Schlagwortarchiv für: KTG 23. Juli 2022

220723_Fair Green Cultural Deal sozial ökologische Nachhaltigkeit ästhetische NAchhaltigkeit_Kulturpolitik Sanne Kurz Grüne LAndtag Bayern

Fair Green Cultural Deal – einige unserer bisherigen Aktivitäten

Wir Grüne Bayern Landtag begreifen ökologisch soziale Nachhaltigkeit als Herzensthema. Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die der Bundestag als seine eigenen Ziele übernommen hat, sind mehr als „nur CO2 und Müll“. Sie sind eine breite Agenda für eine Zukunft, die Zukunft hat. Hier eine kleine Sammlung von Initiativen, die wir Landtags-Grüne für den Kulturbereich bereits unternommen haben:

  • Klimaschutz in Kulturinstitutionen https://www.sanne-kurz.de/wp-content/uploads/2022/07/220426_AzP_kleine-Anfrage_Sanne-Kurz-Gruene-Landtag-Bayern_Klimaschutz-und-Kultureinrichtungen.pdf
  • Museumseintritte sozial gerecht gestalten https://www.sanne-kurz.de/2019/05/23/1743/
  • Inklusion in Museen https://www.sanne-kurz.de/2021/04/23/schriftliche-anfrage-inklusion-in-staatlichen-und-nichtstaatlichen-museen-in-bayern/
  • Barrierefreiheit im Kulturbereich https://www.sanne-kurz.de/2019/05/31/1741/
  • Familienfreundlichkeit in Kunst und Kultur https://www.sanne-kurz.de/2019/12/06/kunst-kultur-kinder-oder-wille-und-wirklichkeit/
  • Familienfreundliche Kunst und Kulturförderung I https://www.sanne-kurz.de/2019/11/07/1703/
  • Familienfreundliche Kunst und Kulturförderung II https://www.sanne-kurz.de/2019/11/07/1705/
  • Ansprechperson für Menschen mit Behinderung im Kunstministerium https://www.sanne-kurz.de/wp-content/uploads/2022/07/220707_kleine-Anfrage_AzP_Ansprechperson-Kultur-Behinderung-Inklusion-Teilhabe.pdf
  • CO2 Studie an staatlichen Kunst- und Kultureinrichtungen https://www.sanne-kurz.de/wp-content/uploads/2022/07/220314_AzP_-kleine-Anfrage_Co2-Studie_Sanne-Kurz-Gruene-Bayern-Landtag.pdf
  • Alles mit Schlagwort „Fair Green Cultural Deal“ https://www.sanne-kurz.de/schlagwort/fair-green-cultural-deal/
Fachgespräch_Fair Green Cultural Deal_Sanne Kurz_Grüne_Bayerischer Landtag

Fachgespräch „Fair Green Cultural Deal“ – ein erstes Fazit

Im Rahmen des aktuellen Themenschwerpunkts unserer Fraktion war unser Fachgespräch am 25. Oktober ein erster, wichtiger Meilenstein zum Fair Green Cultural Deal für Bayern. An welchen Stellschrauben muss man ansetzen, um eine ebenso soziale wie ökologische Nachhaltigkeit im Kulturbereich zu verankern? Das wollte ich von den über 20 Sachverständigen und Führungspersönlichkeiten aus ganz unterschiedlichen Kultursparten wissen, die meiner Einladung in den Landtag gefolgt waren. Das Ziel: Input zu sammeln, um daraus Handlungsanleitungen für unsere politische Arbeit zu ziehen.

Die Auswertung ist noch in vollem Gange, aber eins kann ich schon sagen: Unser Fachgespräch „Fair Green Cultural Deal“ war eine absolut lohnende und produktive Veranstaltung, aus der ich einen reichen Fang an Anregungen mitnehmen durfte. Danke allen Beteiligten dafür!

Besonders gefreut hat es mich, dass man auch im Ministerium für Wissenschaft und Kunst trotz der dramatischen Entwicklungen Zeit fand, sich einzubringen und die wichtigen Inputs der Runden mitzunehmen. Ich weiß wirklich zu schätzen, dass Nachhaltigkeit als Thema hier besetzt wird und das Interesse da ist. Nochmals danke auch an

Ich bin kein Fan des Nachdenkens im stillen Kämmerlein, bis – plopp – ein Erlass herausgeflattert kommt. Um kulturpolitisch gute Rahmenbedingungen für eine sozial-ökologische Nachhaltigkeit zu setzen und die Betroffenen mitnehmen zu können, braucht es Input, Austausch und Vernetzung und öffentliche Debatte. Trotz aller Unterschiede hinsichtlich der Strukturen und konkreten Bedarfen der einzelnen Institutionen und Verbände ließen sich bei unserem Fachgespräch einige gemeinsame Grundlinien finden.

„Wo sehen Sie Fortschritte? Wo stehen Hemmnisse im Weg? Was brauchen Sie, um Lösungen mitgestalten zu können?“

Das waren unsere Leitfragen, die wir uns über die zwei Workshoprunden – einmal zu ökologischer, einmal zu sozialer Nachhaltigkeit – als Wegweiser genommen hatten. Vorausgegangen war ein inspirierender Impulsvortrag von Nachhaltigkeits-Expertin Tabea Leukhardt, die dem anschließenden interaktiven Brainstorming und Sammeln von Ideen in Kleingruppen mit allen vorgebrachten Wünschen mit ihrer Key-Note einen vorgestellten roten Teppich ausbreitete.

Geld, Personal, Zeit. Ja, das wird es brauchen. Die gute Nachricht ist aber: Das ist nicht alles! Vor allem die Forderungen nach klaren Richtlinien, Leitplanken und Kompetenzen überraschten mich. Denn die kosten ja erst mal weder Geld noch Zeit, sondern „nur“ Handlungswillen und Gestaltungskraft. An einem sozio-ökologisch ausgestalteten Zuwendungsrecht können wir hier in Bayern mit der Bundesebene zu arbeiten beginnen. Entsprechende Zertifizierungen und die Förderung kultureller Bildung im Sinne von BNE könnten ein Übriges tun. In Verwaltungen immer wieder Menschen mit Expertise in der Praxis des Kreativbereichs einzubinden kann durch flexible Arbeits-Modelle und attraktive Angebote gelingen. Es hilft dabei auch, dieser Expertise zu vertrauen und Wissen wie auch Fachkompetenz als solche anzuerkennen. Bereits bestehende praktikable Lösungen einer sozial-ökologischen Nachhaltigkeit kann so auf allen ebenen vernetzt und verankert werden, statt das Rad stets neu erfinden zu müssen.

