Seit Januar 2019 bin ich Mitglied im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks. Hier berichte ich aus meiner Arbeit dort.

#wirwarenimmerda – warum ARTEs Erklärung, die den Frauen-Kurzfilmwettbewerb retten will, leider nicht hilft

Sicher wisst Ihr, dass ich Filmemacherin bin. Momentan ist gerade wenig Zeit dafür, aber 25 Jahre Filme Machen – das bleibt. Als Filmemacherin ist man an der Filmhochschule von vielen Kolleginnen umgeben. Frauen stellen knapp über die Hälfte der Studierenden. Dann, bis zum 2. oder 3. Film, ist man entweder selber weg, oder die Kolleginnen sind weg – oder: beides.

Denn Frauen werden in der BRD seltener gefördert, bekommen seltener Senderaufträge, bekommen weniger öffentliche Mittel, bekommen weniger diverse Rollen und werden dort, wo man sie in Crews anstellt, schlechter bezahlt. Oft, weil sie nicht die Kamerafrau oder die Tonmeisterin sind, sondern in Bereichen arbeiten, die schlechter bezahlt sind, z.B. in „weniger wichtigen“ (= schlechter bezahlten) Bereichen oder nicht eingesetzt als HoD / Head of Department – oder: weil sie für die gleiche Arbeit weniger Geld bekommen. Denn den Gender-Pay-Gap gibt es auch beim Film. Leider.

ARTE hatte jetzt eine tolle Idee: Wenn wir so wenige Filmemacherinnen haben, machen wir doch mal einen Wettbewerb für sie! Vielleicht zu einem Thema… hm… irgendwas mit Frauen! Ja, genau:

„Unbeschreiblich weiblich“-Wettbewerb löst Proteststurm aus

Unbeschreiblich weiblich, das wäre doch was! – Liebes ARTE-Team: Kein Wunder, dass sich hier gerade alle Frauen, die Filme machen, sehr, sehr ärgern. Zu Recht! Denn #wirwarenimmerda! (Wer den Offenen Brief an ARTE der Initiative #nichtmeintatort lesen will und/oder sich an der Protestaktion beteiligen -> hier lang)

Wir Frauen stellen schon immer die Hälfte der Bevölkerung, seit langem die Hälfte der Studierenden und quasi seit Ewigkeiten machen wir auch Filme!

Wie bekommt Ihr Filme von Frauen, liebes ARTE-Team? Bei 100 Stoffideen, die über den Schreibtisch wandern, und 10 Filmen, die man machen möchte, solltest Du, liebes ARTE-Team, 5 Stoffe von Frauen umsetzen.

Oder, auch eine gute Idee: Von jedem Euro, den Du für Produktionen und Lizenzen ausgibst, 50 Cent an Frauen geben. Dazu müsstest Du Dich ein wenig umsehen, liebes ARTE-Team, bissi schau’n. Aber eigentlich, ja:

So einfach ist das!

Damit nicht einfach alte, christliche, heterosexuelle, nicht-behinderte, weiße Männer durch alte, christliche, heterosexuelle, nicht-behinderte weiße Frauen ersetzt werden, könntest Du, liebes ARTE-Team, wenn Du schon mal dabei bist, Dir über die Verwendung öffentlicher Mittel für alle Menschen der Gesellschaft Gedanken zu machen. Dabei könntest Du z.B. das Diamond System des Creative Diversity Network einsetzen – just an idea. Viele große Sender nutzen das bereits.

Alte, christliche, heterosexuelle, nicht-behinderte, weiße Männer?!

