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Schriftliche Anfrage „Sitzungen der Maßregelvollzugsbeiräte“

In den Verwaltungsvorschriften zum Bayerischen Maßregelvollzugsgesetz sind Regeln für die Sitzungen der Maßregelvollzugsbeiräte festgelegt.

Die Staatsregierung wird gefragt:

1.1 Welche Maßregelvollzugsbeiräte haben bisher seltener als zweimal im Jahr getagt (bitte nach Maßregelvollzugseinrichtung und Jahr aufschlüsseln und die Anzahl der Sitzungen angeben)?

1.2 Welche Maßregelvollzugsbeiräte haben bisher häufiger als zweimal im Jahr getagt (bitte nach Maßregelvollzugseinrichtung und Jahr aufschlüsseln und die Anzahl der Sitzungen angeben)?

1.3 Welche Maßregelvollzugsbeiräte haben bisher digital getagt (bitte nach Maßregelvollzugseinrichtung und Jahr aufschlüsseln)?

2. Bei welchen Maßregelvollzugsbeiräten hat die oder der Vorsitzende keine Sitzung einberufen, obwohl ein Mitglied des Beirats darum gebeten hatte?

3. Wurden dem Amt für Maßregelvollzug von allen Sitzungen aller Maßregelvollzugsbeiräte Niederschriften übermittelt?

4.1 In welchen Maßregelvollzugsbeiräten sind Richter*innen, Psycholog*innen oder Psychotherapeut*innen, Vertreter*innen von Organisationen, die Patient*innen unterstützen, oder Vertreter*innen von Angehörigenverbänden Mitglied (bitte nach Maßregelvollzugsbeirat, Legislaturperiode und Beruf aufschlüsseln)?

4.2 In welche Maßregelvollzugsbeiratssitzungen sind auch Vertreter*innen des Personalrats eingeladen worden?

4.3 In welche Maßregelvollzugsbeiratssitzungen ist auch die oder der Patientenfürsprecher*in eingeladen worden?

5.1 Welche weiteren unabhängigen Beschwerdestellen, Ombudsstellen oder Ähnliches gibt es neben dem Maßregelvollzugsbeirat und der bzw. dem Patientenfürsprecher*in für Patient*innen im Maßregelvollzug?

5.2 Wie unterscheiden sich die anderen Stellen vom Maßregelvollzugsbeirat?

5.3 Wie beurteilt die Staatsregierung die Zusammenarbeit dieser Stellen mit den Maßregelvollzugsbeiräten?

6. Welche Maßregelvollzugsbeiräte haben Patientensprechstunden angeboten (bitte nach Beirat und Jahr aufschlüsseln)?

Hier geht’s zur Antwort:

Isar-Amper-Klinikum_München-Neubau_des_Hochsicherheitstraktes_für_straffällige_Psychiatriepatienten

In der Forensischen Psychiatrie untergebrachte Personen begleiten – meine Arbeit im MRV-Beirat

Im Maßregelvollzug, oft auch „Forensik“ genannt, werden nach §63 und §64 StGB verurteilte psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter*innen untergebracht.

Ziel der Unterbringung ist, die Allgemeinheit vor der Begehung weiterer Straftaten zu schützen. Weitere Ziele sind bei der Unterbringung
1. gemäß § 63 StGB, die untergebrachte Person zu heilen oder ihren Zustand soweit zu bessern, dass sie keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit darstellt,
2. gemäß § 64 StGB, die untergebrachte Person von ihrem Hang zu heilen und die zugrunde liegende Fehlhaltung zu beheben.

Gesetz über den Vollzug der Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie der einstweiligen Unterbringung – Bayerisches Maßregelvollzugsgesetz; Art. 2, Abs. 1

Als größte Oppositionspartei im Landtag stellen wir als Grüne Fraktion in allen Anstalten des Maßregelvollzugs (MRV) und in Justizvollzugsanstalten (JVA) die stellvertretenden Vorsitzenden in den Anstaltsbeiräten. Seit 2018 bin ich die stellvertretende Vorsitzende des Maßregelvollzugsbeirats des Isar-Amper-Klinikums in Haar.