Zukünftige Relevanz braucht Nachhaltigkeit heute

Natürlich ist sozial-ökologische Nachhaltigkeit keine „g’mahte Wiesn“, wie man in Bayern zu sagen pflegt. Was bedeutet es etwa in der Außenwirkung für ein Orchester, wenn es sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreibt? Wie verankern wir soziale Nachhaltigkeit nach innen mit Diversität, Teilhabe auch der Teams und sozialen Standards? Was bedeutet soziale Nachhaltigkeit für Outreach, für Erreichen aller gesellschaftlichen Schichten, aller Ecken und Winkel unseres Landes? Wie können kleine und große Strukturen hier voneinander profitieren, sich ergänzen und befruchten?

Für mich ist klar: Jetzt ist die Zeit! Nachhaltigkeit ist kein Social-Media-Trend. Nachhaltigkeit ist unsere Verpflichtung als Bundesrepublik Deutschland, die die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen für sich als Leitlinien angenommen und somit auch für Bayern als Ziel gesetzt hat. Nachhaltigkeit ist unsere Verpflichtung gegenüber kommenden Generationen und unser Ziel, wenn wir uns in 30, 40 Jahren nicht in Irrelevanz auflösen möchten. Nachhaltigkeit ist, wonach die Zeit fragt.

Wie geht es weiter?

Parallel zu einer Studie zum Thema möchten wir am 23. Juli 2022 in einer öffentlichen Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Kunst trifft Grün“ das gesammelte Wissen sowie den Stand unserer Arbeit weitergeben und ein Podium für die Vernetzung von Wissen und Expertise anbieten.

Für Input zum Thema ist in meinem Büro federführend meine Büroleitung Valeska Schmidt zuständig, Kontaktaufnahme per Mail über den Link oder per Telefon.

Fachgespräch „Fair Green Cultural Deal“ im Bayerischen Landtag

Nachhaltigkeit in Künsten und Kulturleben

Um unsere Klimaziele einzuhalten, muss jeder Bereich seinen Beitrag leiten. Artists for Future, Museums for Future Germany & Co beweisen: Der Kultursektor ist bereit, seinen Teil beizutragen. Ohne soziale Abfederung und entsprechende Mittel wird ein Wandel aber schwer leistbar sein. Unsere Idee für einen Fair Green Cultural Deal soll einen politischen Rahmen für ökologische und soziale Nachhaltigkeit in der Kulturbranche schaffen.

Zum Kick-Off unseres Themenschwerpunkts Fair Green Cultural Deal laden wir Landtags-Grüne am 25.Oktober 2021 Fachleute aus diversen Sparten der Kulturszene zu einem Austausch in den Bayerischen Landtag ein.

Das Fachgespräch wird als Forum der Vernetzung dienen, insbesondere aber die Frage klären, welche Rahmenbedingungen Politik im Bereich der sozial-ökologischen Nachhaltigkeit für den Kunst- und Kultursektor setzen kann.

Zu unseren Fachgespräch eingeladen sind:

Mit den Ergebnissen werden wir unsere politische Arbeit zum Fair Green Cultural Deal untermauern. Eine Dokumentation des Fachgesprächs nebst Zusammenfassung der Ergebnisse werden wir hier veröffentlichen.

Fair Green Cultural Deal Sanne Kurz Grüne Bayern Landtag

Mit einem Fair Green Cultural Deal in die Zukunft

„Lebensgrundlagen“ haben wir Landtags-Grünen uns als Themenschwerpunkt fürs zweite Halbjahr 2021 auf die Fahnen geschrieben. Um diese Grundlagen auf lange Sicht ökologisch wie sozial tragfähig zu gestalten, braucht es den Beitrag aller. Auch der Kulturbereich ist muss seinen Beitrag zu sozial-ökologischem Wandel leisten. – Es ist Zeit für einen Fair Green Cultural Deal!

Dass es in Sachen Klimaschutz bereits 5 nach 12 ist, lässt sich kaum noch übersehen. Das Umweltbundsamt – eine Regierungsbehörde – stellt am 3.9.2021 fest, dass ein vom eigene Haus beauftragtes Gutachten „zeigt, dass auch die Maßnahmen und Instrumente des Klimaschutzprogramms 2030 nicht ausreichen, um das Gesamtminderungsziel 2030 von mindestens 55 % sowie die einzelnen Sektorziele“ zu erreichen.

Finanzielle Folgen der Klimakatastrophe horrend

Auch finanziellen Folgen der Klimakatastrophe werden immer drückender – z.B. 30 Mrd. Euro Flut Aufbaufonds am 7.9.2021 (allein Bund) oder 1,5 Milliarden Klimaanpassung und Ausgleich der Dürreschäden für den Wald (Bund und Länder, 20.04.2021) – und wir zahlen diese aus Verantwortungslosigkeit erwachsenen Folgen verfehlter Klimaschutz-Politik alle gemeinsam aus Steuermitteln, ob wir selbst klimafreundlich leben oder nicht.

Wenn also immer mehr Milliarden aus öffentlichen Kassen in die Milderung der Schäden der Klimakatastrophe fließen – wo wird man wohl kürzen? Wo wird man wohl politische Schwerpunkte setzen, wenn Freiheiten aufgrund jahrelanger Verweigerung beim Klimaschutz immer mehr beschnitten werden? Dabei könnte Kultur auch inhaltlich so viel beitragen!

Wir Grüne wissen: die Klimakatastrophe ist menschengemacht. Wir Menschen haben es in der Hand, sie zu mildern – und das mit Blick auf sozial-ökologische Nachhaltigkeit. Auch viele Kulturschaffende und -institutionen sind sich des Problems bewusst und handeln bereits. Nicht nur, weil allen klar ist, dass wegen Klimafolgen leere Kassen die Kultur hart treffen werden, sondern auch, weil die CO2-Bepreisung vor dem Kulturbereich keineswegs Halt machen wird.

Der Kultursektor wartet auf politische Leitplanken für sozial-ökologischen Wandel

Artists for Future, Museums for Future Germany, Nachhaltigkeits-Gremien: der Fair Green Cultural Deal ist bereits in aller Munde. So gibt es etwa in Berlin den Green Club Guide – einen „virtuellen Klimaberater“ für die Nachtkultur der Hauptstadt, in Bayern auf lokaler Ebene zahlreiche örtliche Projekte, um den Kulturbetrieb nachhaltiger als bisher aufzustellen und die Kulturstiftung des Bundes, die in einem Pilotprojekt, an dem neben 18 weiteren Kultureinrichtungen auch das Münchner Lenbachhaus beteiligt war, die Klimabilanzen, sprich den jeweiligen CO2-Fußabdruck von Kulturinstitutionen unter die Lupe genommen hat. Solch eine Studie hilft natürlich, um sich ein erstes, punktuelles Bild zu verschaffen.

