nicht ausschließlich über seine sexuelle Orientierung, logisch, dass es dann auch Unterschiede und andere Denkweisen in einer so großen Community gibt.

Als die Allianz Aarena nicht in Regenbogenfarben bestrahlt werden durfte, sind die Fans mit Flaggen und Masken in Regenbogenfarben ins Stadion gekommen. Reicht das?

Natürlich habe ich mich auf der einen Seite darüber gefreut, dass die Menschen Position beziehen und Farbe bekennen. Auf der anderen Seite wurde der eigentliche Anlass, nämlich Ungarns queerfeindlchies „Kinderschutz-Gesetz“ völlig in den Hintergrund gedrängt. Dagegen wollte der Stadtrat München ein Zeichen setzen, mit der Bestrahlung der Allianz Arena. Das ursprüngliche Anliegen wurde dann ganz schnell verlagert, hin zu Akzeptanz im Fußball und die Position der UEFA. Was mich maßlos geärgert hat, ist die Scheinheiligkeit von einzelnen Politikern, die sich mit Regenbogenfarben haben ablichten lassen. Obwohl Orbans Partei jahrelang Mitglied in der EVP war und die Union das akzeptiert hat, und obwohl man sich in den politischen Entscheidungen immer gegen mehr Rechte für die Regenbogen-Community entschieden hat. Sich dann mit Regenbogenmaske möglichst weltoffen zu zeigen, ist verlogen.

Die Regenbogensymbole wurden nach dem Spiel eingepackt, und die Diskriminierung hat damit nicht geendet. Wo waren die Flaggen, als in Istanbul Aufmärsche zum CSD mit Wasserwerfern gestoppt worden sind? Es ist schön, wenn man öffentlich Stellung bezieht, aber die Diskriminierung, die Beleidigungen und Anfeindungen gehen ungeachtet davon weiter.

„Die Kunst, aneinander vorbeizureden“ – Gesprächs-Projekt „Zusammengesetzt – Wir müssen reden“ an der Wachter Tischskulptur im KreativQuartier

Kennt Ihr das? Alle reden, aber niemand hört zu? Mit dem „Tisch für ein Kunstgespräch. Die Kunst, aneinander vorbeizureden“ – schuf der Holzbildhauer Rudolf Wachter 1995 eine Tisch-Skulptur für eine Gesprächsreihe zu Fragen der Kunst, die das Thema des Aneinander-Vorbei-Redens aufgreift. Sechs Menschen haben Platz, können sich aber nur versetzt gegenübersitzen. Ein Platz bleibt jeweils frei für das Publikum. Finden wir zueinander?

Die Evangelische Stadtakademie München veranstaltet am Montag, dem 28. Juni 2021 ab 19 Uhr im KreativQuartier in der Schwere-Reiter-Straße 2h gemeinsam mit der DG_Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst, der Kunstpastoral der Erzdiözese München und Freising und der Beauftragten für Kunst im Kirchenkreis München Oberbayern, die erste Diskussion der neuen Reihe „Zusammengesetzt: Wir müssen reden“.

Vier Diskussionsrunden zu politischen und gesellschaftlichen Themen sind geplant, allesamt werden an der Rudolf Wachters Tisch-Skulptur stattfinden.

„In Zeiten, in denen ein zuhörender Dialog schwieriger wird, bringen wir diesen Tisch in eine Werkhalle, um an der Gesprächskultur und vier gesellschaftlich vieldiskutierten Themen zu arbeiten. Wir laden dazu Expert*innen ein, um die Kunst zu stärken, nicht aneinander vorbeizureden. Ein Platz bleibt jeweils frei für das Publikum. Die Diskutant*innen versuchen, ihren Diskurs selbst ohne Gesprächsleitung zu führen.“

Aus der Veranstaltungsankündigung

Ich darf gleich bei der Premiere als Expertin am Tisch Platz nehmen und freue mich sehr über die Ehre! Thema unseres Gesprächs wird sein: „Kunst: Nicht systemrelevant, aber…? – Was leistet Kunst und wieviel Kunst leisten wir uns?“ Eine echt superwichtige Frage gerade jetzt, wo die öffentliche Kassen Kahlschlag erfahren und die Kommunen klamm werden, oder? Die

„Im Rahmen der Pandemie wurden für lange Zeit alle Kultureinrichtungen geschlossen. Die Frage, was wir dabei als Gesellschaft verlieren, wurde kaum gestellt. Von den zwischenzeitlichen Lockerungen der Auflagen profitierte die Kulturbranche deutlich weniger als andere Branchen. Dabei ist der Wert der sogenannten Kreativwirtschaft für eine Stadt wie München unbestritten. Neben der ökonomischen Wertschöpfung scheint vor allem die nichtkommerzielle, kulturelle Bedeutung von Kunst für Menschen nicht bedacht worden zu sein. Wie lässt sich dieser manchmal so schwer fassbare Mehrwert kommunizieren? Und was brauchen Künstler*innen, um ihre Funktion für unsere Gesellschaft wahrnehmen zu können?“

Veranstaltungsseite der DG

Neben der Person aus dem Publikum und mir selbst werden am Tisch Platz nehmen:

Schaust Du vorbei? Ich würde mich sehr freuen!

Das ungewöhnliche Konzept der hybriden Quasi-Fish-Bowl mit der physisch durch den Tisch vorgegebenen Sprechweise „ins Nichts“ macht echt Lust auf den Abend, finde ich. Anmeldung per Mail zwingend notwendig (Corona und so…), Teilnahme kostenlos, online den Live-Stream schauen ebenso kostenfrei!

Die Gespräche an der Tisch-Skulptur sind eine Kooperation von:

Anmeldung
Die Gesprächsreihe wird als Hybridveranstaltung angeboten. Ihr könnt Euch für die einzelnen Veranstaltungen unter anmeldung@dg-kunstraum.de anmelden oder die Gespräche digital verfolgen. Informationen dazu findet Ihr ab dem 18.6.21 auf www.dg-kunstraum.de.

Die „Tisch.Skulptur“ von Rudolf Wachter wird anschließend vom 11.7.2021 bis 3.10.2021 in der Münchner Paulskirche gezeigt. Dort befinden sich in der Apsis auch die fünf Holzreliefs „STATIONEN“ des Künstlers. Näheres zum Begleitprogramm vor Ort hier.

Sanne, warum bist du eigentlich Politikerin geworden?

Meine Praktikant*innen dürfen am Ende ihres Praktikums immer ein kleines Abschlussprojekt auf die Beine stellen. Natalie Weise, die drei Monate in unserem Team war, hat sich für ein Interview mit mir entschieden. Das Ziel? Junge Menschen, die sich auch für ein Praktikum bei mir interessieren, sollen ihre zukünftige „Chefin“ besser kennenlernen.

Wieso hast du angefangen, Politik hauptberuflich zu machen?

Weil ich gewählt wurde. Dass Grüne in meinem Stimmkreis es in den Landtag schaffen, war eher ungewöhnlich. Wir hatten bei der Landtagswahl 2013 nur knapp über 8%. Gesucht war also eher jemand, den es nicht stört, wenn sein Gesicht überall drei Monate lang in der Gegend rumklebt. Dann kam Listenplatz 13. Ein Wackelplatz. Mit dem bayerischen Landtagswahlsystem im Rücken, bei dem man eine einzelne Person ankreuzen kann, ähnlich wie bei einer Kommunalwahl, war dann schnell klar: Ich will kämpfen und dafür sorgen, dass kein Mensch, der mir seine Stimme geschenkt hat, das Kreuz umsonst bei mir gemacht hat. Ich habe also losgelegt und gekämpft. Hat geklappt.

Was hast du beruflich gemacht, bevor du Politikerin warst?

Ich bin Filmemacherin und freie Künstlerin. In dem Bereich jongliert man oft mehrere Jobs: Ich habe unterrichtet an Schulen und Universitäten, eine halbe Stelle hatte ich an der Filmhochschule, außerdem habe ich natürlich gedreht und freie Arbeiten alleine und in Kunstkollektiven gemacht. Mein Schwerpunkt war der Film.

Warum hast du dich für die Grünen entschieden?

Beste Partei.

Was würdest du gerne für junge Menschen in Bayern umsetzen?