Bei dem Diversitäts-System geht es grob gesagt darum, alle Aspekte gendergerecht und divers hinzubekommen. Es geht darum:

  • wer die Filme macht, also nicht nur, wer Regie führt, sondern auch wer Kamera, Ton, Drehbuch, Produktion u.v.a.m. macht, und wie diese Menschen jeweils bezahlt werden
  • wer vor der Kamera zu sehen ist und wessen Geschichten wir sehen, also Haupt- und Neben-Rollen sowie Protagonist*innen
  • wessen Geschichten wir erzählen, was also unsere Inhalte sind
  • wen wir erreichen, wohin unsere Produktionen also ausstrahlen, und wer sie nutzt
  • Das Ganze muss man nicht als „soll“ und „kann“ aufziehen, sondern einer Dokumentation und einem Monitoring unterziehen, damit es wirkt. Gilt übrigens auch für Filme von Frauen, über Frauen, mit Frauen – messen und verbessern.

Generell aber: 1€ ausgeben, 50 Cent davon für Frauen. So einfach ist das. Mit 50/50 anfangen, wäre mal ein erster Schritt. Mit einem Kurzfilmwettbewerb („Nenne 10 Personen, die mit Kurzfilmen ihren Lebensunterhalt verdienen!“ Halt… war nur ein Witz!) zu dem Thema „Unbeschreiblich weiblich“ bringt man sicher nicht die 50% der Filmhochschulabsolventinnen der letzten 10, 20, 30 Jahre in Arbeit und Brot, die jeden Tag aufs Neue versuchen, mit ihren Dokumentarfilmen sich und ihre Familien zu ernähren.

Warum nur zeichnet sich Realität bisher nicht auf Bildschirmen ab?

Du erklärst, liebes ARTE-Team, ganz richtig:

Fakt ist, dass viel zu wenig Dokumentarfilme von Frauen auf ARTE gezeigt werden. Ganz besonders gilt dies für die Primetime. Und das, obwohl viele extrem talentierte und sehr engagiert arbeitende Filmemacherinnen sich an Journalismus- und Dokumentarfilmschulen ausbilden lassen.

ARTE Kurzfilmwettbewerb für Regisseurinnen

Dass Du, liebes ARTE-Team, mit der Schlüssel zum Problem bist, erkennst Du nicht. Denn weiter fragst du:

Warum nur zeichnet sich diese Realität bisher nicht auf den Bildschirmen ab? Und welche Bedeutung kann dem Genre Dokumentarfilm beigemessen werden, wenn es den weiblichen Blick nicht ausreichend miteinbezieht?

ARTE Kurzfilmwettbewerb für Regisseurinnen

Das fragen wir Filmemacherinnen uns auch. Und schlagen vor, dass Du, liebes ARTE-Team, einfach in Zukunft 50% Deiner Ausgaben in weibliche Produktionen steckst. Wir freuen uns auf Dich und Deine Anfragen!

50/50 – Dann klappt es auch mit dem weiblichen Blick.

Apropos weiblicher Blick: Leserinnen erkennen vielleicht die Dame im Bild. Sie heißt Alice Guy Blaché. Filmemacherin! Frau! Sie lebte 1873-1968 und war Erfinderin, Innovatorin, eine der ersten Regisseurinnen, erste weibliche Studiobesitzerin.

Die Ideen zur Gleichstellung sind alle da. Man muss nur wollen.

Seither gab es sehr, sehr viele Frauen. Gibt es sehr, sehr viele Filmemacherinnen. Weitere kostenfreie Ideen: Festivals auffordern, auf Gendergleichgewicht zu achten, Förderungen auffordern, gendergerechtes Budgeting und Quotierungen einzuführen, auf Verbände von Filmemacherinnen zugehen (PQF, WIFTG, DigitalMediaWomen, Cinematographinnen, WomenInMedia u.v.a.m.) und um Kooperationen bitten, an der ARTE-Spitze die „Gläserne Decke“ aus Beton sprengen und Präsidentinnen ernennen oder zumindest paritätisch besetzen und nicht in 2021 mit *null* Frauen an der Spitze versuchen, einen Stich zu machen – und und und.

Auch eine Präsidentin würde ARTE sehr gut tun.