Wer aber heute sozial-ökologisch nachhaltig handeln will, dem fehlen Werkzeuge und der bleibt auf eventuell anfallenden Mehrkosten erst mal sitzen. Darum braucht es einen politischen Rahmen für den Strukturwandel. Nachhaltige sozial-ökologische Transformation im Kulturbereich braucht den Fair Green Cultural Deal.

Unser Schwerpunkt

In unserem Schwerpunkt Lebensgrundlagen / Fair Green Cultural Deal wollen wir Landtags-Grüne

  1. Expertise sammeln (Fachgespräch),
  2. gelebte Praxis ergründen (Studie),
  3. Wissen vernetzen (öffentliche Veranstaltung) und aus diesen drei Bereichen dann
  4. Handlungsfelder und Forderungen für unsere politische Arbeit im Bayerischen Landtag entwickeln.

In der Kulturlandschaft Bayerns ist das Bewusstsein da, doch in der Regel fehlen die Ressourcen, personell, monetär und im Bereich Vernetzung und Wissen, um sozial-ökologische Nachhaltigkeit zu leben.

Um Weichen nicht punktuell auf Zukunft stellen zu können, sondern möglichst alle Beteiligte einzubeziehen, braucht es die Sammlung von verwertbaren Daten sowie die Bündelung von Wissen – also einen Pool an Fachleuten, Beratungsstellen zu Fördermöglichkeiten oder CO2-Rechner speziell für Kultureinrichtungen. Es braucht neues Denken in Klimatisierung von Museen und Kulturbauten und Sanierung und Ertüchtigung von Gebäuden. Und last not least Vernetzungsmöglichkeiten. Was mit Grün Fair Film unter anderem mit dem Grünen Drehpass heute in allen Grün (mit) regierten Bundesländern zum Alltag gehört, gehört auch im Kulturbereich endlich auf die Agenda.

Engagement im Bereich Nachhaltigkeit darf kein Privatvergnügen mehr sein!

Auf Bundesebene ist mein Kollege Erhard Grundl MdB mit der Grünen Bundestags-Fraktion vorangegangen und hat am 28. September 2020 das Positionspapier „Green Culture“ verabschiedet. Auch beim Treffen der Kulturminister*innen der Staaten beim G20-Gipfel Ende Juli 2021 in Rom wurde im Abschlussdokument auf die Rolle der Kultur im Hinblick auf den Klimawandel hingewiesen:

Acknowledging that culture, including intangible and tangible cultural heritage […] offer great potential to drive climate action and sustainable development and contribute meaningfully to climate solutions.

Rome Declaration of the G20 Ministers of Culture, 30.07.2021

Neben der Ökologie auch die soziale Dimension von Nachhaltigkeit nicht aus dem Blick verlieren

Wir Grüne denken Nachhaltigkeit dabei immer breit: sozial und ökologisch. There are no jobs on a dead planet – gute Klimapolitik ist dann, wenn es den Menschen und dem Planeten gut geht.

Fachgespräch zum Fair Green Cultural Deal

Um ökologische und soziale Nachhaltigkeitsfragen zusammen- und weiterzudenken, möchte ich am 25. Oktober zum Kick-Off unseres Schwerpunkts Fachleute aus diversen Kultursparten und aus allen Ecken Bayerns zu einem Fachgespräch im Landtag einladen. Es soll darum gehen, wie man zukunftsfähige Kulturinfrastruktur schaffen kann und welche politische Rahmenbedingungen es braucht. Austausch, Diskussion und Ideensammlung zum Thema Nachhaltigkeit im Kunst- und Kultursektor werden dabei im Vordergrund stehen.

Konkreteres dazu in Bälde – stay tuned!


Logo Bayerischer Landtag Sanne Kurz Grüne Fraktion Bayerischer Landtag Kultur Film

Antrag: FairArt-Funding

Der Landtag wolle beschließen:

Die Staatsregierung wird aufgefordert, analog zum Mindestlohn umgehend für alle ausgezahlten Fördermittel eine Mindestgage bzw. ein Mindesthonorar für Künstlerinnen und Künstler von 50,00 Europro Stunde plus MwSt. verbindlich anzusetzen. Die Fördersummen sind in den Haushaltsansätzen analog zur Einführung des Mindestlohns entsprechend aufzustocken.

Begründung:

Prekariat und Geldnöte im Kunst-und Kulturbereich sind nicht alleine der Corona-Krise geschuldet. Die Krise legt jedoch strukturelle Ungerechtigkeiten frei wie ein scharfer Wind, der den Sand vom Gerippe der Künste fegt: Angestellte kennen den Mindestlohn und profitieren, wenn sie nicht kurzfristig oder unständig beschäftigt sind, von Kurzarbeitergeld. Künstlerinnen und Künstler hingegen sind oft soloselbstständig oder freibe-ruflich tätig.

Rücklagen haben Künstlerinnen und Künstler aufgrund ihrer Einkommenssituation keine. Denn der bayerische Kultur-und Kreativwirtschaftsbericht vom 11.März 2020 zeigt nicht nur, wie wichtig die Kreativbranche für Bayern ist. Er zeigt auch, dass Umsatzlage und Beschäftigung in neunvon elfTeilmärkten weitgehend prekär sind. Anders als in anderen Branchen konnten Künstlerinnen und Künstler sowie jene, die Kultur erst möglich machen, wie z.B. Licht-oder Soundleute, meist nie Rücklagen aufbauen.

Aus Corona lernen heißt, strukturelle Probleme jetzt angehen! Der reiche Freistaat Bayern muss hier in Vorbildfunktion vorangehen: Mindestgagen und Mindesthonorare sind nicht erst seit Einführung des Mindestlohns längst überfällig und sollten aus Gründen der Menschenwürde auch Empfängerinnen und Empfängern staatlicher Förderpro-gramme gezahlt werden. Denn diese staatlichen Förderprogramme werden mit öffentlichen Mitteln finanziert. Dass die öffentliche Hand mit öffentlichen Mitteln Prekariat aufbaut, ist nicht hinzunehmen.

Entsprechend der Einführung des Mindestlohns müssen die Höhen der Förderungen zur Erfüllung des Mindestgagen-bzw. Mindesthonorargebots angepasst werden.