Wahlrecht ab 16!

Was empfiehlst du jungen Menschen, die auch politisch aktiv werden wollen?

Politik wird auf der Straße gemacht. Ganz wichtig finde ich also reden, schreiben, informieren, publizieren, demonstrieren. Weiter kommt man dann, wenn man bereit ist, Ideen mitzuentwickeln. Das passiert bei uns in Parteien. Die meisten Parteien haben Jugendverbände, und man kann auch oft ohne Mitgliedschaft mitmachen. Bei uns Grünen geht das sogar ohne deutschen Pass und ohne Altersgrenze. Die Welt, in der Du lebst, mit Deinen Ideen mitgestalten – aber auch Verantwortung für die Konsequenzen des gemeinsamen Handelns übernehmen oder im Wettbewerb um die besten Ideen mitstreiten – das macht Riesenspaß und ist irre befriedigend.

Sanne wird Ministerpräsidentin. Was ist deine erste Amtshandlung?

Ministerpräsidentin von Bayern ist ja nicht Königin von Deutschland. Meine erste Amtshandlung wäre also vermutlich ein Dank an das Parlament, das mir sein Vertrauen geschenkt hat und die Ernennung einer Grünen Regierung mit unseren fantastischen Fachleuten für Finanzen, Inneres, Wohnen, Mobilität, Soziales, Gesundheit und Pflege, Bildung u.v.a.m.

Was sind deine Lieblingsorte in München bzw. Bayern?

In Bayern liebe ich das nördliche Franken, weil es mich an meine Heimat, die schöne Pfalz am Rhein, erinnert. In München sind Lieblingsorte überall da, wo ich meine Finger in die Erde stecken und garteln darf.

Was machst du als Erstes, wenn „Corona endlich vorbei“ ist?

Menschen umarmen, meine Eltern sehen, Kino, Schwimmbad und nie mehr nachdenken, was ich „nach Corona“ machen werde!

Wer ist deine Lieblingsband?

Radiohead.

Wer ist dein*e Lieblingskünstler*in?

Ich nehme mal Promis. Dann muss niemand googeln.
Eine Frau: Marina Abramović
Ein Mann: Tino Sehgal

Was ist dein Lieblingsessen?

Ein sehr frisches Brot mit eiskalter, frischer Butter.

Kunstfreiheit! Mein Beitrag zum Thema.

Die Kunstfreiheit ist ein unmittelbares Grundrecht. Sie ist nicht nachrangig und in unserer Verfassung in Art. 5 Absatz 3: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ fest verankert. Erste Ideen zu Freiheitsrechten wurden 1832 dort formuliert, wo ich aufgewachsen bin: beim „Hambacher Fest“ standen Presse-, Meinungs-, Versammlungsfreiheit im Fokus. Mein Beitrag zur Kunstfreiheit heute hier in einem Gastbeitrag für das Magazin des Paul-Klinger-Künstlersozialwerk.

Die Kunst ist frei!

“Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.” So steht es in Art. 5, Abs. 3 unseres Grundgesetzes, unserer Verfassung.

War schon vor Corona trotz Institutionen wie der Künstlersozialkasse die Freiheit der Kunst dort gefährdet, wo Kulturschaffende künstlerisches Wirken zurückschrauben oder unterlassen mussten, weil wirtschaftliche Gegebenheiten sie dazu zwangen, brach mit Beginn der Pandemie ein Großteil des Kunst- und Kulturschaffens, wie wir es kannten, komplett zusammen.

Veranstaltungsverbote sind Tätigkeitsverbote.

Mit dem Lock-Down wurde alles unmöglich, was Menschen-Gruppen oder gar Publikum einschließt, aber auch Museen und Bibliotheken wurden geschlossen, Musik zum Hochrisiko erklärt, kulturelle Bildung untersagt. Reisefreiheit, Religionsfreiheit, alles kam rasch zurück. Kaum diskutiert wurde, was Verbote und andauernder Notbetrieb mit der Kunstfreiheit machen.

Wenden wir den Blick in unser Nachbarland Österreich: In diesem Corona mäßig ähnlich wie Bayern ächzenden Land ist die Kunstfreiheit erst seit ‘82 in der Verfassung verankert. Schon bald nach den Veranstaltungsverboten schlossen sich dort Kreative zusammen, entwarfen Petitionen, organisierten Schweigemärsche wie “Ohne uns ist’s still”, veranstalteten 2m-Abstand-Demos und heuerten gemeinsam Anwälte an mit dem Ziel Verfassungsklage: Kunstfreiheit in Gefahr!

Es gibt kein Grundrecht auf Fußball

Auch hier in der BRD regte sich Widerstand. Bereits am 11. Mai konstatierte der Augsburger Verfassungsrechtler Prof. Matthias Rossi, er könne nicht nachvollziehen, warum Gottesdienste unter Auflagen erlaubt seien, Kulturveranstaltungen aber weiterhin verboten. Das Recht auf Kunstfreiheit sei kein zweitraniges Grundrecht. Ähnlich wie beim Grundrecht auf Religionsfreiheit, sei nicht nur das reine künstlerische Schaffen geschützt, sondern auch der Wirkbereich.

Während man in Österreich auf die Barrikaden gingen, gab uns Rossi hier eine Steilvorlage: Nicht nur unser “Werk”, auch unser “Wirken”, also Auftritte, Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, Performances, Filmdrehs oder Fotosessions, sind von unserer Verfassung geschützt!

Dass niemand riskieren möchte, Schuld an Leid oder gar Tod zu sein, versteht sich von selbst. Trotzdem muss klargestellt werden, dass 80.000 infektionsfreie Besuche bei den Salzburger Festspielen mitten im Corona-Sommer eine klare Sprache sprechen, klarer als bayerische “Pandemie-Pilotprojekte” in der Staatsoper. Warum mich das alles so maßlos ärgert? Weil ich Ungerechtigkeit nicht akzeptieren kann!

Die ungerechten Fakten im Corona-Herbst in Bayern, wo ich im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst im Landtag sitze:

  • Musik, ohne Eintritt, dazu Speis und Trank – sagen wir mal: Helene Fischer mit Schweinshaxen – Hintergrundmusik! Erlaubt mit uneingeschränkter Personenzahl.
  • Musik, mit Eintritt, ohne Schweinshaxen – Achtung! Kulturveranstaltung! – maximal 200 Personen im Publikum erlaubt.
  • Sport in der Olympiahalle – 12.463 Plätze, davon 20% unter Pandemie-Bedingungen nutzbar, macht 2492 erlaubte Gäste.
  • Musik in der Olympiahalle – 12.463 Plätze, 200 erlaubte Gäste.

Nicht, dass eine 20% Auslastung die Rettung der Kunstfreiheit wäre. Auch finanzielle Hilfen sind im Notbetrieb dringend nötig, damit die Menschen und die Infrastruktur die Krise überstehen. Die pauschale Deckelung der Publikumsgröße hat aber null-komma-null mit Infektionsschutz zu tun, ist reiner Populismus, macht dem Publikum Angst, treibt Kulturschaffende, Institutionen und Betriebe in den Ruin und zerstört letzte Reste der kulturellen Infrastruktur.

In Österreich trat am Ende die Staatssekretärin für Kultur unter dem Druck der Szene zurück. Hier tapsen die Verantwortlichen, von Grütters bis zu Landesfürsten, munter einher und praktizieren “divide et impera”: schmeiß dem Künstler ein Zuckerl hin, gib der Künstlerin ein Bonbon, dann schließen sie sich nicht zusammen sondern halten schön still. Eine Strategie, mit der schon Caesar gut fuhr.

Divide et Impera

Seit Caesars Zeiten etabliert ist auch der Duktus der buckelnden, der den Hut demütig aufhaltenden Künstler. Seit Jahr und Tag hoffen wir Künstlerinnen, Förder-Antrag um Förderantrag stellend, man möge gefallen, jemand möge etwas in eben diesen, unseren!, Hut werfen.

Dass sich aus Applaus und Dankbarkeit keine Rücklagen aufbauen lassen, dass Kunst und Kultur eine wichtige Dienstleistung verrichten, dass Mindesthonorare, Mindestgagen endlich gelten müssen, dass Kultur eine Pflichtaufgabe sein müsste für Kommunen – das, ja all das sind strukturelle Probleme, die durch die Krise scharf zu Tage treten.