P.S. – Deine Presseerklärung zur Klarstellung der Intention des Kurzdokumentarfilmwettbewerbs „Regisseurin gesucht!“ – ARTE-Statement haben wir wohl gelesen. Es scheint, Du verstehst nicht, liebes ARTE-Team, dass wir Filmemacherinnen schon immer da waren, nicht erst gesucht werden müssen und: keine Peanuts wollen, sondern die Hälfte Deiner Screentime und die Hälfte Deines Geldes – und die Hälfte Deines Präsidiums!


Weiterlesen:
Frankfurter Rundschau vom 11.11.2020: „Seit 1896“
Homepage der Initiative #Wirwarenimmerda
Homepage von Pro Quote Film


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It’s a woman! – Der BR hat eine neue Intendanz.

Frauen in Führung. Frauen in Medien. Dass man darüber im 21. Jahrhundert noch diskutieren muss, ist bitter, das 50/50 eine Ewigkeit entfernt. Weil Geduld nicht meine Stärke ist, habe ich mich im Sommer drangemacht und über 60 hochqualifizierte Medienfrauen recherchiert, mit 20 davon telefoniert, 6 davon mit meinen Grünen Kolleg*innen getroffen und 1 davon als neue Intendantin des BR vorgeschlagen. Auch das Frauennetzwerk des BR und das Rundfunkrats-Kollegium schoben kräftig mit an. Am Ende standen zwei Männer und eine Frau am Start im Rennen um die Intendanz des BR. Wie es lief und was in der Sitzung entscheidend war, lest Ihr hier.

Gleich vorweg: ich bin nicht der Meinung des Rundfunkratsvorsitzenden, wir hatten „bei dieser Wahl ein „Luxusproblem“ (…) [und] es sei eine Entscheidung zwischen sehr guten Kandidaten gewesen.“

Drei Kandidierende, eine Intendantin.

Nein: Wir Grüne haben alle drei Kandidierenden getroffen und ihre Bewerbungen intensiv diskutiert. Ja, es gab andere, sehr gute Kandidierende. Aber wir Grüne fanden nicht nur, nach 70 Jahren Männer-Dominanz ist es Zeit für eine Chefin für unseren Rundfunk, nein, wir fanden auch Dr. Katja Wildermuth bringt eindeutig die besten fachlichen Qualifikationen für den BR mit. Sie ist für uns die Persönlichkeit, die die Herausforderungen der kommenden fünf Jahre meistern wird. Für uns wichtige Werte wie Transparenz oder gute Unternehmenskultur haben für sie ebenso hohen Stellenwert wie der kluge Einsatz von Ressourcen: Investitionen dort, wo man stärker werden muss.

Es braucht. Mehr. Frauen in Führung.

Endlich eine Frau in Führung zu bekommen, spielt für uns Grüne ebenfalls eine große Rolle. Gemischte Teams sind widerstandsfähig und stark, divers aufgestellt heißt krisenfest aufgestellt. Dass man immer und überall fantastische weibliche Führungspersönlichkeiten findet, wenn man nur will, hat unser Findungsprozess gezeigt. Wie weit man kommen kann, wenn alle an einem Strang ziehen, war wiederum der Erfolg einer breiten Koalition. Unterstützt und angeregt vom Frauennetzwerk des BR kamen schon früh weibliche Führungspersönlichkeiten in den Fokus der internen und öffentlichen Debatte. Gemeinsam mit Frauen (und auch einigen Männern!) des Rundfunkrats haben wir dann gesucht, beraten, Netzwerke geschmiedet und Begegnungen gehabt, die über den Findungsprozess hinaus lange nachhaltig wirken werden.

Wir Grüne gratulieren!

Wir Grüne gratulieren Dr. Katja Wildermuth zur neuen Position und dem BR zur neuen Intendantin! Mit großer Freude werden wir das Haus und die Intendantin auf der Reise in die Zukunft begleiten.