Aktuell gibt es in Bayern 14 Maßregelvollzugseinrichtungen, in denen etwa 2600 Personen untergebracht sind. Die Beiräte der Einrichtungen bestehen aus bis zu fünf Mitgliedern. Der Beirat steht als Ansprechpartner zur Gestaltung des Vollzugs zur Verfügung. Er nimmt Wünsche, Anregungen und Beanstandungen entgegen und kümmert sich um dringliche Anliegen der untergebrachten Personen. Durch Ideen und Verbesserungsvorschläge unterstützt der Beirat die Leitung der Maßregelvollzugseinrichtung. Beiräte können bei der Betreuung der Patienten sowie der Eingliederung nach Entlassung mitwirken.

Was kann eine Beirätin bewirken?

Eines meiner Herzensanliegen sind Angebote, die Inklusion erleichtern, zum Beispiel über Leichte Sprache. Darum will ich, dass die Info-Broschüren für Menschen im MRV endlich auch in Leichter Sprache erscheinen. Außerdem möchte ich Lücken im entsprechenden Gesetz schließen, die in einigen Fällen den Sinn des Maßregelvollzugs nicht gewährleisten. Zudem kümmere ich mich um die Wahrung der Minderheitenrechte, wenn es um den Vollzug der Unterbringung sowie die sensibilisierte Behandlung durch das Personal geht. Last not least kommen im Bayerischen Maßregelvollzugsgesetz in seiner bisherigen Form nur Frauen und Männer vor. Diverse Menschen werden schlicht ignoriert. Auch das will ich anpacken!

Maßregel“: Was ist das überhaupt?

Eine Maßregel ist eine Zurechtweisung oder eine Sanktion. Eine „Maßregel der Besserung und Sicherung“ gehören zu den Rechtsfolgen. Sie kann von einem Strafgericht angeordnet werden, wenn eine Person eine rechtswidrige Tat begangen hat. Im Gegensatz dazu steht die Strafe, die verhängt wird.

Wichtiger Punkt: Die Maßregel ist unabhängig von Schuld

Sie wird zum Schutz vor gefährlichen Straftäter*innen oder zu deren Besserung angeordnet. So können Maßregeln der Besserung und Sicherung auch gegen schuldunfähige erwachsene Straftäter*innen angeordnet werden. Sie haben nachweislich etwas Rechtswidriges getan, sind aber nicht schuld.

Eine Maßregel wird aufgrund einer positiven Gefährlichkeitsprognose angeordnet. Das heißt, dass ein*e Täter*in als wahrscheinlich gefährlich einzustufen ist.

Gerne erkläre ich mehr zum Maßregelvollzug und beantworte Fragen wie immer per Mail!


Fotocredit: Mattes – Eigenes Werk, Isar-Amper-Klinikum München-Neubau des Hochsicherheitstraktes für straffällige Psychiatriepatienten
Lizenz: CC BY-SA 3.0


Gehen Sie ins Gefängnis oder eben auch nicht - Massregelvollzug Schuld und Strafe

MRV – Strafe, Schuld und Sonderopfer

Gerichte richten über Leute: Menschen, die gegen geltendes Recht verstoßen haben, Personen, die eine strafbare Tat begangen haben, werden nur dann bestraft, wenn sie Schuld trifft. Die anderen gehen aber im Regelfall nicht munter nach Hause. Ein Bericht aus dem Maßregelvollzug in Haar über Strafe, Schuld, Krankheit, Sucht und Sonderopfer.

Strafe

Strafe ist eine Sanktion für die schuldhafte Verletzung von Gesetzen oder anderen Normen. Strafe wird einer Person für ihr eigenes, schuldhaftes, rechtswidriges Nicht-Tun oder Tun auferlegt. Sie kann ausschließlich vom Staat durch richterliches Urteil oder richterlichen Strafbefehl wegen einer Straftat verhängt werden.

Ich bin keine Juristin – schlau gemacht habe ich mit bei der Bundeszentrale für politische Bildung, bei „Duden Recht A-Z“ und auf einem Forensik-Symposium der kbo Isar-Amper-Klinikum Haar, wobei „kbo“ für Kliniken des Bezirks Oberbayern“ steht.