Probleme, die wir, wenn wir uns nicht trennen lassen, wenn wir laut werden und laut bleiben, wenn wir Kunstfreiheit für Werk und Wirken einfordern, auch über die Krise hinaus bekannt machen können – für eine sozial nachhaltige Kulturpolitik in Deutschland!

Weiterlesen:

Im „Talk with me“ mit Vincent Courtens

Vincent hat mich eingeladen zu seinem Online Talk Format „Talk with me“. Wir haben über die Vereinbarkeit von meinem Job als Politikerin und mein meinen Verpflichtungen als Elternteil und über Funklöcher in Bayern. Außerdem könnt ihr mehr über meinen Werdegang als Filmemacherin und warum ich in die Politik gegangen bin erfahren.

Viel Spaß beim zugucken!

Und hier noch der Trailer zum Film „Die Herberge“ über den ich mit Vincent gesprochen habe. Ein Kurzfilm und Spot gegen Rassismus.

Sanne im Interview zum Konzerthaus München

Nach 20 Jahren langwieriger Debatten soll München ein Konzerthaus bekommen. Wie wird es sich auf die kreative Szene in München auswirken, taugt das „Leuchtturm-Konzept“ der Staatsregierung und wie sieht überhaupt das künstlerische Konzept aus? Im Rahmen ihrer Masterarbeit sprach ich mit der Studentin Julia Strasser über den neuen Konzertsaal Bayerns in München. Hier das Interview vom 12. August 2020 in gekürzter Form.

Julia Strasser: Wir werden heute über den Bau des neuen Konzerthauses sprechen. Der war ja schon lange geplant, die Planung lief, inzwischen glaube ich, läuft sie seit 20 Jahren. Und dann kam 2020 die Corona-Pandemie und hat wieder einige Pläne umgeworfen. Wie sehen Sie denn diesen Neubau des Konzerthauses jetzt vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie?

Sanne Kurz: Ich glaube, dass die Dinge, die gerade diskutiert werden oder vielleicht werden müssten überhaupt nichts mit der Pandemie zu tun haben. Wir hatten eine Situation, dass der Bayerische Landtag letzten Sommer – also 2019 – hätte erste belastbare Zahlen bekommen sollen. Das ist nicht passiert. Und dann war es der Fall, dass auf der CSU-Klausur der Ministerpräsident Söder plötzlich von einer Machbarkeitsstudie, von Holzbau sprach. Das war lange, lange, lange vor der Corona-Pandemie. Das war Anfang Januar 2020, und eine Machbarkeitsstudie macht man normalerweise ja bevor man einen Bau in Auftrag gibt. Deshalb sehe ich vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie überhaupt keinen Gesprächsbedarf. Es gibt aber natürlich generellen Gesprächsbedarf, der aber mit der Corona-Pandemie überhaupt nichts zu tun hat. Ich glaube, dass die Argumente „Corona-Pandemie“ vorgeschoben sind.

J. Strasser: Wo Sie gerade die Machbarkeitsstudie angesprochen haben: Soweit ich weiß, ist diese Idee des Holzbaus wegen einer Nachhaltigkeitsüberlegung entstanden. Die wurde aber inzwischen schon wieder verworfen. Das heißt, diese Machbarkeitsstudie, ist die schon wieder abgeschlossen inzwischen? Gibt es da für Sie neue Erkenntnisse daraus?

Die Machbarkeitsstudie hat mit dem Holzbau-Wunsch von Markus Söder wohl gar nichts zu tun gehabt. Ich war da nicht dabei, als er sprach. Aber das, was man sozusagen der Presse entnehmen konnte, war, dass er sich Holz wünscht. Und das, was mit der Machbarkeitsstudie zu tun hat, das deutete eher darauf hin, dass man den Bayerischen Landtag als die Institution, die Haushaltsmittel ja freigeben muss, langsam darauf vorbereitet, dass es teurer werden könnte.

J. Strasser: Und Sie haben gerade von einem generellen Gesprächsbedarf gesprochen. Was sind denn die Punkte, die Sie kritisch sehen an dem Bau?

Es geht gar nicht um kritisch oder nicht kritisch. Der Punkt ist, dass uns letzten Sommer – also 2019 – Zahlen versprochen wurden. Wir Grüne haben dann auch nach den besorgniserregenden Worten des Ministerpräsidenten auf der Januar-Klausur einen Berichtsantrag gestellt und einen umfangreichen Bericht gefordert. Wir haben jetzt Mitte August 2020, und es sind immer noch gar keine Zahlen da. Ja, wir fürchten einfach, dass es wieder so kommt wie beim Deutschen Museum, wie bei anderen Bauten, dass man in so einer Salamitaktik ganz bewusst Dinge erst einmal als preiswert in die Runde gibt, und dann so scheibchenweise die wahren Fakten auf den Tisch legt. Und das geht natürlich so überhaupt nicht, wenn man mit öffentlichen Mitteln arbeitet.

J. Strasser: Kommen wir mal zu den inhaltlichen Vorhaben. Der Bau des Konzerthauses wird momentan mit den Schwerpunkten Digitalisierung, Musikvermittlung, Barrierefreiheit und Nachhaltigkeit kommuniziert. Wie sehen Sie denn diese vier Säulen in der späteren Umsetzung in München?

Ich fange jetzt mal hinten an, bei der Nachhaltigkeit. Wir hatten gerade erst ans Ministerium geschrieben, weil wir gerne eine BNB-Zertifizierung hätten. Das ist ein Zertifizierungssystem für nachhaltiges Bauen, wo man z.B. cradle to cradle, also sozusagen von der Schöpfung der Ressourcen über die ganzen Lieferketten über eine bestimmte Nutzungsdauer eines Gebäudes ein Zertifikat vergibt für Nachhaltigkeit. Das Problem ist, dadurch, dass es ein Sonderbau ist geht das nicht so einfach. Aber ich erwarte dann, dass man, wenn man sowas hat und wirklich Nachhaltigkeit so wahnsinnig wichtig ist, dass man sich zum Beispiel auf Bundesebene dafür einsetzt, dass man für Sonderbauten auch ein Zertifizierungssystem findet oder teil-zertifiziert.

J. Strasser: Und dieses Zertifizierungssystem dient quasi dazu, auch wieder eine Art von Transparenz und auch diese Nachhaltigkeit nachvollziehbar zu machen, oder?

Ganz genau. Das ist so ähnlich wie mit Biosiegeln. Es gibt da bestimmte Standards, die kann man alle nachlesen. Mit einem Zertifikat ist alles klar, transparent und nachvollziehbar. Deshalb wäre es wichtig, dass sich die Staatsregierung dafür einsetzt, dass es solche Zertifikate auch für Sonderbauten gibt.

J. Strasser: Das wäre das Thema Nachhaltigkeit. Sie dürfen sich gerne (lacht) das zweite Thema aussuchen.

Die Musikvermittlung ist was, was tatsächlich der Bayerische Landtag in dieses Konzerthaus hinein verhandelt hat. Es hieß am Anfang, wir wollen ein Konzerthaus, weil wir einen Leuchtturm brauchen, und es gibt eben in ganz Bayern nichts. Und dann hat der Bayerische Landtag gesagt, ja das kostet aber sehr, sehr viel. Es muss was sein, wo man tatsächlich sehr inklusiv an Leute rangeht, wo man viele Schichten der Bevölkerung erreicht. Also auch ein Mittelschüler aus Deggendorf, dessen Eltern zahlen auch Steuern und auch eine junge, alleinerziehende Mutter aus Pasing, auch die zahlt Steuern. Und deshalb muss es für die auch ein Angebot geben. Und das Angebot kann nicht sein, hier ist RTL II, da, bitteschön. Sondern das Angebot muss sich natürlich auch in Bereichen der klassischen Musik, der E-Musik bewegen.