Logo Bayerischer Landtag Sanne Kurz Grüne Fraktion Bayerischer Landtag Kultur Film

Antrag: Faires Geld für faire Arbeit – Mindesthonorare und Mindestgagen für staatliche Aufträge

Der Landtag wolle beschließen:

Die Staatsregierung wird aufgefordert, analog zum Mindestlohn umgehend für alle an Freiberuflerinnen und -berufler sowie Soloselbstständige der Kultur-und Kreativwirt-schaft direkt oder indirekt vergebenen Aufträge, welche nach Stundensatz, Tagessatz oder Wochengage abgerechnet werden, wie beispielsweise Aufträge an Fotografinnenund Fotografen, Grafikerinnen und Grafiker, Designerinnenund Designer, Texterinnen und Texter, Künstlerinnenund Künstler, Publizistinnen und Publizisten, Schauspielerin-nenund Schauspieler, Sängerinnen und Sänger, Musikerinnenund Musiker, Autorin-nen und Autoren, Filmemacherinnenund -macher, Mediengestalterinnen und -gestalter, Editorinnenund Editoren, eine Mindestgage bzw. ein Mindesthonorar von 50 Euro pro Stunde plus Mehrwertsteuer (MwSt) anzusetzen.

Bei Werkverträgen ist der kalkulierte erforderliche Zeitaufwand zur Erbringung des Gesamtwerks als umgerechneter Stundensatz mit Mindestgage bzw. Mindesthonorar analog zum zu zahlenden Mindestlohn anzusetzen und auszuweisen.

Bei Ausschreibungen ist im Falle des Zuschlags analog zum Mindestlohn der Nachweis zu erbringen, dass die Gesamtleistung unter Zahlung von Mindesthonoraren und Mindestgagen an Akteurinnen und Akteure der Kultur-und Kreativwirtschaft umgesetzt wird.

Begründung:

Angestellte kennen den Mindestlohn und profitieren von Kurzarbeitergeld. Viele freie Berufe haben Honorarordnungen. Menschen in der sehr kleinteiligen Kultur- und Kreativwirtschaft sind oft soloselbstständig und freiberuflich tätig, von Honorarordnung oder Mindestgage keine Spur.

In der aktuellen Krise haben Kreative zwar für Teile ihrer Unkosten, so z.B. für einen kleinen Teil ihrer Versicherungen, Leasing-und Kredit-Raten, Mieten und Pachten, Hilfe erhalten, nicht aber für sich selbst, als Unternehmerinnen oder Unternehmer. Der bayerische Kultur-und Kreativwirtschaftsbericht vom 11. März 2020 zeigt nicht nur, wie wichtig die Branche ist. Er zeigt auch, dass Umsatzlage und Beschäftigung in neun von elf Teilmärkten weitgehend prekär sind –auch wegen fehlender Mindesthonorare und Mindestgagen, die Verbände und Gewerkschaften seit langem fordern. Anders als in anderen Branchen konnten die Erwerbstätigen der Kultur-und Kreativwirtschaft daher oftmalsnoch nie Rücklagen aufbauen, wie Akteurinnen und Akteure anderer Branchen dies aus eigener Kraft konnten und können. Aus Corona lernen heißt, strukturelle Probleme jetzt angehen! Der reiche Freistaat Bayern sollte hier in Vorbildfunktion vorangehen: Mindestgagen und Mindesthonorare sind nicht erst seit Einführung des Mindestlohns längst überfällig und sollten aus Gründen der Menschenwürde auch Kreativen gezahlt werden.

Kassettenrekorder_Interview_Grüne_Landtag_Bayern_Sanne Kurz

Nachhaltigkeit in Kulturinstitutionen – Sanne Kurz im Interview

Manchmal werde ich von Studierenden, z.B. im Rahmen einer Masterarbeit, um ein Interview gebeten. Die beiden Studentinnen Vera Hefele und Teresa Trunk haben im Rahmen des Studiengangs Kultur- und Musikmanagement an der Hochschule für Musik und Theater in München, die Nachhaltigkeit in Kulturinstitutionen für ihre Masterarbeit untersucht. Hier unser Interview vom 20. Mai 2020 in gekürzter Form:

VH/TT: Sie sind Kulturpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN – welchen Stellenwert nimmt Nachhaltigkeit in der Kultur in Ihrem konkreten Aufgabenbereich ein und wo setzen Sie in Bezug auf Nachhaltigkeit Ihren Schwerpunkt?

SK: Ich bin für Kulturpolitik und Film zuständig. Es gibt diese Studie der University of Southern California in den USA nicht nur zum Carbon Footprint, sondern überhaupt zur Umweltfreundlichkeit der Filmbranche in der Bay-Area. Diese Studie zeigt, dass die Filmindustrie die zweitdreckigste nach der Erdölindustrie ist. Das ist ganz schön dreckig, das muss man erstmal hinkriegen. Das heißt, in meiner Arbeit zur ökologischen Nachhaltigkeit bin ich stark auf den Film fokussiert. Das liegt natürlich auch daran, dass das hier in Bayern eine wahnsinnig starke Branche ist und dass wir hier ein großes Aufkommen haben. Wäre ich Sprecherin für Kulturpolitik und Film in Bremen, dann sähe das wahrscheinlich anders aus und meine Bemühungen würden sich wahrscheinlich eher gleich verteilen. Durch die Situation in Bayern ist es tatsächlich so, dass wir zu Nachhaltigkeit verstärkt im Film- und Medienbereich arbeiten. 

Nachhaltigkeit muss definiert werden

Zum Zweiten geht es, glaube ich, darum, dass man überhaupt erstmal Nachhaltigkeit definiert. Denn Nachhaltigkeit ist ja ein Label, das sich in den letzten Jahren viele gern ans Revers heften. Wenn man auf eine Tafel den Satz schreibt „Ich bin Mitglied bei …, weil ich Nachhaltigkeit wichtig finde.“, dann kann man das durch die Namen aller Parteien, bis auf vielleicht einer, ersetzen und alle können das sofort unterschreiben. Deswegen ist ganz wichtig zu definieren, was meint man mit Nachhaltigkeit? Meint man eine Umsetzung der SDGs, der „Sustainable Development Goals“ der Vereinten Nationen? Oder meint man damit, dass so ein bisschen ein grüner Touch drüber kommt, dass man alles ein bisschen anpinselt und dann ein gutes Marketingprojekt hat?

Greenwashing verhindern

Ähnlich zum Beispiel wie die Green Hospital Initiative der Bayerischen Staatsregierung, wo halt an einem Krankenhaus exemplarisch als Modellprojekt ein bisschen Müll getrennt wird. Aber das macht natürlich noch keine Dekarbonisierung von Krankenhäusern. Wir Grünen probieren Nachhaltigkeit immer als eine soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu definieren. Das tun wir deshalb, weil wir glauben, dass Ökologie nicht ohne Ökonomie gedacht werden kann – und, frei nach Bert Brecht, „erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. Es hat keiner Lust Kaffeebecher mehrfach zu verwenden und den Müll zu trennen, wenn er oder sie ausgebeutet wird, in prekären Arbeitsverhältnissen leben muss.