Facts & Figures:

Am 22. Oktober 2020 wurde Katja Wildermuth vom Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks mit 38 von 48 Stimmen zur neuen Intendantin des Bayerischen Rundfunks gewählt. Sie wird den Sender mit seinen über 3000 Angestellten, sowie etlichen TV-, Radio- und Digitalangeboten als erste weibliche Intendantin nach 70 Jahren männlicher Intendanz führen. Ihre Amtszeit beginnt am 1. Februar 2021 und dauert planmäßig fünf Jahre. Dr. Katja Wildermuth tritt die Nachfolge von Ulrich Wilhelm an, der nach zehn Jahren nicht mehr für eine Kandidatur zur Verfügung stand

Weiterlesen:

Pressemitteilung: Eine Chefin für unseren Rundfunk

Sanne Kurz:Zeit für ein weibliches Gesicht in der Galerie der Intendanten des BR“

Am 31. Januar 2021 endet die Amtszeit des derzeitigen BR-Intendanten Ulrich Wilhelm. In der Sitzung des Rundfunkrats am 16. Juli kündigte er an, dass er zehn Jahre als Intendant des Bayerischen Rundfunks als ausreichend empfindet und es Zeit sei für eine Veränderung an der Spitze des BR. Rundfunkrätin Sanne Kurz, MdL appelliert an ihre Kolleginnen und Kollegen im Rundfunkrat: „Nutzen wir diese Chance und lassen endlich eine Frau ans Ruder! Die Galerie der sieben Herren, die den BR seit seiner Gründung 1947 geleitet haben, braucht ein weibliches Gesicht.

Dass es an kompetenten Kandidatinnen nicht mangelt, habe sich schnell herausgestellt, daher wundert sich Sanne Kurz sehr über die politisch motivierten Vorschläge, die aus CSU-Kreisen ins Feld geführt werden: „Wir haben uns mit einer langen Liste ans Werk gemacht. Es ist spannend zu sehen, wie viele gute Frauen es in Führung gibt. Wir wünschen uns, dass es auch beim BR ein klares Bekenntnis zu führungsstarken Frauen gibt. Wir brauchen eine Intendantin!

Für Sanne Kurz ist maßgeblich, dass die strukturelle Situation des BR bei der Suche nach einer geeigneten Führungskraft berücksichtigt wird: „Auswahlkriterien sind neben der Leidenschaft für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Teamstärke und Führungsqualitäten, die sich auf rechtliche Fragestellungen und dem Umgang mit Finanzen erstrecken. Wir Grüne erwarten von der künftigen Intendantin, Kompetenz und Erfahrung bei Inhalten und eine klare Vision, wie der Bayerische Rundfunk zukunftsfest aufgestellt werden kann: inhaltlich, personell, konzeptionell und finanziell.

Laut Kurz stecke der BR in einer Umbruchphase mit einem großen Potenzial: „Die Grenzen zwischen unterschiedlichen medialen Angeboten sind längst verwischt. Die Zielgruppe der unter 30jährigen – das Publikum von morgen, nimmt sich, was gefällt, ohne nach Anbietern zu fragen. Gleichzeitig gibt es viele ältere Menschen, denen das analoge Angebot lieb und teuer ist. Hier gilt es, gemeinsam mit dem Haus, mit allen, die beim und für den BR arbeiten und zusammen mit der ARD einen Masterplan zu entwickeln.