Vermittlung – da sind auch die Orchester sehr erfolgreich. Allerdings muss man da tatsächlich auch die Leute empowern und enablen, dass sie das umsetzen. Dieses Gebäude ist geplant mit wirklich fantastischen Räumlichkeiten für Education. Es ist in der Nähe ein Hostel geplant, was wir immer gefordert haben, sodass auch aus ganz Bayern auch junge Menschen preiswert unterkommen können oder auch ältere Menschen preiswert unterkommen können. Ja, weil kulturelle Bildung ist ja nicht nur für die unter 20-Jährigen da, sondern kulturelle Bildung ist für alle Menschen da und Musikvermittlung ist auch für alle Menschen da. Und wenn es dann diese Voraussetzung gibt, dann muss man natürlich auch die Akteurinnen und Akteure, ja, da muss man es denen auch ermöglichen, dass sie das auch leisten können. Hat man einen festen Personalstab im Orchestermanagement von 18 Planstellen, ist das wenig. Wenn man das vergleicht mit anderen großen Orchestern, dann ist das ein Witz. Und es ist auch noch überhaupt keine künstlerische Leitung und keine Trägerform für das Konzerthaus da. Das halte ich für ein großes Problem, weil noch gar nicht klar ist, wie und in welcher Form welche Orchester da jetzt überhaupt spielen werden und sollen.

Die Barrierefreiheit, das ist heute eigentlich fast selbstverständlich. Das Problem ist eher, wenn ich schaue, was Dinge kosten. Es gibt überhaupt keine Bereitwilligkeit auf Seiten der Staatsregierung, dass man Kulturangebote auf einer breiten Ebene kostenfrei macht. Ich denke bei Barrierefreiheit nicht nur an Menschen mit Behinderung und an die UN-Behindertenrechtskonvention. Ich denke bei Barrierefreiheit auch an soziale Teilhabe.

J. Strasser: Inklusion, generell?

Ja genau. Und für mich beinhaltet Inklusion eben auch soziale Teilhabe. Das muss auch zugänglich sein für ärmere Menschen. Wenn das ein High Class-Luxus-Konsumtempel mit schicker E-Musik wird, dann werden sich da ärmere Menschen gar nicht hintrauen, weil sie nämlich das Gefühl haben, sie werden einfach komisch angeguckt. Der Gasteig zum Beispiel ist ein ganz offenes Haus. Da gehen Kinder aus ärmeren Familien, Jugendliche, hin, um zum Beispiel zu lernen, wenn sie zu Hause kein eigenes Zimmer haben, wo sie lernen können. Das heißt für mich hat Barrierefreiheit auch ganz viel damit zu tun, wie das gelingen wird, wirklich diese Offenheit auszustrahlen. Es ist ganz gut geglückt, zum Beispiel, im Haus der bayerischen Geschichte, wo man erstmals eine Kostenfreiheit überhaupt mal gemacht hat. Die anderen Standards, da gehe ich fest davon aus, dass das eingehalten wird. Zur Barrierefreiheit, da gibt es ja auch gesetzliche Vorschriften. Aber für die soziale Barrierefreiheit, die soziale Teilhabe, da gibt es noch keine gesetzlichen Vorschriften.

J. Strasser: Dann bleibt noch der Punkt Digitalisierung.

Da hat man uns in dem Bericht überhaupt nichts zu berichtet. Das Einzige, was ein bisschen digital ist, aber was auch analog geht, ist, dass es Raum geben soll für Sound Art, was ich total wichtig finde. Es gibt nämlich noch gar kein Museum für Sound Art in ganz Bayern, es gibt da keine Räume für wo die Menschen zusammenkommen können. Ansonsten hat man nichts zu einer Digitalisierungsstrategie in irgendeiner Form erzählt.

J. Strasser: Dann würde ich jetzt das Thema wechseln und zu München kommen, als kreative Stadt. Beziehungsweise erst mal die Frage in den Raum stellen, ob Sie München als kreative Stadt überhaupt sehen würden, beziehungsweise was Sie da momentan sehen an Kreativität, und wie sich der Bau des neuen Konzerthauses auf diese kreative Szene auswirken könnte.

Ich bin ja ursprünglich Pfälzerin, komme aus der schönen Pfalz am Rhein. Ich komme aus einer kleinen Weinbau-Gemeinde, in der Außenansicht gehörte München da für mich nie zu den kreativen Hotspots der Republik. Als ich dann in München wohnte hat sich das natürlich verschoben. Was ich in München als junge Studentin an der Filmhochschule immer vermisst habe, war eine sehr lebendige Subkultur. Inzwischen habe ich länger in Melbourne gewohnt, was ich als extrem kreative Stadt beschreiben würde. Da gibt es ganz viel, was sich dort Fringe nennt, was hier vielleicht am ehesten mit Freie Szene beschreibbar wäre. Die öffentliche Hand unterstützt das auch, aber es gibt einfach wahnsinnig viele Freiräume, die man gestalten kann.

Zeitliche Freiräume, örtliche Freiräume und auch Menschen, also Ressourcen, mit denen man arbeiten kann und die auch Lust haben sowas anzunehmen. Als ich dann zurückkam, hatte ich das Gefühl, in München ist doch einiges los. Da gab es dann die ganzen Kasernen, die auf einmal umgenutzt wurden, das Kreativquartier… Ich habe das Gefühl, München ist eine kreative Stadt. Ich hoffe sehr, dass die freie Szene dieses Konzerthaus annehmen wird. Ich glaube, das kann gelingen, wenn man jetzt schon, also es gab ja große Bestrebungen, die Hochschule für Musik und Theater einzubeziehen. Man hat jetzt in der Corona-Pandemie im Ministerium für Wissenschaft und Kunst erst gemerkt, dass man keine Ansprechperson für die Freie Szene hat. Man hat jetzt versprochen, dass man eine solche Ansprechpersonen installiert. Bis die dann auch da ist, das kann dauern, und es müsste tatsächlich jetzt einen Austausch geben mit der freien Szene in München, im Musikbereich, im performativen Bereich, im Sound Art-Bereich, um zu schauen, was haben die denn für Bedarfe, damit das auch für die passt und damit es auch deren Zuhause wird.

J. Strasser: Abseits vom Werksviertel, wie wird der Konzertsaal in München dann sich auswirken oder sich präsentieren?

Das ist die große Frage, denn wir haben in München ja bald noch einen schönen neuen Gasteig, und wir haben ein Interimsgebäude, was hoffentlich auch sehr schön wird, und dann haben wir vielleicht noch eine Paketposthalle, wo auch ein Veranstalter von Kulturveranstaltungen gerne E-Konzerte machen möchte und Kultur anbieten möchte. Also das heißt, wir haben irgendwann hier jede Menge Konzertsäle. Manche sprechen bereits von einem Überangebot. Ich sehe das Konzerthaus jetzt gar nicht so sehr als Konzertsaal, sondern das ist ja ein achtstöckiges Monster-Ding, wo einfach wahnsinnig viel noch mit zusätzlich drinsteckt. Das ist so ein bisschen eine Spaceship-Musikschule, könnte man sagen. Ich glaube, ich habe das ja vorhin schon gesagt, dass man ganz, ganz dringend mit Maß und Ziel, schauen muss, wie man das denn jetzt umsetzt, weil ich bin gar kein Freund davon, der sagt, immer einfach die Schleusen auf und raus mit dem Geld. Sondern ich glaube, das muss natürlich auch alles einen Zweck haben. Ich glaube, wie gesagt, wenn wir es nicht machen, wenn wir das Konzerthaus nicht bauen, dann ist das Geld für etwas anderes weg. Ich glaube, es ist sinnvoller zu schauen, dass wenn man schon dieses große Angebot hat, dass man dann auf verschiedene Zielgruppen geht.

J. Strasser: Dann noch eine große Frage: Sie haben ja vorher das kulturelle Leuchtturmprojekt, diesen Namen, schon genannt. Was, denken Sie, qualifiziert den Bau als kulturelles Leuchtturmprojekt? Und, Sie haben es ja vorher durchaus schon kritisch betrachtet, braucht es überhaupt einen kulturellen Leuchtturm tatsächlich?