VH/TT: Inwieweit halten Sie es für relevant und wichtig, dass sich die Kulturbranche mit dem Thema (ökologische) Nachhaltigkeit befasst? 

SK: Wir erreichen nur dann die Pariser Klimaziele, die wir ja selbst mitgewollt haben, wenn wir in allen Branchen den Umbau schaffen, hin zu einer grünen ökologischen Wende. Wir müssen alle Branchen umbauen, weil wir sonst einen immensen wirtschaftlichen Schaden nehmen werden. Denn was viele Bürger nicht wissen ist, dass es Konsequenzen hat, wenn man nicht handelt. Strafzahlungen, die bei Nichteinhaltung der Pariser Verträge fällig werden. Diese Konsequenzen werden aber nicht kommuniziert, und man sieht die Investitionen, die es bräuchte, um den Wandel so voranzutreiben, nie unter dem Aspekt „sonst müssen wir Strafe zahlen“. – Mal unabhängig vom größten Schaden: dem Verlust der menschlichen Lebensgrundlagen.

Verlust menschlicher Lebensgrundlagen

Ich glaube trotzdem, dass es noch dringender einen Umbau in Richtung sozialer Nachhaltigkeit braucht. Ganz einfach, weil der gesamte Kultursektor ein Sektor ist – und ich rede da nicht nur von der Freien Szene, sondern auch von staatlichen und kommunalen Auftraggeber*innen – , wo es noch ganz, ganz stark an der sozialen Nachhaltigkeit mangelt. Es gibt keine Mindestgagen, es gibt keine Mindesthonorare für all die Freien. Natürlich haben Leute, die irgendwo fest angestellt sind, das alles. Aber auch die Festangestellten sind meistens kurzfristig oder unständig beschäftigt. Das bedeutet, sie sammeln eigentlich nie genug Anwartschaftszeit für das deutsche System des Arbeitslosengeldes an. Das heißt, entweder muss ich das ALG-System ändern oder es muss sich ändern, wie wir mit Menschen im Kulturbereich umgehen.

Es braucht auch soziale Nachhaltigkeit

Bei den Freiberufler*innen sieht das ganz genauso aus. Die haben teilweise Verträge – das zeigt sich jetzt in der Coronakrise -, bei denen sogar unsere Grüne Staatssekretärin in Baden-Württemberg den Kopf schüttelt und sagt „Wer hat denn diese Verträge gemacht? Das ist ein Vertrag, den darf man so gar nicht unterschreiben. Es ist illegal, was da drinsteht.“ Wo es keinerlei Ausfallregelung gibt. Und das ist natürlich etwas, was gar nicht geht. Vor allem nicht, wenn staatliche Mittel fließen. Die Filmbranche kann hier für eine soziale und ökologische Nachhaltigkeit ein gutes Vorbild sein. Wir Grünen haben hier in Bayern ein Programm gefordert, das nennt sich „Grün Fair Film“. Und dieser „Grün Fair Film“ bedeutet für uns Grüne, dass man Fördermittel nur dann auszahlt, wenn soziale Mindeststandards verpflichtend eingehalten werden.

Grün Fair Film als Beispiel

Genauso bräuchte man natürlich auch die ökologische Nachhaltigkeit, die wir Grünen uns beispielsweise durch einen Grünen Drehpass wünschen. In Bayern ist das Problem, dass die Staatsregierung die soziale Nachhaltigkeit nur als „Soll-Klausel“ reinschreibt. Das ist so wie „Sie sollten bitte Sicherheitsgurte im Auto anlegen“, das hilft natürlich gar nichts. Da braucht es einfach Verbindlichkeit. Genauso bräuchte es auch Verbindlichkeit im ökologischen Bereich. Wir bräuchten wie die MFG in Baden-Württemberg einen CO2-Rechner für die Kulturbranche bzw. für die Filmbranche, so dass die Leute überhaupt mal wissen, wo sie dran sind. Selbstverständlich müsste das dann staatlich auch unterstützt werden.

VH/TT: Für wie aufgeschlossen halten Sie Kulturbetriebe dem Thema Nachhaltigkeit gegenüber? Ist hier eine Bereitschaft da, und es scheitert dann eher an den fehlenden politischen Voraussetzungen?

SK: Die Kulturbetriebe sind diejenigen, die die Politik vor sich hertreiben, und das halte ich für beschämend für einen Kulturstaat, der qua Verfassung das Kulturstaatsprinzip hochhalten sollte. Die Kulturbetriebe sind die, die klare Richtlinien fordern. Auch, weil vielen Menschen offenbar klar ist, wenn wir unsere Klimaziele nicht erreichen, wird das sehr viel kosten – und dann raten Sie mal, wo zuerst gespart wird, wenn diese Kosten auf uns zukommen. Kultur ist eine freiwillige Leistung. Wenn wir die Pariser Klimaziele nicht einhalten und nicht mithelfen, auch im Kultursektor etwas zu verändern, dann wird es da zum Kahlschlag kommen, weil diese Strafzahlungen natürlich vom Staatshaushalt getragen werden.

VH/TT: Sie haben vorhin angesprochen, dass in der Filmbranche Bemühungen in Richtung Nachhaltigkeit mit Fördergeldern verbunden sind. Für wie realistisch halten Sie es, dass im Kulturbereich ebenfalls öffentliche Finanzierung an die Einhaltung nachhaltiger Kriterien geknüpft wird?

SK: Ich würde mich sehr freuen, wenn so etwas käme. Ich weiß, dass die Kulturpolitische Gesellschaft einen Schwerpunkt auch in Richtung nachhaltiger Umbau, also sozialökologische Nachhaltigkeit hat. Ich weiß, dass es bei uns Grünen auf allen Ebenen Arbeitsgemeinschaften zur Kultur gibt, weil wir sehr basisdemokratisch aufgebaut sind. Das heißt, wir haben auf kommunaler Ebene, Landesebene und Bundesebene Think Tanks, die in der Partei Kulturpolitik voranbringen. Das funktioniert auch sehr gut. Da entwickeln sich dann Fördermodelle und Ideen, die dann auch in den Ländern, in denen wir regieren, mit übernommen werden. Allerdings kenne ich auch kulturpolitisch extrem engagierte Basismitglieder beispielsweise aus der SPD, die viel auch mit der Kulturpolitischen Gesellschaft zusammenarbeiten, die aber nicht wissen, wo es solche Strukturen in ihrer eigenen Partei gibt. Das hat ja auch etwas mit Nachhaltigkeit zu tun, wie man Gruppen mitnimmt, wie man die Ressourcen, das Wissen und die Erfahrungen aus der Gruppe nutzt.

