Seit Januar 2019 bin ich Mitglied im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks. Hier berichte ich aus meiner Arbeit dort.

Die besten Köpfe für den BR! Über Gleichstellung in Führungspositionen

Mit öffentlichen Mitteln finanzierter Rundfunk muss alle Teile der Gesellschaft abbilden. Darum müssen auch in den Kontrollorganen alle Teile der Gesellschaft repräsentiert sein. Was „alle Teile“ sind, darüber gibt es immer wieder Debatten. Sicher ist: Frauen sind die Hälfte der Gesellschaft! – Ein Offener Brief an Intendant Ulrich Wilhelm über Frauen in Führung und die besten Köpfe für den BR!

Gleichstellung und gar mit Quotierung erreichte Gleichstellung treibt vielen den Blutdruck nach oben. Quoten-Fans wie ich kennen etliche Studien, wissen, dass gemischte Teams bessere Ergebnisse erzielen und dass bis hin zur Menge von Redebeiträgen und Repräsentanz in Führungspositionen ohne Quote Schneckentempo in der Umsetzung der Gleichstellung herrscht – so denn überhaupt etwas voran geht.

Mit Menschen, die der Quote negativ gegenüberstehen, muss man dabei subtil und sensibel umgehen, um tausende Jahre Patriarchat, die schwer auf Frauen wie Männern lasten, nicht zu unvermittelt aus den Hirnwindungen der Leute zu reißen – wir wollen ja nicht, dass jemand Schaden nimmt. Wie kann es also gehen? Eine Umsetzung der Gleichstellung und zwar nicht erst in 100 Jahren?

Besinnung auf gemeinsame Werte

Der Trick: Fokus auf das, was (fast) alle wollen! In unserem Fall, ich war schwer enttäuscht von der gefühlt 100sten Gleichstellungs-Debatte im von 8 männlichen und einer weiblichen Führungskraft bestimmten Rundfunkrat des BR, tat ich mich mit mehreren gleichgesinnten Rundfunkrätinnen zusammen. Wir schlossen die Reihen und tauschten uns aus mit Frauen In-House, also jenen, die den BR von innen täglich erleben und Strukturen sehr gut kennen. Welche Ideen könnten zur Gleichstellung beitragen? Was kann für Geschlechtergerechtigkeit in den Führungsetagen sorgen?

Auch der geschätzte Rundfunkrats-Kollege Thomas Habermann (CSU), entsandt vom Bayerischen Landkreistag, warf sich für Gleichstellung in die Bresche und legte am 11.07.2019 mit einem Brief zur Gleichstellung nach. Fast wie beim Tennis schlug Intendant Ulrich Wilhelm am 19.07.2019 mit einem Eckpunkte-Papier Gleichstellung zurück. Alles für meinen Geschmack ein bissi dünn – wie kommen wir zu Taten?

Eine Insiderin hatte dann den heißen Tipp: die Dienstanweisung! Diese „Dienstanweisung“ beschreibt, wie die Intendanz, die das alleinige Vorschlagsrecht für Führungspersonal hat, welches dann vom Rundfunkrat in „Friss oder stirb“ Manier meist nur noch abgenickt wird, zu Personalvorschlägen kommt.

Bisher: aufklappen des Intendanten-Adressbuchs, Kumpels abtelefonieren.

Also: sehr salopp gesagt. Denn natürlich handelt es sich um hoch dotierte Stellen, da nennt man das Kumpels Abklappern gerne mal „Head Hunting“ und es muss na klar extrem diskret passieren, das sehen sogar krasse Transparenz-Feministinnen wie ich ein. „Ups, die Unternehmensführung will vielleicht zum BR wechseln – das stand in der Zeitung!“ – solche Schlagzeilen helfen eher nicht beim Finden von top Führungspersonal.

Zukünftig: Ausschreibung freiwerdender Führungspositionen

Transparente Ausschreibung führt dazu, dass nicht Gleiche Gleiche suchen, vorschlagen und einstellen, sondern dass alle Teile der Gesellschaft überhaupt erfahren, dass es frei werdende Positionen gibt. alle sind aufgefordert: mache bekannt, dass du das willst! Bewirb dich! Bringe dich ins Spiel!