Also ich bin überhaupt kein Fan von Leuchttürmen. Ich bin ein Fan von Netzen die man auswirft. Ich bin ein Fan von Weitblick, ich bin ein Fan von Outreach. Und dieses Leuchtturm, das hat für mich so was Singuläres, Unerreichbares. Also wenn ich auf einer einsamen Insel wohne, dann kann ich vielleicht mich an einem Netz festhalten, was da ausgeworfen wird, aber diesen Leuchtturm, den ich da in der Ferne sehe, den werde ich niemals erreichen, wenn es da keine Angebote und keine Möglichkeiten gibt. Deshalb, ich stehe Leuchttürmen sehr kritisch gegenüber. Warum ist das jetzt ein Leuchtturmprojekt? Weil wir eine Staatsregierung haben, die das total findet, Leuchtturmprojekte zu machen.

J. Strasser: (Lacht) Ok.

Also, es gibt ja diesen Kunstförderpreis des Freistaat Bayern. Und da haben wir eine Staatsregierung, die da den Ministerpräsidenten länger reden lässt, als alle Künstlerinnen und Künstler zusammen. Und der sich da vorne hinstellt und sagt: „Wir haben ja ein Museumsviertel, wo auf so kleinem Raum pro Quadratmeter mehr Kunstwerke als auf der ganzen Welt, mehr als in New York, mehr als in Paris“. Ja, und dann zählt er halt mal die Städte auf, die er so ein bisschen kennt, wo er schon mal davon gehört hat, dass es da vielleicht Kunst geben könnte. Und dann schließt er seine Rede mit: „Aber wissen wir eigentlich wie toll wir sind? Wissen wir wie großartig wir sind? Brauchen wir nicht eine bayerische documenta?“

Wenn jemand sowas sagt, dann hat er überhaupt nicht verstanden, wie es den Künstlerinnen und Künstlern in Bayern geht, mit was sie zu kämpfen haben, mit Leerständen im Fichtelgebirge, mit Raumnot in den Zentren, mit mangelnder Vernetzung, Stadt-Land, mit Leuten, die gar nicht ins Konzert kommen können, weil es nämlich abends überhaupt keine Möglichkeit mehr gibt, hineinzukommen. Mit einer Fläche, die total ausgetrocknet ist, wo es keine Musikschule mehr gibt und nichts.

Mit einer kulturellen Bildung, die im ganzen Freistaat keine gebündelte Ansprechperson in der gesamten Staatsregierung hat. Also man will da Musikvermittlung machen, aber es gibt für den gesamten Bereich der kulturellen Bildung, egal ob Musik, egal ob Kunst, Kultur, Performance, Tanz, Theater, egal was, es gibt in der ganzen Staatsregierung keine koordinierte Stelle, wo kulturelle Bildung zusammenläuft. Ja, also so läuft es hier und da brauche ich kein Leuchtturmprojekt. Da muss ich erst mal Basisarbeit machen. Das finde ich viel, viel wichtiger.

In der Vergangenheit gab es ja schon große Würfe mancherorts, wo man wirklich es geschafft hat, auch mal mutige Schritte zu gehen. Ich glaube zum Beispiel damals, die Berufung von Okwui Enwezor war ein sehr, sehr mutiger Schritt. Vielleicht gibt es auch schon Leute, die im Gespräch sind. Ich wünsche mir auch sehr, dass auch das Finden der künstlerischen Leitung ein transparenter Vorgang ist. Dass es da eine sehr, sehr kompetente Findungskommission geben wird und nicht sich irgendein Minister oder eine Ministerin von irgendwelchen Sachbearbeitungen einen Katalog von den letzten zwanzig Leuten, die schon mal ein Konzerthaus geführt haben hinlegen lässt. Also im Haus der Kunst haben sie das mit Lissoni wirklich sehr gut gemacht. Da hat eine Findungskommission, eine Experten-Kommission vorgeschlagen, die haben dann recherchiert. Also, das war extrem transparent, gut mit der Öffentlichkeit kommuniziert, und sowas wünsche ich mir auch für das Konzerthaus. Das hätte es wirklich verdient.

J. Strasser: Dann vielen Dank für das Gespräch. Und dann sind wir mal gespannt, wie es weitergeht mit dem Neubau des Konzerthauses.


Nachhaltigkeit in Kulturinstitutionen – Sanne Kurz im Interview

Manchmal werde ich von Studierenden, z.B. im Rahmen einer Masterarbeit, um ein Interview gebeten. Die beiden Studentinnen Vera Hefele und Teresa Trunk haben im Rahmen des Studiengangs Kultur- und Musikmanagement an der Hochschule für Musik und Theater in München, die Nachhaltigkeit in Kulturinstitutionen für ihre Masterarbeit untersucht. Hier unser Interview vom 20. Mai 2020 in gekürzter Form:

VH/TT: Sie sind Kulturpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN – welchen Stellenwert nimmt Nachhaltigkeit in der Kultur in Ihrem konkreten Aufgabenbereich ein und wo setzen Sie in Bezug auf Nachhaltigkeit Ihren Schwerpunkt?

SK: Ich bin für Kulturpolitik und Film zuständig. Es gibt diese Studie der University of Southern California in den USA nicht nur zum Carbon Footprint, sondern überhaupt zur Umweltfreundlichkeit der Filmbranche in der Bay-Area. Diese Studie zeigt, dass die Filmindustrie die zweitdreckigste nach der Erdölindustrie ist. Das ist ganz schön dreckig, das muss man erstmal hinkriegen. Das heißt, in meiner Arbeit zur ökologischen Nachhaltigkeit bin ich stark auf den Film fokussiert. Das liegt natürlich auch daran, dass das hier in Bayern eine wahnsinnig starke Branche ist und dass wir hier ein großes Aufkommen haben. Wäre ich Sprecherin für Kulturpolitik und Film in Bremen, dann sähe das wahrscheinlich anders aus und meine Bemühungen würden sich wahrscheinlich eher gleich verteilen. Durch die Situation in Bayern ist es tatsächlich so, dass wir zu Nachhaltigkeit verstärkt im Film- und Medienbereich arbeiten. 

Nachhaltigkeit muss definiert werden

Zum Zweiten geht es, glaube ich, darum, dass man überhaupt erstmal Nachhaltigkeit definiert. Denn Nachhaltigkeit ist ja ein Label, das sich in den letzten Jahren viele gern ans Revers heften. Wenn man auf eine Tafel den Satz schreibt „Ich bin Mitglied bei …, weil ich Nachhaltigkeit wichtig finde.“, dann kann man das durch die Namen aller Parteien, bis auf vielleicht einer, ersetzen und alle können das sofort unterschreiben. Deswegen ist ganz wichtig zu definieren, was meint man mit Nachhaltigkeit? Meint man eine Umsetzung der SDGs, der „Sustainable Development Goals“ der Vereinten Nationen? Oder meint man damit, dass so ein bisschen ein grüner Touch drüber kommt, dass man alles ein bisschen anpinselt und dann ein gutes Marketingprojekt hat?

Greenwashing verhindern

Ähnlich zum Beispiel wie die Green Hospital Initiative der Bayerischen Staatsregierung, wo halt an einem Krankenhaus exemplarisch als Modellprojekt ein bisschen Müll getrennt wird. Aber das macht natürlich noch keine Dekarbonisierung von Krankenhäusern. Wir Grünen probieren Nachhaltigkeit immer als eine soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu definieren. Das tun wir deshalb, weil wir glauben, dass Ökologie nicht ohne Ökonomie gedacht werden kann – und, frei nach Bert Brecht, „erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. Es hat keiner Lust Kaffeebecher mehrfach zu verwenden und den Müll zu trennen, wenn er oder sie ausgebeutet wird, in prekären Arbeitsverhältnissen leben muss.

VH/TT: Inwieweit halten Sie es für relevant und wichtig, dass sich die Kulturbranche mit dem Thema (ökologische) Nachhaltigkeit befasst? 

SK: Wir erreichen nur dann die Pariser Klimaziele, die wir ja selbst mitgewollt haben, wenn wir in allen Branchen den Umbau schaffen, hin zu einer grünen ökologischen Wende. Wir müssen alle Branchen umbauen, weil wir sonst einen immensen wirtschaftlichen Schaden nehmen werden. Denn was viele Bürger nicht wissen ist, dass es Konsequenzen hat, wenn man nicht handelt. Strafzahlungen, die bei Nichteinhaltung der Pariser Verträge fällig werden. Diese Konsequenzen werden aber nicht kommuniziert, und man sieht die Investitionen, die es bräuchte, um den Wandel so voranzutreiben, nie unter dem Aspekt „sonst müssen wir Strafe zahlen“. – Mal unabhängig vom größten Schaden: dem Verlust der menschlichen Lebensgrundlagen.