Parteibasis einbinden, gesamtgesellschaftliche Aufgabe bewältigen

Solange das nicht passiert, sondern das nur an 10 bis 15 Mandatsträger*innen hängt, die dann halt mal für Kulturpolitik zuständig sind… Wie sollen die denn etwas voranbringen? Da sind auch die Parteien gefordert, ganz dringend innerhalb ihrer Partei Strukturen zu verändern und sich klarzumachen, dass ein nachhaltiger Umbau in Richtung sozial-ökologische Nachhaltigkeit in allen Branchen, in allen Sparten stattfinden muss. Kulturbereich, Gesundheitswesen, Mobilität. Das kann nicht nur allein Industrie, Energieversorgung und vielleicht noch ein bisschen nachhaltiges „Häuslebauen“ sein, sondern es muss gesamtgesellschaftlich etwas passieren. Und da haben wir, glaube ich, leider noch keinen gesamtgesellschaftlichen Konsens gefunden. 

VH/TT: Können Sie da positive Entwicklungen beobachten?

SK: Mir sind bisher im Kulturbereich keine bekannt. Also im Filmbereich ja, da läuft das alles ziemlich gut. Aber im Filmbereich ist auch der Leidensdruck noch größer. Im Kulturbereich ist es so, dass es ja auch viel mit den Bauten zu tun hat. Wir haben eine sehr, sehr alte Bausubstanz. Beispiel Baden-Württemberg, die Staatsoper. Da regieren wir Grünen. Und wenn man diese Staatsoper so sanieren möchte, dass sie den aktuellen Energieeinsparungsstandards entspricht, dann liegt das Projekt in einer Größenordnung, wo man sagen kann: Braucht´s das? Kann man das verantworten? Aber natürlich will ich auch nicht alle denkmalgeschützen Häuser abreißen, das kann ich ja gar nicht, darf ich gar nicht. Aber Kulturneubauten gibt’s im Ruhrgebiet für 30, 40, 60 Millionen – und die Sanierungsmaßnahmen, das sind halt mittlere dreistellige Millionenbeträge. Es sagt sich so leicht, wir brauchen das, sonst erreichen wir die Klimaziele nicht, aber es ist halt einfach auch, wenn man einen sozialen und ökologischen Umbau schaffen will, wahnsinnig viel Geld, das dann halt beispielsweise bei Mindestgagen wieder fehlt.

Jeder Euro ist nur einmal da.

Man hat halt in jedem Staatshaushalt jeden Euro nur einmal. Wir Grünen tun immer so, als würden wir regieren und machen unsere Haushalte so – also unsere Schattenhaushalte – so, als würden wir regieren. Das heißt, ich muss jeden Cent, den ich im Kulturbereich ausgeben will, bei mir in der Fraktion mit den anderen Ressorts und den Haushälterinnen und Haushältern abstimmen. Und das heißt, ich kann nicht einfach sagen, das Haus der Kunst wird jetzt mal nach noch tolleren Energiesparstandards saniert, dann kostet es zwar zehnmal so viel, aber egal, Hauptsache die Umwelt. Das geht nicht, sondern ich muss begründen, warum es das braucht. Und ich muss auch selber überlegen, gebe ich jetzt den einen Euro, den ich habe, besser in diese noch tollere Sanierung oder besser in die soziale Nachhaltigkeit rein. Im Filmbereich ist das ein bisschen einfacher, weil im Filmbereich mehr Steuervolumen generiert wird. Im Kulturbereich kommt über die Kultur- und Kreativwirtschaft auch einiges an Einkommen ins Staatssäckel zurück… Aber es ist sehr viel schwerer, das zu kommunizieren. In Bayern sind es in der Abteilung für Kultur- und Kreativwirtschaft zwei Menschen in diesem riesigen Wirtschaftsministerium mit zig Tausend Angestellten. Das heißt, es ist den Leuten nicht klar, was in den Kultursektor zurückkommt. Es wird oft argumentiert, das ist der immaterielle Wert, oder wie Söder jetzt gerade so schön gesagt hat, die emotionale Seele unseres Landes. Das halte ich für nicht korrekt. Da kommt auch einiges an Geld zurück. Und ich glaube, deswegen ist es auch da wichtig, dass man investiert.

Grüner Drehpass

Aber es ist im Filmbereich leichter zu vermitteln, deswegen läuft es da auch besser. Schleswig-Holstein hat, als die Grünen dort mit an die Regierung kamen unter Robert Habeck, als erstes Land einen Grünen Drehpass eingeführt. Plötzlich machten es die und die, und plötzlich wollten auch Leute gar nicht mehr drehen in den Bundesländern, wo es keinen grünen Drehpass gab und diese Förderung nicht gab. Bezeichnend ist, dass der Hundertste Grüne Drehpass an eine bayerische Firma ging, die in Schleswig-Holstein gedreht hat. So verliert Bayern natürlich den Anschluss. Die Leute wollen das, auch, die Investoren, weil die ja in großen Investmentfonds drin sind. Und die Leute wollen wissen, investieren sie jetzt in Pornographie und Umweltzerstörung oder investieren sie in sozial-ökologische Nachhaltigkeit. Das heißt ein Label kann auch dort, wo privat finanziert wird, auf jeden Fall von Vorteil sein. Und wenn ein Staat so etwas ermöglicht, dann hilft das diesem Staat, sich besser aufzustellen für die Zukunft.

VH/TT: Wenn Sie jetzt das Label, den Filmpass gerade ansprechen… Können Sie sich vorstellen, dass das auch auf den Kulturbereich übertragbar ist? Dass auch da ein Label ein Anreizsystem sein könnte, um so einen Nachhaltigkeitsprozess zu unterstützen und welche Voraussetzungen müssten gegeben sein, dass so ein Label erfolgreich eingesetzt werden kann?