Die Forensik ist auf der Seite des Bezirkskrankenhauses Haar nicht leicht zu finden, wenn man die Seite von Forensik bzw. Maßregelvollzug dann entdeckt hat, sieht man martialische Gebäude, die an ein Gefängnis erinnern, aber kein Gefängnis sind.

Krankheit und Sucht

Denn die Männer, die hier leben, sind keine Gefangenen, sondern Patienten. Sie werden nicht bestraft, sondern therapiert, Ziel ist Heilung und Möglichkeit des straffreien Lebens – also auch eine Ungefährlichkeit der Patienten für die Allgemeinheit. (Es gibt unterschiedliche Abteilungen und unterschiedliche Gründe, im Maßregelvollzug (MRV) zu sein, Krankheit oder Sucht z.B.; ich beschreibe hier nur grob und bitte um Studium der Seite zum MRV des Bezirkskrankenhauses Haar für detaillierte Infos.)

Der Weg zu Entlassung und straffreiem Leben ist lang und gelingt auch nicht immer. Die Männer sind hier in Haar, weil sie zwar eine Straftat begangen haben, aber so krank sind, dass sie keine Schuld trifft. Passiert sind also keine Unfälle, keine Fahrlässigkeiten. Passiert sind echte Straftaten, an denen die Personen, die die Straftat begangen haben, aber nicht schuld sind. Schuld gibt es im ethischen und moralischen, aber eben auch im rechtlichen Sinn.

Schuld

Die Schuld ist die Vorwerfbarkeit der Willensbildung des*der Täter*in. Sie setzt voraus, dass die handelnde Person statt des rechtswidrigen einen normgemäßen Handlungswillen hätte bilden können. Die Schuld ist – neben Tatbestand und Rechtswidrigkeit – die dritte zwingende Voraussetzung für die Verwirklichung eines Straftatbestandes. Und ohne Straftatbestand kein Schuldspruch, keine Strafe. Denn in der Bundesrepublik gilt der Schuldgrundsatz „nulla poena sine culpa“ [lat. „Keine Strafe ohne Schuld“]. Jede*r, der*die schuldlos handelt, muss straffrei bleiben.

Aber: Manche Menschen, die schuldlos handeln, sind so gefährlich, dass sie zum Schutz der Allgemeinheit ein sogenanntes „Sonderopfer“ erbringen müssen – grob gesagt die Behandlung im Maßregelvollzug. In hauchdünnen Scheibchen werden die Patienten in Haar wieder an ein „normales“ Leben herangeführt. Rückschläge sind unvermeidbar. Fortschritte geben Hoffnung. Die Patienten sind im Durchschnitt viel länger in Behandlung als nicht straffällig gewordene Kranke. Die Behandlung dauert oft auch länger als die Gefängnisstrafe, die sie erwartet hätte, wenn sie ihre Straftat gesund und voll schuldfähig begangen hätten.

Sonderopfer

Man sieht: It’s complicated. Alle probieren alles so gut zu machen, wie es geht. Absolute Sicherheit gibt es nicht. Weder absolute Sicherheit, dass man zu Recht Patient ist, und zwar nur so lange wie unbedingt nötig, noch absolute Sicherheit, dass man ungefährlich ist, wenn man nach vielen Jahren Behandlung und ewig langsamer Lockerung wieder außerhalb der Forensik lebt. Um die externe Kontrolle noch zu verbessern, wurden Maßregelvollzugsbeiräte eingeführt. Ich bin stellvertretende Vorsitzende des Maßregelvollzugs im Bezirkskrankenhaus Haar, kbo Isar Amper Klinikum.

Weiterlesen

Über mein erstes Forensik-Symposium könnt Ihr hier weiterlesen.
Hier geht es zur Infoseite des Zentrum Bayern Familie und Soziales.