Verlust menschlicher Lebensgrundlagen

Ich glaube trotzdem, dass es noch dringender einen Umbau in Richtung sozialer Nachhaltigkeit braucht. Ganz einfach, weil der gesamte Kultursektor ein Sektor ist – und ich rede da nicht nur von der Freien Szene, sondern auch von staatlichen und kommunalen Auftraggeber*innen – , wo es noch ganz, ganz stark an der sozialen Nachhaltigkeit mangelt. Es gibt keine Mindestgagen, es gibt keine Mindesthonorare für all die Freien. Natürlich haben Leute, die irgendwo fest angestellt sind, das alles. Aber auch die Festangestellten sind meistens kurzfristig oder unständig beschäftigt. Das bedeutet, sie sammeln eigentlich nie genug Anwartschaftszeit für das deutsche System des Arbeitslosengeldes an. Das heißt, entweder muss ich das ALG-System ändern oder es muss sich ändern, wie wir mit Menschen im Kulturbereich umgehen.

Es braucht auch soziale Nachhaltigkeit

Bei den Freiberufler*innen sieht das ganz genauso aus. Die haben teilweise Verträge – das zeigt sich jetzt in der Coronakrise -, bei denen sogar unsere Grüne Staatssekretärin in Baden-Württemberg den Kopf schüttelt und sagt „Wer hat denn diese Verträge gemacht? Das ist ein Vertrag, den darf man so gar nicht unterschreiben. Es ist illegal, was da drinsteht.“ Wo es keinerlei Ausfallregelung gibt. Und das ist natürlich etwas, was gar nicht geht. Vor allem nicht, wenn staatliche Mittel fließen. Die Filmbranche kann hier für eine soziale und ökologische Nachhaltigkeit ein gutes Vorbild sein. Wir Grünen haben hier in Bayern ein Programm gefordert, das nennt sich „Grün Fair Film“. Und dieser „Grün Fair Film“ bedeutet für uns Grüne, dass man Fördermittel nur dann auszahlt, wenn soziale Mindeststandards verpflichtend eingehalten werden.

Grün Fair Film als Beispiel

Genauso bräuchte man natürlich auch die ökologische Nachhaltigkeit, die wir Grünen uns beispielsweise durch einen Grünen Drehpass wünschen. In Bayern ist das Problem, dass die Staatsregierung die soziale Nachhaltigkeit nur als „Soll-Klausel“ reinschreibt. Das ist so wie „Sie sollten bitte Sicherheitsgurte im Auto anlegen“, das hilft natürlich gar nichts. Da braucht es einfach Verbindlichkeit. Genauso bräuchte es auch Verbindlichkeit im ökologischen Bereich. Wir bräuchten wie die MFG in Baden-Württemberg einen CO2-Rechner für die Kulturbranche bzw. für die Filmbranche, so dass die Leute überhaupt mal wissen, wo sie dran sind. Selbstverständlich müsste das dann staatlich auch unterstützt werden.

VH/TT: Für wie aufgeschlossen halten Sie Kulturbetriebe dem Thema Nachhaltigkeit gegenüber? Ist hier eine Bereitschaft da, und es scheitert dann eher an den fehlenden politischen Voraussetzungen?

SK: Die Kulturbetriebe sind diejenigen, die die Politik vor sich hertreiben, und das halte ich für beschämend für einen Kulturstaat, der qua Verfassung das Kulturstaatsprinzip hochhalten sollte. Die Kulturbetriebe sind die, die klare Richtlinien fordern. Auch, weil vielen Menschen offenbar klar ist, wenn wir unsere Klimaziele nicht erreichen, wird das sehr viel kosten – und dann raten Sie mal, wo zuerst gespart wird, wenn diese Kosten auf uns zukommen. Kultur ist eine freiwillige Leistung. Wenn wir die Pariser Klimaziele nicht einhalten und nicht mithelfen, auch im Kultursektor etwas zu verändern, dann wird es da zum Kahlschlag kommen, weil diese Strafzahlungen natürlich vom Staatshaushalt getragen werden.

VH/TT: Sie haben vorhin angesprochen, dass in der Filmbranche Bemühungen in Richtung Nachhaltigkeit mit Fördergeldern verbunden sind. Für wie realistisch halten Sie es, dass im Kulturbereich ebenfalls öffentliche Finanzierung an die Einhaltung nachhaltiger Kriterien geknüpft wird?

SK: Ich würde mich sehr freuen, wenn so etwas käme. Ich weiß, dass die Kulturpolitische Gesellschaft einen Schwerpunkt auch in Richtung nachhaltiger Umbau, also sozialökologische Nachhaltigkeit hat. Ich weiß, dass es bei uns Grünen auf allen Ebenen Arbeitsgemeinschaften zur Kultur gibt, weil wir sehr basisdemokratisch aufgebaut sind. Das heißt, wir haben auf kommunaler Ebene, Landesebene und Bundesebene Think Tanks, die in der Partei Kulturpolitik voranbringen. Das funktioniert auch sehr gut. Da entwickeln sich dann Fördermodelle und Ideen, die dann auch in den Ländern, in denen wir regieren, mit übernommen werden. Allerdings kenne ich auch kulturpolitisch extrem engagierte Basismitglieder beispielsweise aus der SPD, die viel auch mit der Kulturpolitischen Gesellschaft zusammenarbeiten, die aber nicht wissen, wo es solche Strukturen in ihrer eigenen Partei gibt. Das hat ja auch etwas mit Nachhaltigkeit zu tun, wie man Gruppen mitnimmt, wie man die Ressourcen, das Wissen und die Erfahrungen aus der Gruppe nutzt.

Parteibasis einbinden, gesamtgesellschaftliche Aufgabe bewältigen

Solange das nicht passiert, sondern das nur an 10 bis 15 Mandatsträger*innen hängt, die dann halt mal für Kulturpolitik zuständig sind… Wie sollen die denn etwas voranbringen? Da sind auch die Parteien gefordert, ganz dringend innerhalb ihrer Partei Strukturen zu verändern und sich klarzumachen, dass ein nachhaltiger Umbau in Richtung sozial-ökologische Nachhaltigkeit in allen Branchen, in allen Sparten stattfinden muss. Kulturbereich, Gesundheitswesen, Mobilität. Das kann nicht nur allein Industrie, Energieversorgung und vielleicht noch ein bisschen nachhaltiges „Häuslebauen“ sein, sondern es muss gesamtgesellschaftlich etwas passieren. Und da haben wir, glaube ich, leider noch keinen gesamtgesellschaftlichen Konsens gefunden. 

VH/TT: Können Sie da positive Entwicklungen beobachten?

SK: Mir sind bisher im Kulturbereich keine bekannt. Also im Filmbereich ja, da läuft das alles ziemlich gut. Aber im Filmbereich ist auch der Leidensdruck noch größer. Im Kulturbereich ist es so, dass es ja auch viel mit den Bauten zu tun hat. Wir haben eine sehr, sehr alte Bausubstanz. Beispiel Baden-Württemberg, die Staatsoper. Da regieren wir Grünen. Und wenn man diese Staatsoper so sanieren möchte, dass sie den aktuellen Energieeinsparungsstandards entspricht, dann liegt das Projekt in einer Größenordnung, wo man sagen kann: Braucht´s das? Kann man das verantworten? Aber natürlich will ich auch nicht alle denkmalgeschützen Häuser abreißen, das kann ich ja gar nicht, darf ich gar nicht. Aber Kulturneubauten gibt’s im Ruhrgebiet für 30, 40, 60 Millionen – und die Sanierungsmaßnahmen, das sind halt mittlere dreistellige Millionenbeträge. Es sagt sich so leicht, wir brauchen das, sonst erreichen wir die Klimaziele nicht, aber es ist halt einfach auch, wenn man einen sozialen und ökologischen Umbau schaffen will, wahnsinnig viel Geld, das dann halt beispielsweise bei Mindestgagen wieder fehlt.