SK: Ich glaube, das könnte auf jeden Fall funktionieren, weil die Menschen daran gewöhnt sind, Siegel und Label zu haben, an denen sie sich orientieren können. Und die Verbraucher*innen nutzen das auch. Solche Label könnten auch beim Finden von Investor*innen, Drittmittelgeber*innen, beim Finden von Mäzenatentum hilfreich sein, weil Leute eben wissen, sie investieren hier nicht nur in einen guten Willen, in eine künstlerische Innovation, in Leute, die sie kennen oder in künstlerische Qualität, sondern sie investieren auch in etwas Größeres, Übergeordnetes. So ein Label müsste nicht nur Nachhaltigkeit heißen, sondern müsste definieren, was denn diese Nachhaltigkeit ist. Ich glaube, es bräuchte dringend soziale und ökologische Nachhaltigkeit. Und ich glaube zu der ökologischen Nachhaltigkeit gehört nicht nur Klimaschutz, sondern so Dinge wie Plastikvermeidung oder Lieferketteneinhaltung, also Dinge, die Lieferkettengesetze mitbestimmen. Wo kommen beispielsweise für unsere Wireless Mics die Batterien her, sind da Kinder in irgendwelchen Minen gestorben? Womit färben wir unsere Stoffe im Theater?

Menschen sind Zertifizierung gewohnt

Es gibt auch im Bereich Social Entrepreneurship umfangreiche Listen, mit denen es möglich ist, solche Zertifizierungen zu machen. Soziale Nachhaltigkeit im Kulturbereich bedeutet z.B. auch mehr Diversität. Unser Kultursystem ist ein System, das tatsächlich noch auf dem Feudalismus fußt. Das führt dazu, dass es einen großen Teil der Bevölkerung gibt, die de facto nichts vom Kulturbetrieb nutzen können oder nutzen wollen. Da ändert sich gerade in einigen Gebieten in Deutschland schon ein bisschen was, im Bereich Gender Equality, aber auch im Bereich Diversität hinsichtlich Alter, sexueller Orientierung oder Ethnie. Das ist ja etwas, worüber wir in Deutschland noch zu wenig sprechen. All diese Dinge müssten da mit reingepackt werden, damit man nicht am Schluss mit 20 verschiedenen Labeln dasteht.

VH/TT: Und wie könnte man den Institutionen vermitteln, dass sie die Anstrengungen, um ein solches Label zu bekommen, auf sich nehmen? Sie haben schon Drittmittelgeber angesprochen, dass das ein Weg wäre. Würde es sonst noch andere Wege geben? Wir haben uns auch schon die Frage gestellt, würde man eher in das eine Theater gehen, wenn man weiß, dass es zertifiziert ist, als in das andere? So entscheidet man ja eigentlich nicht. Man entscheidet ja schon aufgrund der Kunst.

SK: Ja, aber trotzdem hat ja jedes Theater ein Image, ein Bild. Also wenn ich jetzt hier in München zum Beispiel Volkstheater oder Resi oder Kammerspiele nehme, wenn ich bestimmte Namen höre, dann habe ich sofort ein bestimmtes Bild, dann habe ich sofort eine bestimmte Idee. Das heißt, wenn das gleiche Stück in verschiedenen Häusern läuft, weiß ich auch ungefähr, was ich zu erwarten habe.

Freiwillige Zertifizierung kann helfen, Image einer Institution zu schärfen.

Ein solches Label kann bei der Schärfung dieses Profils helfen und es kann auch helfen, Forderungen durchzusetzen und sich selber Ziele zu stecken. Also selber Inhouse zu sagen, wie wollen wir denn arbeiten? Das ist ja auch für die Beschäftigten vor Ort toll. Und wo es glückliche Beschäftigte gibt, gibt’s dann wiederum bessere Kultur und bessere Kunst. 

VH/TT: Wer könnte ein geeigneter Träger eines solchen Zertifikats/Labels sein? 

SK: Ich glaube das ist mit so einem Label etwas, was schlecht von außen kommen könnte. Ich glaube das ist etwas, was beispielsweise der Deutsche Kulturrat initiieren könnte, weil es muss tatsächlich von den Betroffenen aus der Szene selbst kommen. Ich glaube das wird nicht funktionieren, wenn jetzt irgendwie sich morgen irgendeine Kunstministerin oder Kunstminister hinstellt und sagt, ab morgen machen wir jetzt so ein Label. Halte ich für schwierig. Das hat in der Filmbranche deshalb so gut funktioniert, weil die Verbände das schon lange selbst gefordert haben. Es gibt ja Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit, also vor allem die ökologische Nachhaltigkeit. Der Klimaschutz ist etwas, was die Institutionen selbst fordern und man müsste sozusagen von Seiten der Verbände, von Seiten der Institutionen die Idee von so einem Label vorantreiben und die müssten das zu Ihrer eigenen Forderung machen. – Dann können wir politisch unterstützen und mit anschieben.

VH/TT: Nochmal eine Rückfrage zu dem Thema, dass in vielen Parteien noch keine Strukturen vorhanden sind, um sich mit dem Thema Nachhaltigkeit zu befassen. Würde es beispielsweise helfen, wenn die Verbände mehr Nachhaltigkeit fordern oder eben auch so ein Label fordern, um den Druck auf die Parteien zu erhöhen?

SK: Ja, ich merke das jetzt in der Krise ganz deutlich. Die meisten Amts- und Mandatsträger*innen haben keine eigenen Erfahrungen im Kulturbereich. Wenn dann so ein bisschen in Kultursponsoring der Stadtsparkasse oder sowas. Die meisten kennen den Kulturbereich vom Besuch der Oper oder weil sie gerne ins Museum gehen oder so. Das ist natürlich nichts, was in irgendeiner Form mit der Lebensrealität von Kulturschaffenden zu tun hat. Und ist auch nichts, wo man in aller Tiefe durchdringt wie so ein System, Kulturinstitution, funktioniert und wo man dann Hebel ansetzen müsste. Deshalb hilft es ganz enorm, wenn Verbände sich da positionieren. Das ist sehr, sehr wertvoll. Ich glaube das funktioniert am besten dann, wenn man sich einen Schwerpunkt setzt und dann immer wieder mit der gleichen Forderung nach draußen geht, immer wieder eine Aktion macht, offene Briefe schreibt, Pressemeldungen, um ein Gespräch bittet mit den Menschen in den Ministerien. Und die Verbände müssten das auf mehreren Ebenen angehen. Man müsste die Leute anschreiben, die in den Ausschüssen sind, die zuständig sind. Man müsste auf die Leute zugehen, die regieren, die Regierung. Und dann eben die Referentenebene, also die Kulturreferent*innen, Minister*innen und sowas. So könnte man das vielleicht schaffen, wenn man sich da einen Schwerpunkt setzt und kontinuierlich und dauerhaft mit klaren Zielen Dinge immer wieder fordert….