Hier die Infobroschüre „Hinweise für untergebrachte Personen im Maßregelvollzug“ des Zentrum Bayern Familie und Soziales – die wir Grüne übrigens schon sehr, sehr lange zusätzlich in Leichter Sprache fordern…

Und hier das „Kurzgutachten zum Maßregelvollzug in Bayern“ von Dr. Rolf Marschner im Auftrag von Grüne Fraktion Bayern 2013

Forensik Symposium Kongress Massregelvollzugsbeirat München Haar Sanne Kurz

MRVB – Mein erstes Forensik Symposium

Wer sich für Forensik und Maßregelvollzug interessiert, hat sicher schon meinen Artikel über Strafe, Schuld und Sonderopfer gelesen und in unserem „Alltagsgeschäft“ als Maßregelvollzugsbeirat (MRVB) gestöbert. Heute berichte ich von meinem ersten Forensik Symposium – hochspannend und viele noch zu lösende Probleme!

Am 07.06.19 war ich S-Bahn bedingt mal wieder ein wenig zu spät dran (ein Skandal eigentlich, dass ich von mit im Münchner Osten mit Motorroller 15 Minuten, mit dem Radl 30 und mit der S-Bahn 45-55 Minuten nach Haar brauche…je nach S-Bahn Laune…). Als ich dann in den Vortragssaal kam, konnte ich nur noch einen Stehplatz ergattern, so proppenvoll war es.

14. Münchner Forensik-Symposium kbo Haar

Das 14. Münchner Forensik-Symposium hatte gerufen, und ich war mit einem Grünen Kollegen dem Ruf gefolgt. Ich war neu als Stellvertretende Vorsitzendes des Maßregelvollzugs-Beirats. Und weil ich diese Aufgabe sehr ernst nehme, wollte ich mich sofort tief hineinknien und möglichst viel lernen über Aufgaben, Hintergründe und Probleme.

Dr. Dorothea Gaudernack, Leiterin des Amtes für Maßregelvollzug Bayern

Bei den obligatorischen Grußworten und Einführungen bekam ich vor allem mit, dass sogar die Vertreterin der Staatsregierung, die mir stets hochkompetent und verantwortungsvoll begegnete Frau Dr. Gaudernack, Leiterin des Amtes für Maßregelvollzug Bayern, von der Überbelegung als dem drängendsten Thema sprach. Kein bayerisches Problem allein: Es gibt einen Anstieg der Patientenzahlen bundesweit, der MRV hat eine Aufnahmeverpflichtung und hängt an den Urteilen der Gerichte. Sehr spannend ihre Überlegung, ob sich ein gutes System selbst den Zulauf erhöht: Schafft also ein gutes MRV-Angebot auch die Nachfrage, sprich, urteilen Gerichte eher nach §63 und §64, wenn sie wissen, dass der MRV gut funktioniert? Hierzu läuft weiterhin eine Debatte um Abschaffung des §64. Weiteres Problem die Personen, die nach §126a untergebracht sind und oft aus „normalen“ psychiatrischen Abteilungen oder Asylbewerberheimen kommen.

Sachverständige ihres eigenen Seins: Betroffenenperspektive

Im Vortrag aus Betroffenenperspektive von Herrn Bialas wurde vor allem das Bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (BayPsychKHG) kritisiert. Der Sicherheitsgedanke sei hier stärker berücksichtigt als der Heilungsgedanke, etwas, was wir Grüne genau so sehen und massiv kritisieren. Spannend die Idee, dem Krisenpass die Wirkung einer Versorgungsvollmacht zu geben – im Krisenpass sind Informationen über Unverträglichkeiten und die gewünschte Behandlung in einer Krisensituation enthalten, psychisch Kranken und Behandelnden kann dies im Fall einer Krise sehr helfen.

Zur Novelle des Maßregelgesetzes sprach Dr. Herbert Steinböck, der mit seiner Publikation „Ein Jahr Bayerisches Maßregelvollzugsgesetz – eine erste Bilanz aus der klinischen Praxis“ bereits im Frühjahr 2017 klare Bewertungen u.a. zu Fixierung, Behandlung ohne Einwilligung und Beschwerdewesen abgab. Herr Dr. Steinböck ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter der Forensik in Haar. Beginnend mit ethischen Überlegungen zu Schuld, Sühne und Strafe war der Vortrag so voll und spannend, dass ich nur Stichpunkte notiert habe:

