NS-Raubgut
In vielen bayerischen Museen, Sammlungen und Archiven befinden sich immer noch unzählige Objekte, die jüdischen Menschen oder anderen von den Nazis verfolgten Personen unrechtmäßig entrissen oder aber von den Opfern oder deren Angehörigen aus Not oder unter Zwang verkauft bzw. an Dritte überschrieben wurden. Nicht immer wurden Gemälde „von Nazis von der Wand gerissen“. Nein, es wurde auch weitergegeben und versteckt und dann von Dritten oder Vierten verkauft, es wurde auch Flucht finanziert oder ein Leben im lebensrettenden Exil, oder es kamen auch Angehörige nach Verfolgung, Deportation, Enteignungen zurück in ein Zuhause, das einst ihnen gehörte – und das Zuhause war leer. All das gab es, all das gibt es. Es ist praktisch unmöglich in ein deutsches Museum zu gehen und nicht auch Werke zu sehen, deren Geschichte mit Schmerzen verbunden ist. Uns als Land der Täter stünde es gut an, voranzugehen. Voranzugehen mit einem Kompass in der Hand, der uns auch moralisch Richtschnur ist.
Der NS-Raub wurde nach dem Krieg als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Und er ist gigantisch: „Die Deutschen stahlen zwischen 1933 und 1945 600.000 Objekte, davon 200.000 innerhalb von Deutschland und Österreich, 100.000 in Westeuropa und 300.000 in Osteuropa“, so Jonathan Petropoulos, Historiker und Mitglied der Presidential Advisory Commission on Holocaust Assets in den USA, bei einer Anhörung zum Thema Raubkunst im US-Haushalts-Ausschuss des US-Kongress‘. Nach dem Krieg wurden in deutschen „Depots“, also in Minen, Burgen und an anderen Lagerorten, 5 Millionen Objekte gefunden, so die Fachleute in der Anhörung weiter. Beherztes Engagement der US-Militäregierung schuf noch 1945 im besetzten München einen „Central Art Collecting Point„.
Ein Viertel Jahrhundert Mühen mit wenig Erfolg
Erste Ziele zum besseren Umgang mit NS-Raubgut, insbesondere aus jüdischem Besitz, wurden bereits 1998 anvisiert und in der „Washingtoner Erklärung“ festgehalten. Dass es fünf Jahre dauerte, bis sich Bund, Länder und Kommunen 2003 auf die Einrichtung einer Institution zur Umsetzung einiger Ziele der Wahsingtoner Erklärung einigten, muss uns beschämen. Trotzdem war die Beratende Kommission NS-Raubgut immerhin ein erster Versuch der Einrichtung von Mechanismen zur Klärung strittiger Eigentumsfragen.
Dass die Beratende Kommission bereits mit ihrer Gründung an Konstruktionsfehlern krankte, ist das eine. So können bis heute weder die Seite der Ansprüche stellenden Personen die Kommission alleine anrufen. Die Seite, die aktuell betreffende Kunst und Kulturgüter verwahrt, muss immer in eine Befassung einwilligen. Außerdem haben die Empfehlungen der Kommission keine Bindung. Die große Chance war aber, dass es nicht nur eine juristische, sondern auch eine ethisch-moralische Betrachtung gibt und gab. Wir alle wissen: Recht und Gerechtigkeit sind nicht das Gleiche und schon gar nicht dasselbe. Weltweit gibt es auch viele auf Moderation und Einigung ausgelegte Ansätze des Umgangs mit NS-Raubgut. Oft geht es Hinterbliebenen oder Erbinnen und Erben nicht darum, reich zu werden. Nachkommen sind beispielsweise weit verzweigt – und viele. Immer aber geht es um eine Anerkennung von Leid, ein Eingeständnis von Schuld, ein um Vergebung Bitten, ohne dass man Geschehenes im wahrsten Wortsinne „ent-schuldigen“ und so frei von Schuld machen könnte.
Schiedsgericht: Fotschritt und Rückschritt
Mit ambitioniertem Anpacken des Bundes hat man 2024 auch juristisch einen ersten Schritt gemacht: Ein Schiedsgericht soll dank „stehender Angebote“ einseitig anrufbar sein. „Stehendes Angebot“ bedeutet, die das Kulturgut verwahrende Stelle – Kommunen, Bundesländer, die Bundesrepublik – willigt dauerhaft ein, sich dem Spruch des Schiedgerichts zu unterwerfen, das Angebot des Bundes, der Länder und Kommunen „steht“ also. Dadurch können Anspruch stellende Personen quasi einseitig die Kommission anrufen. Der Teufel steckt aber im Detail: Liest man das Kleingedruckte der Vereinbarung zur Errichtung des Schiedsgerichts, wird deutlich, dass vieles, von dem der gesunde Menschenverstand sagen würde „das ist Raubkunst“, in Zukunft nicht mehr so eingeordnet werden könnte. Denn etliches, das man in den Wahsingtoner Prinzipien und den 2024 befestigten „Best Practices“ dieser Prinzipien findet, taucht im Kleingedruckten des Schiedsgerichts gar nicht als NS-Raubgut auf.
Wenn man dann weiß, dass ein Schiedspruch bindend ist, nirgendwo Revision eingelegt werden kann und dass Kunstminister mit großen NS-Raubkunst-Cases sich schon freuen und die ja immer noch bestehende Beratende Kommission auch in laufenden Fällen gar nicht mehr anrufen wollen, dann bekommt das alles ein G’schmäckle.