Visual Literacy statt Analphabetismus – richtiges Betrachten von Bildern

Das Wort „Literacy“ beschreibt im Englischen das Gegenteil von Analphabetismus. Es beschreibt aber noch mehr, nämlich

die Fähigkeit gedruckte oder geschriebene Texte zu identifizieren, verstehen, interpretieren, selbst zu schaffen; zu kommunizieren und Rechner zu nutzen und dabei geschriebene und gedruckte Materialien mit unterschiedlichen und sich verändernden Kontexten zu nutzen.

vgl UNESCO Publikationen zur Bildung, Education for all: literacy for life; EFA global monitoring report, 2006, Kapitel 6, Seite 149 ff

Als solche Fähigkeit ist Literacy ein Menschenrecht, das fast 20% der Weltbevölkerung vorenthalten wird. In Zeiten von Internet, Massenmedien, Fake News und Social Media kommt in diesem Kontext der Fähigkeit, Bilder zu lesen, der Visual Literacy, eine immer größere Bedeutung zu.

Seit rund einem Jahr sitze ich für uns Grüne im Rundfunkrat. Das Thema seriöse Berichterstattung bzw. Fake News beschäftigt mich dort sehr. Man braucht weder Trump noch PI-News, um zu wissen, wie wichtig eine Sensibilisierung im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt von Nachrichten ist. Denn Information und Desinformation sehen sich zuweilen verdammt ähnlich.
Dieser kritische Blick kommt nicht von alleine, er will – wie Lesen oder Schreiben – geübt sein. Erwachsene, Kindern und Jugendliche müssen die Chance haben, Literacy, und in unserer visuellen Medienwelt eben vor allem auch Visual Literacy zu erwerben.

Deshalb ist eine gemeinnützige Organisation wie die Lie Detectors , die sich der digitalen Bildung verschrieben haben, so ungemein wichtig. Die politisch neutralen und unabhängigen „Lügendetektoren“ gehen z.B. in Schulen und helfen, digitale Medienkompetenz zu schärfen. Ein toller Bericht darüber findet sich hier. Ich glaube fest daran: Es kann gelingen, Fakten, Meinungen und Meinungsmache voneinander zu trennen. Die Bayerische Landeregierung schläft auf diesem Gebiet – leider – komplett.

Vielleicht möchten Sie die Lie Detectors ja auch zu sich holen? Um z.B. eine Unterrichtsstunde anzufordern, wenden Sie sich bitte an info@lie-detectors.org. – Wir jedenfalls wollen die Lie Detectors auf meine Initiative hin in unseren Grüne Fraktion Bayern, Arbeitskreis für Bildung und Kultur einladen. Ich freue mich darauf und werde berichten!


Das für diesen Artikel verwendete Bild „Migrant Mother“ der Fotografin Dorothea Lange hat eine Geschichte. Mehr zu dieser Geschichte und den Nutzungsrechten findest Du hier.

Die besten Köpfe für den BR! Über Gleichstellung in Führungspositionen

Mit öffentlichen Mitteln finanzierter Rundfunk muss alle Teile der Gesellschaft abbilden. Darum müssen auch in den Kontrollorganen alle Teile der Gesellschaft repräsentiert sein. Was „alle Teile“ sind, darüber gibt es immer wieder Debatten. Sicher ist: Frauen sind die Hälfte der Gesellschaft! – Ein Offener Brief an Intendant Ulrich Wilhelm über Frauen in Führung und die besten Köpfe für den BR!

Gleichstellung und gar mit Quotierung erreichte Gleichstellung treibt vielen den Blutdruck nach oben. Quoten-Fans wie ich kennen etliche Studien, wissen, dass gemischte Teams bessere Ergebnisse erzielen und dass bis hin zur Menge von Redebeiträgen und Repräsentanz in Führungspositionen ohne Quote Schneckentempo in der Umsetzung der Gleichstellung herrscht – so denn überhaupt etwas voran geht.

Mit Menschen, die der Quote negativ gegenüberstehen, muss man dabei subtil und sensibel umgehen, um tausende Jahre Patriarchat, die schwer auf Frauen wie Männern lasten, nicht zu unvermittelt aus den Hirnwindungen der Leute zu reißen – wir wollen ja nicht, dass jemand Schaden nimmt. Wie kann es also gehen? Eine Umsetzung der Gleichstellung und zwar nicht erst in 100 Jahren?