Jeder Euro ist nur einmal da.

Man hat halt in jedem Staatshaushalt jeden Euro nur einmal. Wir Grünen tun immer so, als würden wir regieren und machen unsere Haushalte so – also unsere Schattenhaushalte – so, als würden wir regieren. Das heißt, ich muss jeden Cent, den ich im Kulturbereich ausgeben will, bei mir in der Fraktion mit den anderen Ressorts und den Haushälterinnen und Haushältern abstimmen. Und das heißt, ich kann nicht einfach sagen, das Haus der Kunst wird jetzt mal nach noch tolleren Energiesparstandards saniert, dann kostet es zwar zehnmal so viel, aber egal, Hauptsache die Umwelt. Das geht nicht, sondern ich muss begründen, warum es das braucht. Und ich muss auch selber überlegen, gebe ich jetzt den einen Euro, den ich habe, besser in diese noch tollere Sanierung oder besser in die soziale Nachhaltigkeit rein. Im Filmbereich ist das ein bisschen einfacher, weil im Filmbereich mehr Steuervolumen generiert wird. Im Kulturbereich kommt über die Kultur- und Kreativwirtschaft auch einiges an Einkommen ins Staatssäckel zurück… Aber es ist sehr viel schwerer, das zu kommunizieren. In Bayern sind es in der Abteilung für Kultur- und Kreativwirtschaft zwei Menschen in diesem riesigen Wirtschaftsministerium mit zig Tausend Angestellten. Das heißt, es ist den Leuten nicht klar, was in den Kultursektor zurückkommt. Es wird oft argumentiert, das ist der immaterielle Wert, oder wie Söder jetzt gerade so schön gesagt hat, die emotionale Seele unseres Landes. Das halte ich für nicht korrekt. Da kommt auch einiges an Geld zurück. Und ich glaube, deswegen ist es auch da wichtig, dass man investiert.

Grüner Drehpass

Aber es ist im Filmbereich leichter zu vermitteln, deswegen läuft es da auch besser. Schleswig-Holstein hat, als die Grünen dort mit an die Regierung kamen unter Robert Habeck, als erstes Land einen Grünen Drehpass eingeführt. Plötzlich machten es die und die, und plötzlich wollten auch Leute gar nicht mehr drehen in den Bundesländern, wo es keinen grünen Drehpass gab und diese Förderung nicht gab. Bezeichnend ist, dass der Hundertste Grüne Drehpass an eine bayerische Firma ging, die in Schleswig-Holstein gedreht hat. So verliert Bayern natürlich den Anschluss. Die Leute wollen das, auch, die Investoren, weil die ja in großen Investmentfonds drin sind. Und die Leute wollen wissen, investieren sie jetzt in Pornographie und Umweltzerstörung oder investieren sie in sozial-ökologische Nachhaltigkeit. Das heißt ein Label kann auch dort, wo privat finanziert wird, auf jeden Fall von Vorteil sein. Und wenn ein Staat so etwas ermöglicht, dann hilft das diesem Staat, sich besser aufzustellen für die Zukunft.

VH/TT: Wenn Sie jetzt das Label, den Filmpass gerade ansprechen… Können Sie sich vorstellen, dass das auch auf den Kulturbereich übertragbar ist? Dass auch da ein Label ein Anreizsystem sein könnte, um so einen Nachhaltigkeitsprozess zu unterstützen und welche Voraussetzungen müssten gegeben sein, dass so ein Label erfolgreich eingesetzt werden kann?

SK: Ich glaube, das könnte auf jeden Fall funktionieren, weil die Menschen daran gewöhnt sind, Siegel und Label zu haben, an denen sie sich orientieren können. Und die Verbraucher*innen nutzen das auch. Solche Label könnten auch beim Finden von Investor*innen, Drittmittelgeber*innen, beim Finden von Mäzenatentum hilfreich sein, weil Leute eben wissen, sie investieren hier nicht nur in einen guten Willen, in eine künstlerische Innovation, in Leute, die sie kennen oder in künstlerische Qualität, sondern sie investieren auch in etwas Größeres, Übergeordnetes. So ein Label müsste nicht nur Nachhaltigkeit heißen, sondern müsste definieren, was denn diese Nachhaltigkeit ist. Ich glaube, es bräuchte dringend soziale und ökologische Nachhaltigkeit. Und ich glaube zu der ökologischen Nachhaltigkeit gehört nicht nur Klimaschutz, sondern so Dinge wie Plastikvermeidung oder Lieferketteneinhaltung, also Dinge, die Lieferkettengesetze mitbestimmen. Wo kommen beispielsweise für unsere Wireless Mics die Batterien her, sind da Kinder in irgendwelchen Minen gestorben? Womit färben wir unsere Stoffe im Theater?

Menschen sind Zertifizierung gewohnt

Es gibt auch im Bereich Social Entrepreneurship umfangreiche Listen, mit denen es möglich ist, solche Zertifizierungen zu machen. Soziale Nachhaltigkeit im Kulturbereich bedeutet z.B. auch mehr Diversität. Unser Kultursystem ist ein System, das tatsächlich noch auf dem Feudalismus fußt. Das führt dazu, dass es einen großen Teil der Bevölkerung gibt, die de facto nichts vom Kulturbetrieb nutzen können oder nutzen wollen. Da ändert sich gerade in einigen Gebieten in Deutschland schon ein bisschen was, im Bereich Gender Equality, aber auch im Bereich Diversität hinsichtlich Alter, sexueller Orientierung oder Ethnie. Das ist ja etwas, worüber wir in Deutschland noch zu wenig sprechen. All diese Dinge müssten da mit reingepackt werden, damit man nicht am Schluss mit 20 verschiedenen Labeln dasteht.

VH/TT: Und wie könnte man den Institutionen vermitteln, dass sie die Anstrengungen, um ein solches Label zu bekommen, auf sich nehmen? Sie haben schon Drittmittelgeber angesprochen, dass das ein Weg wäre. Würde es sonst noch andere Wege geben? Wir haben uns auch schon die Frage gestellt, würde man eher in das eine Theater gehen, wenn man weiß, dass es zertifiziert ist, als in das andere? So entscheidet man ja eigentlich nicht. Man entscheidet ja schon aufgrund der Kunst.

SK: Ja, aber trotzdem hat ja jedes Theater ein Image, ein Bild. Also wenn ich jetzt hier in München zum Beispiel Volkstheater oder Resi oder Kammerspiele nehme, wenn ich bestimmte Namen höre, dann habe ich sofort ein bestimmtes Bild, dann habe ich sofort eine bestimmte Idee. Das heißt, wenn das gleiche Stück in verschiedenen Häusern läuft, weiß ich auch ungefähr, was ich zu erwarten habe.

Freiwillige Zertifizierung kann helfen, Image einer Institution zu schärfen.

Ein solches Label kann bei der Schärfung dieses Profils helfen und es kann auch helfen, Forderungen durchzusetzen und sich selber Ziele zu stecken. Also selber Inhouse zu sagen, wie wollen wir denn arbeiten? Das ist ja auch für die Beschäftigten vor Ort toll. Und wo es glückliche Beschäftigte gibt, gibt’s dann wiederum bessere Kultur und bessere Kunst. 

VH/TT: Wer könnte ein geeigneter Träger eines solchen Zertifikats/Labels sein? 

SK: Ich glaube das ist mit so einem Label etwas, was schlecht von außen kommen könnte. Ich glaube das ist etwas, was beispielsweise der Deutsche Kulturrat initiieren könnte, weil es muss tatsächlich von den Betroffenen aus der Szene selbst kommen. Ich glaube das wird nicht funktionieren, wenn jetzt irgendwie sich morgen irgendeine Kunstministerin oder Kunstminister hinstellt und sagt, ab morgen machen wir jetzt so ein Label. Halte ich für schwierig. Das hat in der Filmbranche deshalb so gut funktioniert, weil die Verbände das schon lange selbst gefordert haben. Es gibt ja Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit, also vor allem die ökologische Nachhaltigkeit. Der Klimaschutz ist etwas, was die Institutionen selbst fordern und man müsste sozusagen von Seiten der Verbände, von Seiten der Institutionen die Idee von so einem Label vorantreiben und die müssten das zu Ihrer eigenen Forderung machen. – Dann können wir politisch unterstützen und mit anschieben.