Veränderung, die zunächst nichts kostet, kann Türöffner sein für weitere wichtige Schritte

Was man nicht vergessen darf: So ein Label, das kostet ja erstmal nichts. Dann sind meine Chancen, dass ich so etwas eingeführt kriege, ziemlich groß. Die große Aufgabe ist es ein bundesweit einheitliches Label zu finden. Deswegen ist es gut, wenn man erstmal den Bund auf seiner Seite hat. Weil wenn jetzt jede Stadt mit einem eigenen Label anfängt, dann kommen wir in Teufels Küche. Es ist immer dann politischer Wandel am einfachsten möglich, wenn es nichts kostet. Wenn man sagt, wir brauchen nachhaltigen Wandel und übrigens, es kostet 30 Milliarden, dann hat man oft schon verloren. Also man müsste erstmal so ein Label fordern. Im nächsten Schritt müsste man dann fordern, dass die Kosten der Zertifizierung und Beratung förderfähig sind, dass man die also mit ansetzen kann. Und im dritten Schritt muss man dann fordern, um überhaupt diese Ziele zu erreichen, auch Maßnahmen in dem Bereich förderfähig sind und die Töpfe entsprechend aufgestockt werden.

VH/TT: Kulturinstitutionen kämpfen immer um Subventionen. Das haben wir jetzt auch mit Corona gemerkt, die Kultur kommt ganz hinten. Könnte das Engagement für Nachhaltigkeit die Legitimität von Kulturinstitutionen unterstützen? In dem Sinne, dass sie relevante Themen der Zeit auch mit bedenken. 

SK: Die Kunst ist frei und ich finde das ganz schwierig Inhalte mit staatlichen Vorgaben zu verknüpfen. Also im Filmbereich funktioniert das so, dass einfach nochmal so ein extra Topf ist, wo man dann in manchen Bundesländern Geld abgreifen kann, wenn man sich an diese Vorgaben des Grünen Drehpasses hält. Da gibt es dann so ein Zusatzbonus. Aber die Gesamtförderung wird nicht abhängig davon gemacht, ob man die Vorgaben erfüllt oder nicht. Und das halte ich auch für wichtig, weil ich glaube, wenn man da politisch Leitlinien einzieht, und sei es „jede Kultur muss sich gegen Rechtsradikalismus und für die Demokratie engagieren“ oder sei es „jede Kultur muss sozial und ökologisch nachhaltig werden“, das widerspricht zumindest meiner persönlichen Auffassung von einer Kunstfreiheit.

VH/TT: Das ist natürlich vollkommen klar, dass die Kunstfreiheit nicht angetastet werden darf. Aber wäre es möglich einen extra Fördertopf einzurichten, wo man wie eine Art Belohnung bekommt, wenn man sich mit dem Thema Nachhaltigkeit befasst? Und das nicht rein inhaltlich, sondern eben auch als Haus im Gesamten.

SK: Das müsste dann glaube ich ein Bundestopf sein. Weil wir ein bundesweites Siegel bräuchten. Weil die Länder nicht alle gleich leistungsfähig sind im einen kriegt man drei-Mark-fuffzig und im anderen kriegt man 10.000 Euro. Das ist ja eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und keine Aufgabe vom Saarland oder so.

VH/TT: Wie kann ein positives Narrativ entwickelt werden, das ohne moralischen Fingerzeig und Vorwürfe auskommt? 

SK: Ich glaube das funktioniert eigentlich so, wie das gerade läuft ganz gut. Keiner will Fliegen oder Autos abschaffen, aber alle finden Green New Deal hipp. In der Filmbranche fühlt sich keiner „gezwangsvermülltrennt“, aber alle finden Flight-Shaming gut. Also ich glaube der Schlüssel ist tatsächlich einfach der gesellschaftliche Trend, der dieses sehr schwammige „Ich will nachhaltig sein“ sexy macht, so dass das gerade einfach alle wollen und mögen. Und deshalb fühlt sich dann da niemand angegriffen. Es ist gerade etwas sehr Erstrebenswertes und wenn wir dieses Momentum nicht nutzen, dann kann es auch sehr schnell sehr leicht zu spät sein. Also im Moment würde keiner sagen, „oh Gott, wenn ich jetzt LED-Lampen anschaffen soll, dann bin ich in meiner künstlerischen Freiheit eingeschränkt.“ Sondern alle würden sagen „Mensch gut, dass wir endlich mal LED-Lampen kaufen.“ Und das ist einfach ein ganz anderes Narrativ und das ändert sich auch sehr, sehr schnell.

Aktuell steht die Gesellschaft Nachhaltigkeit sehr positiv gegenüber.

Und ob sich das ändert hat nicht so sehr was damit zu tun, ob tatsächlich Dinge erfüllt wurden oder nicht oder ob das noch dringend ist oder nicht, sondern damit, welche Debatten gerade dominieren. Man sieht das jetzt auch an Corona, wie die Debatten sich ändern, wie auf einmal Klimaschutz scheinbar keine Rolle mehr spielt, obwohl ja die Pariser Klimaziele, Gott sei Dank, weiter gelten. Was Robert Habeck immer so schön sagt „es gibt keinen Impfstoff für den Planeten.“… Also ich sag immer, wenn jetzt morgen Wahlen in Bayern sind und heute fliegt die Frauenkirche in die Luft, dann werden die Wahlen ganz anders ausgehen als wenn heute ein Atomkraftwerk in die Luft fliegt. Und deshalb muss man dringend dieses Momentum nutzen und eigentlich sollten alle Regierungen, wenn sie klug sind, egal wer regiert, darüber im Klaren sein, dass es ein großes Geschenk ist, dass die Bevölkerung da gerade so hinter diesem wichtigen nachhaltigen Umbau steht. Und das sollte man jetzt nutzen. Weil wenn man das erst macht, wenn es keinen interessiert, dann muss man da mit viel größeren Widerständen kämpfen, bei den Betroffenen selbst. Und dann macht das auch viel weniger Sinn als jetzt.

VH/TT: Vielen Dank für das Gespräch!

Logo Bayerischer Landtag Sanne Kurz Grüne Fraktion Bayerischer Landtag Kultur Film

„Kleine Anfrage“ – AzP „Ansprechperson im Staatsministerium für Digitales zum Thema sozial-ökonomische Nachhaltigkeit“

Ich frage die Staatsregierung, ob das Staatsministerium für Digitales eine Ansprechperson für die Belange der bayerischen Filmwirtschaft speziell zum Thema sozial-ökologische Transformation benannt hat, wenn ja, wie gestalten sich die Aufgabenfelder und Zuständigkeiten, wenn nein, ist es geplant, dass eine solche Ansprechperson benannt wird?

Zur Antwort geht’s hier:

Ansprechperson im Staatsministerium für Digitales zum Thema sozial-ökonomishe Nachhaltigkeit