Besinnung auf gemeinsame Werte

Der Trick: Fokus auf das, was (fast) alle wollen! In unserem Fall, ich war schwer enttäuscht von der gefühlt 100sten Gleichstellungs-Debatte im von 8 männlichen und einer weiblichen Führungskraft bestimmten Rundfunkrat des BR, tat ich mich mit mehreren gleichgesinnten Rundfunkrätinnen zusammen. Wir schlossen die Reihen und tauschten uns aus mit Frauen In-House, also jenen, die den BR von innen täglich erleben und Strukturen sehr gut kennen. Welche Ideen könnten zur Gleichstellung beitragen? Was kann für Geschlechtergerechtigkeit in den Führungsetagen sorgen?

Auch der geschätzte Rundfunkrats-Kollege Thomas Habermann (CSU), entsandt vom Bayerischen Landkreistag, warf sich für Gleichstellung in die Bresche und legte am 11.07.2019 mit einem Brief zur Gleichstellung nach. Fast wie beim Tennis schlug Intendant Ulrich Wilhelm am 19.07.2019 mit einem Eckpunkte-Papier Gleichstellung zurück. Alles für meinen Geschmack ein bissi dünn – wie kommen wir zu Taten?

Eine Insiderin hatte dann den heißen Tipp: die Dienstanweisung! Diese „Dienstanweisung“ beschreibt, wie die Intendanz, die das alleinige Vorschlagsrecht für Führungspersonal hat, welches dann vom Rundfunkrat in „Friss oder stirb“ Manier meist nur noch abgenickt wird, zu Personalvorschlägen kommt.

Bisher: aufklappen des Intendanten-Adressbuchs, Kumpels abtelefonieren.

Also: sehr salopp gesagt. Denn natürlich handelt es sich um hoch dotierte Stellen, da nennt man das Kumpels Abklappern gerne mal „Head Hunting“ und es muss na klar extrem diskret passieren, das sehen sogar krasse Transparenz-Feministinnen wie ich ein. „Ups, die Unternehmensführung will vielleicht zum BR wechseln – das stand in der Zeitung!“ – solche Schlagzeilen helfen eher nicht beim Finden von top Führungspersonal.

Zukünftig: Ausschreibung freiwerdender Führungspositionen

Transparente Ausschreibung führt dazu, dass nicht Gleiche Gleiche suchen, vorschlagen und einstellen, sondern dass alle Teile der Gesellschaft überhaupt erfahren, dass es frei werdende Positionen gibt. alle sind aufgefordert: mache bekannt, dass du das willst! Bewirb dich! Bringe dich ins Spiel!

Freilich bringt das alleine noch keine Gleichstellung – Ihr erinnert Euch: ich liebe die Quote! Aber zumindest gäbe es ein offizielles, transparentes Bewerbungsverfahren, die Frauenbeauftragte hätte ein Veto-Recht, z.B., wenn gar nicht erst genügend Frauen eingeladen würden und in die engere Wahl kämen.

Zu fünft verfassten wir einen Brief: Gemeinsam mit meinen wunderbaren Rundfunkrats-Kolleginnen Elke Beck-Flachsenberg, die auch Mitglied des Ältestenrates ist, Klothilde Schmöller, Susanne Zehetbauer und Dr. Martina Eglauer forderten wir darin keineswegs sowas infames wie 50% der Macht den Frauen. Sondern klar „Die Besten Köpfe für den BR„.

„Die Besten Köpfe für den BR“

In dem Brief taucht kein einziges Mal das problematische „Reizwort“ Frau oder gar der feministische Kampfbegriff „Gleichstellung“ auf. Trotzdem hat er Sprengkraft, denn er soll in Zukunft dafür sorgen, dass eben nicht mehr ein Mann sein Adressbuch aufschlägt und seine Kumpels abtelefoniert.