Leiter Maßregelvollzug im kbo Isar-Amper-Klinikum Haar: Dr. Herbert Steinböck

  • In Deutschland muss ein eingesperrter Mensch eine grundsätzliche Möglichkeit zur Freilassung haben
  • 08.10.1985 Urteil des BVerG: jahrelange Unterbringung im MRV ist unverhältnismäßig Tenor des Urteils: Je länger die Unterbringung dauert, desto höher ist das Risiko, dass die Gesellschaft tragen muss, je kürzer die Unterbringung, desto sicherer muss es für die Gesellschaft sein, eine Person frei zu lassen (Abwägung: Rechte des*der behandelten Person gegen Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft)
  • Seit den 90ern dominierte wieder der Sicherheitsgedanke über den Resozialisierungsgedanken, dies erhöht Zahl und Dauer der Unterbringungen
  • Heribert Prantl: „Dunkelkammer des Rechts“ zu Fixierung und Psychiatrie
  • Ab 2010 vermehrt Urteile des BVerG und mediale Berichterstattung (Fall Gustl Mollath)
  • 2016 wurde der §63 novelliert zugunsten der Patienten
  • Spannungsfeld zwischen ärztlicher und juristischer Expertise: Patienten werden nach Gerichtsurteil freigelassen, auch wenn Ärzte sich dagegen aussprechen
  • Reformen sozialpsychiatrischer Gesetze werden i.d.R. „von außen“ politisch angestoßen
  • Baur/Querengässer: Patienten dürfen wegen Unverhältnismäßig nicht unvorbereitet entlassen werden – juristische Brechstange darf nicht zu oft angewandt werden
  • Im kbo Haar gibt es insgesamt 420 Patienten. Bis 2016 wurden vereinzelt ad-hoc-Entlassungen vorgenommen, danach keine mehr. Entlassungen wegen Unverhältnismäßigkeit fanden noch statt, wurden aber besser vorbereitet.
  • These: Verhältnismäßigkeitsbegriff ist aus der juristischen Denkweise auch in die medizinisch-psychiatrische Welt vorgedrungen.
  • Verschiebung der Denkweise finden sich bspw. bei Zwangsmaßnahmen, Zielsetzungen und Lockerungen.
  • §67b StGB wird häufiger angewandt
  • Lockerungen werden auch bei Gefahr von Kleinkriminalität gestattet, um Verhältnismäßigkeit zu wahren
  • Zwangsmedikamentation und -behandlung ist mit Blick auf Verhältnismäßigkeit schwer zu verteidigen, weil sie zielorientiert und auf Prognosen basieren muss
  • „Sonderopfer“ -> Begriff für die Einschränkungen, die mit der Freiheitsentziehung und Zwang einhergehen. Umfang und Größe des Sonderopfers nehmen gegenüber Sicherheitsinteresse mit fortdauernder Dauer und mangelnder Qualität der Unterbringung zu.
  • Unterbringung von traumatisierten Migranten mit schlechten Deutschkenntnissen ist problematisch.
  • Aufenthaltsrecht verschlechtert sich meistens durch Aufenthalt im MRV
  • Kliniken möchten Abschiebungen in gefährliche Heimat meistens auch verhindern
  • Bei Recht auf Einzelzimmer-Unterbringung sind alle Beteiligten – auch die politische Seite – gefragt, dieses Recht zu erfüllen.

Prof. Dr. med. Peter Brieger

Aus dem Vortrag des ärztlichen Direktors des kbo-Isar-Amper-Klinikums blieb mir vor allem die Evidenz basierte Medizin im Gegensatz zur Eminenz basierten Medizin im Gedächtnis. Ich war ziemlich müde von all den Infos des Vormittags und hing halb in den Seilen, halb im Suppekoma des Mittagessens. Es ging um Studien und dass man sie immer hinterfragen müsse und dass Medizin wie auch Behandlung ein sich immer weiterentwickelndes Feld ist und sein muss. Leider fand ich keine Dokumentation des Symposiums und auch keine PDF des Vortrags online. Wer neugierig ist, kommt beim nächsten Mal einfach mit zum Symposium!