VH/TT: Nochmal eine Rückfrage zu dem Thema, dass in vielen Parteien noch keine Strukturen vorhanden sind, um sich mit dem Thema Nachhaltigkeit zu befassen. Würde es beispielsweise helfen, wenn die Verbände mehr Nachhaltigkeit fordern oder eben auch so ein Label fordern, um den Druck auf die Parteien zu erhöhen?

SK: Ja, ich merke das jetzt in der Krise ganz deutlich. Die meisten Amts- und Mandatsträger*innen haben keine eigenen Erfahrungen im Kulturbereich. Wenn dann so ein bisschen in Kultursponsoring der Stadtsparkasse oder sowas. Die meisten kennen den Kulturbereich vom Besuch der Oper oder weil sie gerne ins Museum gehen oder so. Das ist natürlich nichts, was in irgendeiner Form mit der Lebensrealität von Kulturschaffenden zu tun hat. Und ist auch nichts, wo man in aller Tiefe durchdringt wie so ein System, Kulturinstitution, funktioniert und wo man dann Hebel ansetzen müsste. Deshalb hilft es ganz enorm, wenn Verbände sich da positionieren. Das ist sehr, sehr wertvoll. Ich glaube das funktioniert am besten dann, wenn man sich einen Schwerpunkt setzt und dann immer wieder mit der gleichen Forderung nach draußen geht, immer wieder eine Aktion macht, offene Briefe schreibt, Pressemeldungen, um ein Gespräch bittet mit den Menschen in den Ministerien. Und die Verbände müssten das auf mehreren Ebenen angehen. Man müsste die Leute anschreiben, die in den Ausschüssen sind, die zuständig sind. Man müsste auf die Leute zugehen, die regieren, die Regierung. Und dann eben die Referentenebene, also die Kulturreferent*innen, Minister*innen und sowas. So könnte man das vielleicht schaffen, wenn man sich da einen Schwerpunkt setzt und kontinuierlich und dauerhaft mit klaren Zielen Dinge immer wieder fordert….

Veränderung, die zunächst nichts kostet, kann Türöffner sein für weitere wichtige Schritte

Was man nicht vergessen darf: So ein Label, das kostet ja erstmal nichts. Dann sind meine Chancen, dass ich so etwas eingeführt kriege, ziemlich groß. Die große Aufgabe ist es ein bundesweit einheitliches Label zu finden. Deswegen ist es gut, wenn man erstmal den Bund auf seiner Seite hat. Weil wenn jetzt jede Stadt mit einem eigenen Label anfängt, dann kommen wir in Teufels Küche. Es ist immer dann politischer Wandel am einfachsten möglich, wenn es nichts kostet. Wenn man sagt, wir brauchen nachhaltigen Wandel und übrigens, es kostet 30 Milliarden, dann hat man oft schon verloren. Also man müsste erstmal so ein Label fordern. Im nächsten Schritt müsste man dann fordern, dass die Kosten der Zertifizierung und Beratung förderfähig sind, dass man die also mit ansetzen kann. Und im dritten Schritt muss man dann fordern, um überhaupt diese Ziele zu erreichen, auch Maßnahmen in dem Bereich förderfähig sind und die Töpfe entsprechend aufgestockt werden.

VH/TT: Kulturinstitutionen kämpfen immer um Subventionen. Das haben wir jetzt auch mit Corona gemerkt, die Kultur kommt ganz hinten. Könnte das Engagement für Nachhaltigkeit die Legitimität von Kulturinstitutionen unterstützen? In dem Sinne, dass sie relevante Themen der Zeit auch mit bedenken. 

SK: Die Kunst ist frei und ich finde das ganz schwierig Inhalte mit staatlichen Vorgaben zu verknüpfen. Also im Filmbereich funktioniert das so, dass einfach nochmal so ein extra Topf ist, wo man dann in manchen Bundesländern Geld abgreifen kann, wenn man sich an diese Vorgaben des Grünen Drehpasses hält. Da gibt es dann so ein Zusatzbonus. Aber die Gesamtförderung wird nicht abhängig davon gemacht, ob man die Vorgaben erfüllt oder nicht. Und das halte ich auch für wichtig, weil ich glaube, wenn man da politisch Leitlinien einzieht, und sei es „jede Kultur muss sich gegen Rechtsradikalismus und für die Demokratie engagieren“ oder sei es „jede Kultur muss sozial und ökologisch nachhaltig werden“, das widerspricht zumindest meiner persönlichen Auffassung von einer Kunstfreiheit.

VH/TT: Das ist natürlich vollkommen klar, dass die Kunstfreiheit nicht angetastet werden darf. Aber wäre es möglich einen extra Fördertopf einzurichten, wo man wie eine Art Belohnung bekommt, wenn man sich mit dem Thema Nachhaltigkeit befasst? Und das nicht rein inhaltlich, sondern eben auch als Haus im Gesamten.

SK: Das müsste dann glaube ich ein Bundestopf sein. Weil wir ein bundesweites Siegel bräuchten. Weil die Länder nicht alle gleich leistungsfähig sind im einen kriegt man drei-Mark-fuffzig und im anderen kriegt man 10.000 Euro. Das ist ja eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und keine Aufgabe vom Saarland oder so.

VH/TT: Wie kann ein positives Narrativ entwickelt werden, das ohne moralischen Fingerzeig und Vorwürfe auskommt? 

SK: Ich glaube das funktioniert eigentlich so, wie das gerade läuft ganz gut. Keiner will Fliegen oder Autos abschaffen, aber alle finden Green New Deal hipp. In der Filmbranche fühlt sich keiner „gezwangsvermülltrennt“, aber alle finden Flight-Shaming gut. Also ich glaube der Schlüssel ist tatsächlich einfach der gesellschaftliche Trend, der dieses sehr schwammige „Ich will nachhaltig sein“ sexy macht, so dass das gerade einfach alle wollen und mögen. Und deshalb fühlt sich dann da niemand angegriffen. Es ist gerade etwas sehr Erstrebenswertes und wenn wir dieses Momentum nicht nutzen, dann kann es auch sehr schnell sehr leicht zu spät sein. Also im Moment würde keiner sagen, „oh Gott, wenn ich jetzt LED-Lampen anschaffen soll, dann bin ich in meiner künstlerischen Freiheit eingeschränkt.“ Sondern alle würden sagen „Mensch gut, dass wir endlich mal LED-Lampen kaufen.“ Und das ist einfach ein ganz anderes Narrativ und das ändert sich auch sehr, sehr schnell.

Aktuell steht die Gesellschaft Nachhaltigkeit sehr positiv gegenüber.

Und ob sich das ändert hat nicht so sehr was damit zu tun, ob tatsächlich Dinge erfüllt wurden oder nicht oder ob das noch dringend ist oder nicht, sondern damit, welche Debatten gerade dominieren. Man sieht das jetzt auch an Corona, wie die Debatten sich ändern, wie auf einmal Klimaschutz scheinbar keine Rolle mehr spielt, obwohl ja die Pariser Klimaziele, Gott sei Dank, weiter gelten. Was Robert Habeck immer so schön sagt „es gibt keinen Impfstoff für den Planeten.“… Also ich sag immer, wenn jetzt morgen Wahlen in Bayern sind und heute fliegt die Frauenkirche in die Luft, dann werden die Wahlen ganz anders ausgehen als wenn heute ein Atomkraftwerk in die Luft fliegt. Und deshalb muss man dringend dieses Momentum nutzen und eigentlich sollten alle Regierungen, wenn sie klug sind, egal wer regiert, darüber im Klaren sein, dass es ein großes Geschenk ist, dass die Bevölkerung da gerade so hinter diesem wichtigen nachhaltigen Umbau steht. Und das sollte man jetzt nutzen. Weil wenn man das erst macht, wenn es keinen interessiert, dann muss man da mit viel größeren Widerständen kämpfen, bei den Betroffenen selbst. Und dann macht das auch viel weniger Sinn als jetzt.

VH/TT: Vielen Dank für das Gespräch!