Der Brief soll dafür sorgen, dass Bewerbung mit gleichen Chancen für Frauen und Männer überhaupt möglich wird – ich kann es kaum glauben, dass ich das im 21. Jahrhundert schreiben muss.

Obwohl wir den Brief also maximal niedrigschwellig gehalten haben, haben von 50 Mitgliedern des Rundfunkrats nur 23 Männer und Frauen unterzeichnet. Wenn man die Nordkorea-artigen Zustimmungsquoten bei Neubesetzungen auf Vorschlag der Intendanz – trotz geheimer Wahl oft über 80% Zustimmung, was ich auf das oben beschriebene „Friss oder stirb“ Prinzip zurück führe – kennt, könnte man aber auch ruhigen Gewissens von einem großartigen Erfolg sprechen:

46% aller BR-Rundfunkrats-Mitglieder unterstützen unser Anliegen

23 Mitglieder des Rundfunkrats fordern von der Intendanz offen eine andere, gerechtere Art, Führungspositionen zu besetzen! Das ist ein offenes Aufbegehren von immerhin 46% des Rundfunkrats.

Es sollte dann nur noch rund sechs Monate dauern, bis rechtliche Fragen geklärt waren, Intendant und Justitiar aus der „Ausschreibung“ eine „Bekanntmachung“ gemacht hatten (nicht, dass sich am Ende noch so eine qualifizierte Frau einklagt…) und alles, alles endlich in trockenen Tüchern war.

Demokratie ist ein echt ultra-zähes Geschäft. Aber es tut auch so gut, wenn man mal kleine Erfolge feiern kann. Denn: der Brief war der Auftakt einer langen Reihe prägender Ereignisse, an deren Ende nach 70 Jahren Männerbünden im BR die Wahl einer Intendantin stand.


Mehr lesen zu Gleichstellung. | Mehr lesen zum BR Rundfunkrat.

Volle Breitseite gegen „Hindafing“

Wenn mir Menschen mailen, weil es Missstände, Probleme, Fragen gibt, finde ich das sehr gut. Bayern ist groß. Nicht alles aus allen Winkeln bekomme ich mit. Auch im Stimmkreis kann ich nicht immer überall sein.

Ich bekomme aber auch viel Post, die ist gar nicht persönlich an mich gerichtet, sondern geht mit der Gießkanne an Viele. Erst kürzlich hat so ein Gießkannen-Brief den Vogel abgeschossen:

In langen, sich träge Seiten herunter windenden Sätzen prangerte ein Mitglied des Rundfunkrats, dem ich auch angehöre, allen Ernstes an, das Bild von Politik und Kirche werde in „Hindafing“ verzerrt dargestellt. Schrieb’s und untermauerte es in einer langen, sich über etliche Seiten hinziehende Predigt: „Hindafing“! Gefahr!

Dass die mehrfach preisgekrönte Serie jetzt zum Anschauungs- und Untersuchungsobjekt zur Darstellung von Politik und Kirche in den Medien werden soll, halte ich für einen Treppenwitz.

  • Hat eigentlich jemand mal „Hindafing“ gesehen?
  • Sollte man die Darstellung von Politik und Kirche gerade in Bayern nicht lieber an Dahoam is Dahoam untersuchen?
  • Hat eigentlich schon mal jemand gelesen, was Satire soll, will und kann?

Servicepost von Sanne zu: „Satire“

Satire ist eine künstlerische Form, vorwiegend in Literatur und Darstellender Kunst, in welcher individuelle oder allgemein-menschliche Laster, Tollheiten, Verfehlungen und Unzulänglichkeiten erhöht werden, um zu kritisieren, mit Mitteln wie Hohn, Spott, Parodie, Ironie, Karikatur und anderer Methoden, manchmal mit dem Ziel, gesellschaftliche Verbesserung herbeizuführen.