Dr. Markus Opgen-Rhein: Untergebrachte ohne deutschen Pass und ohne gesicherten Aufenthalt

Nach einem Kaffee wieder hellwach war ich beim Vortrag vom Dr. Markus Opgen-Rhein. Politisch total schwierig – aber von Seiten der Menschenrechte, des Grundgesetzes und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts her total richtig und wichtig: was ist eigentlich mit Menschen aus Asylbewerber-Unterkünften und Personen aus Drittstaaten, wenn sie im Maßregelvollzug gelandet sind?

Der Vortrag zeigte, es gibt für die Politik noch viel zu tun. Und nicht alles wird einfach sein: Ausländische Kranke in der Forensik haben es deutlich schwerer, eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft hinzubekommen als Personen mit gesichertem Aufenthalt oder deutschem Pass.

Es heißt aber in Art. 3, Grundgesetz „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ und nicht „Alle Menschen mit deutschem Pass sind vor dem Gesetz gleich.“ – Wie also kann eine erfolgreiche Behandlung und Entlassung dieser Patientinnen und Patienten aussehen? Solange man sich im ungelockerten Klink-Alltag bewegt, gibt es für alle Kranken gleiche Hürden und gleiche Chancen. Alle Kranken erhalten eine psychiatrische Diagnose, die Behandlung erarbeitet eine sogenannte „Delikthypothese“, die fragt warum der*die Patient*in zu diesem Zeitpunkt das Delikt begangen hat und die so Risikofaktoren identifiziert.

Dann beginnt die therapeutische Arbeit im Maßregelvollzug: Behandlung der Grundkrankheit, Minimierung der Risikofaktoren, Stärkung schützender Faktoren, Identifizierung des Unterstützungsbedarfs, multiprofessionelle Erarbeitung eines individuellen Behandlungs und
Vollzugsplanes, das Therapiekonzept.

„Königsklasse“ der Therapie ist die Erprobung der behandelten Person, Lockerungsstufen in feinen, kleinen Schritten bis hin zum Ziel des forensischen Probewohnens, der „Königsklasse“ der Lockerungen. Die Lockerungsstufen sind:

  • Lockerungsstufe 0 – Keine Lockerung
    • Kein Lockerungsstatus
  • Lockerungsstufe A – Begleiteter Ausgang
    • Begleiteter Ausgang außerhalb des gesicherten Bereichs
      • Stufe A1: 1:1 Ausgang mit Personal
      • Stufe A2: Gruppenausgang mit Personal (max. 1:4)
  • Lockerungsstufe B – unbegleiteter Ausgang auf dem Gelände
    • Unbegleiteter Ausgang außerhalb des gesicherten Bereiches
      • Stufe B1: Spaziergang im Gelände mit verlässlichen Besuchern
      • Stufe B2: unbeaufsichtigter Gang zu therapeutischen Angeboten im Gelände
      • Stufe B3: unbeaufsichtigter Spaziergang im Gelände
  • Lockerungsstufe C – unbegleiteter Ausgang außerhalb
    • Unbegleiteter Ausgang außerhalb der Maßregelvollzugseinrichtung
      • Stufe C1: Stadtausgang mit verlässlichen Besuchern
      • Stufe C2: unbegleiteter Stadtausgang
      • Stufe C3: tägliche Außenarbeit, einschließlich Arbeitssuche
  • Lockerungsstufe D – mehrtägiger Ausgang
    • Beurlaubung
      • Stufe D1: maximal 2 tägige Beurteilung mit einer Übernachtung bei verlässlichen Verwandten
      • Stufe D2: maximale 14 tägige zusammenhänge Beurlaubung
  • Lockerungsstufe P – Probewohnen
    • Beurlaubung zum Zwecke des Probewohnens