Freilich bringt das alleine noch keine Gleichstellung – Ihr erinnert Euch: ich liebe die Quote! Aber zumindest gäbe es ein offizielles, transparentes Bewerbungsverfahren, die Frauenbeauftragte hätte ein Veto-Recht, z.B., wenn gar nicht erst genügend Frauen eingeladen würden und in die engere Wahl kämen.

Zu fünft verfassten wir einen Brief: Gemeinsam mit meinen wunderbaren Rundfunkrats-Kolleginnen Elke Beck-Flachsenberg, die auch Mitglied des Ältestenrates ist, Klothilde Schmöller, Susanne Zehetbauer und Dr. Martina Eglauer forderten wir darin keineswegs sowas infames wie 50% der Macht den Frauen. Sondern klar „Die Besten Köpfe für den BR„.

„Die Besten Köpfe für den BR“

In dem Brief taucht kein einziges Mal das problematische „Reizwort“ Frau oder gar der feministische Kampfbegriff „Gleichstellung“ auf. Trotzdem hat er Sprengkraft, denn er soll in Zukunft dafür sorgen, dass eben nicht mehr ein Mann sein Adressbuch aufschlägt und seine Kumpels abtelefoniert.

Der Brief soll dafür sorgen, dass Bewerbung mit gleichen Chancen für Frauen und Männer überhaupt möglich wird – ich kann es kaum glauben, dass ich das im 21. Jahrhundert schreiben muss.

Obwohl wir den Brief also maximal niedrigschwellig gehalten haben, haben von 50 Mitgliedern des Rundfunkrats nur 23 Männer und Frauen unterzeichnet. Wenn man die Nordkorea-artigen Zustimmungsquoten bei Neubesetzungen auf Vorschlag der Intendanz – trotz geheimer Wahl oft über 80% Zustimmung, was ich auf das oben beschriebene „Friss oder stirb“ Prinzip zurück führe – kennt, könnte man aber auch ruhigen Gewissens von einem großartigen Erfolg sprechen:

46% aller BR-Rundfunkrats-Mitglieder unterstützen unser Anliegen

23 Mitglieder des Rundfunkrats fordern von der Intendanz offen eine andere, gerechtere Art, Führungspositionen zu besetzen! Das ist ein offenes Aufbegehren von immerhin 46% des Rundfunkrats.

Es sollte dann nur noch rund sechs Monate dauern, bis rechtliche Fragen geklärt waren, Intendant und Justitiar aus der „Ausschreibung“ eine „Bekanntmachung“ gemacht hatten (nicht, dass sich am Ende noch so eine qualifizierte Frau einklagt…) und alles, alles endlich in trockenen Tüchern war.

Demokratie ist ein echt ultra-zähes Geschäft. Aber es tut auch so gut, wenn man mal kleine Erfolge feiern kann. Denn: der Brief war der Auftakt einer langen Reihe prägender Ereignisse, an deren Ende nach 70 Jahren Männerbünden im BR die Wahl einer Intendantin stand.


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Volle Breitseite gegen „Hindafing“

Wenn mir Menschen mailen, weil es Missstände, Probleme, Fragen gibt, finde ich das sehr gut. Bayern ist groß. Nicht alles aus allen Winkeln bekomme ich mit. Auch im Stimmkreis kann ich nicht immer überall sein.

Ich bekomme aber auch viel Post, die ist gar nicht persönlich an mich gerichtet, sondern geht mit der Gießkanne an Viele. Erst kürzlich hat so ein Gießkannen-Brief den Vogel abgeschossen:

In langen, sich träge Seiten herunter windenden Sätzen prangerte ein Mitglied des Rundfunkrats, dem ich auch angehöre, allen Ernstes an, das Bild von Politik und Kirche werde in „Hindafing“ verzerrt dargestellt. Schrieb’s und untermauerte es in einer langen, sich über etliche Seiten hinziehende Predigt: „Hindafing“! Gefahr!

Dass die mehrfach preisgekrönte Serie jetzt zum Anschauungs- und Untersuchungsobjekt zur Darstellung von Politik und Kirche in den Medien werden soll, halte ich für einen Treppenwitz.

  • Hat eigentlich jemand mal „Hindafing“ gesehen?
  • Sollte man die Darstellung von Politik und Kirche gerade in Bayern nicht lieber an Dahoam is Dahoam untersuchen?
  • Hat eigentlich schon mal jemand gelesen, was Satire soll, will und kann?