Elliott, Robert C, „The nature of satire“, Encyclopædia Britannica, abgerufen Winter 2019/2020

Rand-Notiz: Satire ist für gewöhnlich humoristisch gemeint. Das Ziel ist meist aber nicht (nur) Unterhaltung, Gelächter und Witz. Der weit größere Zweck von Satire ist oftmals konstruktive Gesellschaftskritik.


Fotocredit: Hana H. / hanakirana CC BY 2.0

Pressemitteilung: Gleichstellung beim BR

Trotz des schlechten Ergebnisses von 25 zu 11 Stimmen bei 2 Enthaltungen wurde Tassilo Forchheimer als Leiter des Studio Franken vom Rundfunkrat bestätigt. Details über die Personalie waren bereits vor der Sitzung des über die Neubesetzung beratenden Ausschusses nach außen gedrungen. – Vielerseits scharf kritisiert der erneute Versuch der Positionierung eines Mannes. Zwischen der Ausschuss- und der Vollsitzung legte Ulrich Wilhelm daher nach: in einem Eckpunktepapier zur Gleichstellung versuchte er Frauenförderung zu präzisieren. – Leider ungenügend:

„Gleichstellung bedeutet, die gläserne Decke muss weg. Wir brauchen Frauen auch in den Chefetagen! Das Eckpunktepapier enthält keine einzige konkrete Maßnahme. Als Zeitrahmen sind 10 Jahre abgesteckt. – Dass dann unter Einbeziehung der zweiten und dritten Führungsebene des BR die Zahlen schön gerechnet werden, das ist beschämend.“

Sanne Kurz, Rundfunkrätin, Bündnis90/Die Grünen

Seit 1999 fanden sich beim BR genau drei Mal Frauen in der obersten Führungsebene. Lediglich in rund 11% der Fälle waren die sechs Direktions-Posten und die Intendanz in den 20 Jahren mit einer Frau besetzt. Die oberste journalistische Leitung obliegt aktuell gar zu 100% Männern.

„Parität ist bei der Besetzung von Führungspositionen des BR nicht vorgeschrieben. Auch die Gleichstellungsbeauftragte hat – anders als beispielsweise bei der Berufung an bayerischen Hochschulen – kein Mitspracherecht. Ein Armutszeugnis und ein Vorgehen, dass sich heute so kein Unternehmen mehr leisten kann.“

Sanne Kurz, Rundfunkrätin, Bündnis90/Die Grünen

Im Gleichstellungsbericht 2017 hieß es von Wilhelm noch vollmundig, Gleichstellung sei „…nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch ein wichtiger Faktor für die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit“. Bei intransparent und autokratisch getroffenen Personalentscheidungen, mit Forchheimer präsentierte Wilhelm einen langjährigen Weggefährten, ist von diesem Bekenntnis nichts zu spüren. Auch die im Netz zu findenden Angebote der BR Gleichstellungsbeauftragten richten sich – bis auf eines – an Frauen und Männer, fördern also nicht speziell Frauen. Kurz kennt das Problem:

„‘Es gibt keine kompetenten Frauen. Frauen haben nicht die nötige Erfahrung. Frauen wollen nicht. Qualität ist nicht quotierbar.‘ – Immer wieder höre ich gleiche, mantraartig wiederkehrende Argumente, die Frauen klein halten. Ja, Qualität ist nicht quotierbar. Sie ist aber auch nicht über 50 und männlich. Ich fordere ganz konkrete Förderungen auch für die oberen Hierarchieebenen! Programme für die Förderung von Frauen – und zwar nur von Frauen! An männlicher Führung haben wir wirklich keinen Mangel.“

Sanne Kurz, Rundfunkrätin, Bündnis90/Die Grünen

Im Oktober soll der neue Gleichstellungsbericht vorgelegt werden. Auch zur Diversität beim BR soll erstmals berichtet werden. Bleibt zu hoffen, dass den Worten endlich Taten folgen.