Ein bedeutender Anteil der Patienten im Isar-Amper-Klinikum-München hat keinen deutschen Pass. Einige davon leben mit Duldung, unklarer Aufenthaltsgenehmigung oder sogar vollzugsfähiger Ausreisepflicht hier. Erstaunt hat mich, dass das Strafgesetzbuch das für Kranke Personen, die Straftaten begangen haben, normale Prozedere umkehrt: Bei Menschen ohne deutschen Pass wird zuerst eine verhängte Freiheitsstrafe vollzogen und erst danach die Maßregel. Komisch, denn gilt nicht auch wie für alle anderen Menschen in der BRD der Schuldgrundsatz „nulla poena sine culpa“ [lat. „Keine Strafe ohne Schuld“], der besagt, dass jede*r, der*die schuldlos handelt, straffrei bleiben muss? Warum schickt man also Menschen, die keine Schuld haben, in den Strafvollzug, und nicht ins Krankenhaus, wo man ihnen hilft – und die Allgemeinheit vor ihrer Gefährlichkeit schützt? Egal mit welchem Pass? Die Lösung ist so bitter wie einfach:

Eine Umkehr von Strafe (Gefängnis) und Behandlung (Unterbringung im Maßregelvollzug) erlaubt es den Behörden, nach dem Strafvollzug abzuschieben, bevor die Maßregel vollzogen wird.

Wer Glück hat, bekommt Behandlung. Sprachbarrieren, mangelnde interkulturelle Kompetenz oder Bildung von Gruppen machen Arbeit auf den Stationen schwerer. Auch fordern wir Grüne seit langem eine Broschüre für Untergebrachte in Leichter Sprache und diversen Fremdsprachen, so dass Rechte und Pflichten alle klar sind. Leider verhallten bisher unsere Forderungen.

Wegen fehlender Arbeitserlaubnis, fehlender Dokumente oder unklaren Kostenträgern können Patienten aus dem MRV-Haar oft nicht oder nur schwer wieder eingegliedert und gelockert werden. Der Wohnort für das forensische Probewohnen ist insbesondere bei Asylbewerbern schwierig: Aufenthalt ist nur in der Asylunterkunft gestattet, die Asylunterkunft ist wiederum nur erlaubt, wenn man kein Obdach hat, der MRV gilt aber als Obdach, so Dr. Opgen-Rhein in seinem Vortrag.

Unmöglichkeit des Probewohnens und drückende Verhältnismäßigkeit

Der Teufelskreis aus „geht nicht, geht nicht, geht nicht“ wird noch angeheizt von der Tatsache, dass Asylheime ohnehin kein geeigneter Ort für ein forensisches Probewohnen (Lockerung P) oder gar eine Entlassung sind. forensisches Probewohnen ist also für Menschen, deren Wohnsitz vor der Unterbringung „Asyl-Unterkunft“ lautete, nahezu unmöglich. Werden sie aber nicht gelockert, drückt irgendwann die Verhältnismäßigkeit: sie sitzen verhältnismäßig sehr viel länger im Freiheitsentzug als gesunde für die gleiche Tat im Gefängnis sind. Was tun? Eine politische Lösung ist hier dringend gefragt, um Therapie-Erfolg, Lockerung und Probewohnen nicht zu gefährden. Aber auch: um nicht unvorbereitete Entlassungen wegen Verhältnismäßigkeit zu riskieren, die für die Allgemeinheit schlicht gefährlicher sind als „ordentlich“ vollzogene Entlassungen über Lockerungen.

Positive Legalprognose: ungefährliche Gefährder oder gefährdete Ungefährliche?

Ein Problem sind auch Abschiebungen von „Gefährdern“. Entlassene ehemals Untergebrachte ohne deutschen Pass werden meist abgeschoben. Die Gesetzeslage ist hier sehr widersprüchlich: bei Unterbringung nach §63 in Verbindung mit §20 StGB darf erst entlassen werden, wenn keine Straftaten mehr zu erwarten sind, also eine „positive Legalprognose“ besteht. Obwohl also eine Klinik „Ungefährlichkeit“ bescheinigt und bescheinigen muss, bevor entlassen werden kann, und eine Strafvollsgtreckungskammer, also ein Gericht, diese Ungefährlichkeit bestätigt, wir nach der Entlassung ausgewiesen und abgeschoben, weil die genesene, ungefährliche und als geheilt entlassene Person polizeilich weiterhin als gefährlich gilt.