Servicepost von Sanne zu: „Satire“

Satire ist eine künstlerische Form, vorwiegend in Literatur und Darstellender Kunst, in welcher individuelle oder allgemein-menschliche Laster, Tollheiten, Verfehlungen und Unzulänglichkeiten erhöht werden, um zu kritisieren, mit Mitteln wie Hohn, Spott, Parodie, Ironie, Karikatur und anderer Methoden, manchmal mit dem Ziel, gesellschaftliche Verbesserung herbeizuführen.

Elliott, Robert C, „The nature of satire“, Encyclopædia Britannica, abgerufen Winter 2019/2020

Rand-Notiz: Satire ist für gewöhnlich humoristisch gemeint. Das Ziel ist meist aber nicht (nur) Unterhaltung, Gelächter und Witz. Der weit größere Zweck von Satire ist oftmals konstruktive Gesellschaftskritik.


Fotocredit: Hana H. / hanakirana CC BY 2.0

Pressemitteilung: Gleichstellung beim BR

Trotz des schlechten Ergebnisses von 25 zu 11 Stimmen bei 2 Enthaltungen wurde Tassilo Forchheimer als Leiter des Studio Franken vom Rundfunkrat bestätigt. Details über die Personalie waren bereits vor der Sitzung des über die Neubesetzung beratenden Ausschusses nach außen gedrungen. – Vielerseits scharf kritisiert der erneute Versuch der Positionierung eines Mannes. Zwischen der Ausschuss- und der Vollsitzung legte Ulrich Wilhelm daher nach: in einem Eckpunktepapier zur Gleichstellung versuchte er Frauenförderung zu präzisieren. – Leider ungenügend:

„Gleichstellung bedeutet, die gläserne Decke muss weg. Wir brauchen Frauen auch in den Chefetagen! Das Eckpunktepapier enthält keine einzige konkrete Maßnahme. Als Zeitrahmen sind 10 Jahre abgesteckt. – Dass dann unter Einbeziehung der zweiten und dritten Führungsebene des BR die Zahlen schön gerechnet werden, das ist beschämend.“

Sanne Kurz, Rundfunkrätin, Bündnis90/Die Grünen

Seit 1999 fanden sich beim BR genau drei Mal Frauen in der obersten Führungsebene. Lediglich in rund 11% der Fälle waren die sechs Direktions-Posten und die Intendanz in den 20 Jahren mit einer Frau besetzt. Die oberste journalistische Leitung obliegt aktuell gar zu 100% Männern.

„Parität ist bei der Besetzung von Führungspositionen des BR nicht vorgeschrieben. Auch die Gleichstellungsbeauftragte hat – anders als beispielsweise bei der Berufung an bayerischen Hochschulen – kein Mitspracherecht. Ein Armutszeugnis und ein Vorgehen, dass sich heute so kein Unternehmen mehr leisten kann.“

Sanne Kurz, Rundfunkrätin, Bündnis90/Die Grünen

Im Gleichstellungsbericht 2017 hieß es von Wilhelm noch vollmundig, Gleichstellung sei „…nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch ein wichtiger Faktor für die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit“. Bei intransparent und autokratisch getroffenen Personalentscheidungen, mit Forchheimer präsentierte Wilhelm einen langjährigen Weggefährten, ist von diesem Bekenntnis nichts zu spüren. Auch die im Netz zu findenden Angebote der BR Gleichstellungsbeauftragten richten sich – bis auf eines – an Frauen und Männer, fördern also nicht speziell Frauen. Kurz kennt das Problem:

„‘Es gibt keine kompetenten Frauen. Frauen haben nicht die nötige Erfahrung. Frauen wollen nicht. Qualität ist nicht quotierbar.‘ – Immer wieder höre ich gleiche, mantraartig wiederkehrende Argumente, die Frauen klein halten. Ja, Qualität ist nicht quotierbar. Sie ist aber auch nicht über 50 und männlich. Ich fordere ganz konkrete Förderungen auch für die oberen Hierarchieebenen! Programme für die Förderung von Frauen – und zwar nur von Frauen! An männlicher Führung haben wir wirklich keinen Mangel.“

Sanne Kurz, Rundfunkrätin, Bündnis90/Die Grünen

Im Oktober soll der neue Gleichstellungsbericht vorgelegt werden. Auch zur Diversität beim BR soll erstmals berichtet werden. Bleibt zu hoffen, dass den Worten endlich Taten folgen.