Ausweisungen und Abschiebungen können wie oben geschildert auch bei Schuldunfähigkeit vollzogen werden – vor einer Unterbringung im Maßregelvollzug. §20 StGB ist hier aber eigentlich sehr klar: „Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“

Denkt man die Problematik zu Ende, erkannt man, dass der Teufel im Detail steckt. Ja, man sollte Kranke egal mit welchem Pass gleich behandeln und gut behandeln. Aber darf eine kranke Person ohne deutschen Pass einen besseren Aufenthaltsstatus als eine andere Person ohne deutschen Pass bekommen, weil die kranke Person ein Verbrechen begangen hat?

Mein Kopf rauchte, wie Ihr Euch denken könnt. Ich hasse es, wenn man Probleme nicht schnell und rasch lösen kann. Andererseits ist mir klar, dass das Leben kompliziert ist. – Puh. Die Führung durch den Sicherheitstrakt der Forensik kam da gerade recht, um mich wieder runter zu bringen.

Führung durch den Hochsicherheitstrakt

Die Forensik in Haar hat mehrere Abteilungen und einen engmaschigen Therapieplan. Tagsüber wird viel Stimulation angeboten: Sportraum, Musikangebote, Fernsehen, Gruppenräume, Therapie-Angebote. Schritt für Schritt kommen die Patienten zu selbständigerem Leben. die Forensik leidet unter Überbelegung, wer je in einer Klinik war, wird wissen, wie schwer man in 3- oder 4-Bett Zimmern Genesung erwarten kann. Wenn man selbst psychisch krank und die Zimmergenossen psychisch kranke Straftäter sind werden die Heilungschancen nicht größer. Trotz der wirklich krass beengten zellenartigen Wohnräume gab es kaum Suizidversuche in den letzten Jahren. Die durchschnittliche Verweildauer im kbo München-Haar liegt bei 1 bis 2 Jahren.

Blick nach Österreich und internationale Perspektive

Bevor ich los musste sprach Herr Eher noch zur Situation in Österreich. Es gibt dort wohl relativ wenig Patientenrechte, Reformen stocken wegen andauernder die Regierungskrise(n)… Die internationale Perspektive brachte dann Herr Nedopil ein. Er hat guten Einblick in den internationalen Austausch der Forensik mit Ziel der Bildung von Verständnis für unterschiedliche Ansätze des Maßregelvollzugs.

zunächst einmal war zum internationalen Austausch wohl wichtig, einer gemeinsame Definition von Forensik zu finden: Forensik als medizinisches Fach, das sich im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorschriften um die Betreuung psychisch kranker Straftäter kümmert. – Klingt doch gut und logisch, oder?

Jedes Jahr gibt es Summer-Schools im Kloster Irsee zur internationalen Fortbildung. Recht und Gerichte funktionieren in unterschiedlichen Ländern sehr unterschiedlich: institutionelle und Common-Law-Systeme haben große Unterschiede, die sich auch auf den Maßregelvollzug auswirken.

Internationale Unterschiede im Detail

Unterschiede gibt es aber auch darin, wer über Vorhandensein einer psychischen Störung entscheidet, wer einen Zusammenhang zwischen Krankheit und Straftat herstellt, was genau als relevante psychische Störung gilt, ob Krankheit, Alkohol- oder Drogenkonsum sich auf das Strafmaß auswirkt, ob es eine verminderte Schuldfähigkeit gibt, welche Art von Einrichtung zur Verfügung steht, ob es eine Unterbringung von suchtkranken Straftätern gibt (nur in Deutschland in speziellen Einrichtungen), ob es eine ambulante Nachversorgung gibt und wann entlassen wird.

Überraschung: das schwedisches Konzept des Maßregelvollzugs ist das modernste, so der Vortrag. Es fragt nicht nach dem Zustand während der Tat, sondern während der Verhandlung. Damit kann Unterbringung gemäß der Zielsetzung und Auswirkung gewählt werden.

Es kamen dann noch einige gute Vorträge, aber ich musste weiter zum nächsten Termin. Dauer-Schicksal. Sollte Dich Politik interessieren, stelle sicher, dass Du Dich bei spannenden Dingen losreisen kannst!


Danke für die Mitschriften an Matthias Laage, der das Büro Toni Schuberl vertreten und mich wunderbar mit Infos zu allem versorgt hat!