Bayern kann bereits hier und heute handeln!
Denn Bayern könnte hier und heute handeln. Für Bayern wäre so ein Handlungsfall etwa der Fall von Picassos „Madame Soler“: Die Staatsgemäldesammlung befürwortete hier zunächst die Einwilligung in eine Prüfung durch die Beratende Kommission, zog diese Befürwortung dann aber zurück, das Staatsministerium prüfte kurzerhand selbst und kam – praktisch! – zu dem eigenen Schluss „keine Raubkunst“! Das ist in etwa so, als würde man bei einem Nachbarschaftsstreit um einen Grenzverlauf und einen vergrabenen Schatz den Nachbarn, bei dem der Schatz liegt, ein Gutachten schrieben lassen, wo die Grenze liegt.
Und dann gibt es noch Handlungsmöglichkeiten im Fall Flechtheim. Vom Geschwisterpaar, das hier Ansprüche erhebt, ist jüngst die Schwester mit 96 Jahren hochbetagt kinderlos verstorben. Der Bruder, ebenfalls kinderlos, ist schwer krank. Die Süddeutsche Zeitung deckte im Artikel „Klee, Picasso und die ablaufende Zeit – Die Erben des legendären jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim ringen mit Bayerns Kunstminister Blume um drei große Kunstwerke. Verschleppt er die Rückgabe?“ auf, dass sich auch hier selbst die Staatsgemäldesammlung klar für Restitution aussprach. Die betreffenden Objekte stammten aus demselben Konvult wie mehrere weltweit bereits restituierte Objekte, die Washingtoner Prinzipien sind ebenfslls sehr klar – und die CSU blockiert, verschleppt, will das Schiedsgericht abwarten?!
Unwürdige Verzögerungstaktik der Staatsregierung
Ja, es scheint, als spiele die bayerische CSU-FW-Staatsregierung auf Zeit. Denn Kultur ist Ländersache, und längst könnte Bayern vorangehen, um ganz ohne Winkel-Advokatentum und statt dessen mit klarem moralischen Kompass zu handeln! Die Energien in die Hilfe für die Opferseite stecken, statt in juristische Winkelzüge; die Chancen des Haushaltsrechts ausloten, statt die Risiken; zentrale Servicestellen schaffen, statt Abwehrmechanismen fördern; unabhängige Forschung unterstützen, statt sogar zu positiven Ergebnissen kommende hausinterne, abhängige Forschung mundtot zu machen; ein stehendes Angebot abgeben, statt sich selbst zu beweihräuchern und auf Zeit zu spielen; all die vielen Kommunen, die auch stehende Angebote abgeben müssen, dazu befähigen und darin unterstützen, alle staatseigenen und geförderten Stellen der Pflicht zum stehenden Angebot unterwerfen, statt immer weiter Hase und Igel zu spielen in einem schmutzigen Spiel, in dem uns Demut gut zu Gesicht stünde.
Schiedsgericht ist ein wichtiger Schritt in Richtung faires, juristisch verbindliches Verfahren auch für privates Kulturgut verwahrende Stellen – aber der moralisch gebotene Umgang bleibt offen.
Dabei ist Deutschland moralisch und durch internationale Abkommen zur Rückgabe von NS-Raubgut verpflichtet. Juristisch zumindest bewegt sich etwas: Ab 2025 wird ein Schiedsgericht über die Rückgabe von geraubtem Kulturgut und Entschädigungszahlungen entscheiden. Ein solches Schiedsgericht sorgt dafür, dass Verhandlungen über die Rückgabe eines Objekts auch beginnen können, wenn nur die Erben darüber sprechen wollen. Das war bisher nicht möglich. Und das wird möglich durch das „Stehende Angebot“.
Nie wieder unwissend vor Objekten, Gegenständen, Bildern stehen, die ohne NS-Verfolgung nicht ins Museum gekommen wären. Wie wunderbar wäre das? Jede Anstrengung zur Restitution oder zur Klärung von Ansprüchen im Sinne der Erbinnen und Erben und in Erinnerung an die Opfer ist daher ein wichtiger Schritt, der nicht nur den Betroffenen und NS-Verfolgten, sondern auch uns als Gesellschaft, als Ganzes zugutekommt. Trotzdem muss mehr passieren. Das sind wir einem verantwortungsvollen Umgang mit unserer Geschichte schuldig.
Anlaufstelle auch für Privatpersonen
Wir Landtags-Grüne sind schon seit längerer Zeit am Thema NS-Raubkunst und Restitution dran und fordern von der Staatsregierung, ihrer Verantwortung gerecht zu werden – auch moralisch. Dazu gehört auch eine zentrale, institutionsübergreifende, unabhängige Beratungsstelle zur Klärung von Provenienzansprüchen, an die sich Privatpersonen wenden können, die Unterstützung und Hilfestellungen benötigen, um ihre Ansprüche rechtlich geltend zu machen. Bayern muss hier die nötige Hilfestellung für Betroffene und deren Nachkommen leisten, damit – wenn auch spät – endlich Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen gewährleistet wird. Denn die Nachkommen der Opfer leben oftmals nicht in Deutschland, haben oft weder Kenntnisse in deutscher Sprache noch in bayerischen Verwaltungsstrukturen – und haben es dementsprechend schwer, etwaige Ansprüche geltend zu machen und durchzusetzen. Selbst NS-Verfolgte in der jungen Bundesrepublik kamen oft zurück dorthin, wo einst ihr Zuhause war – und fanden es leer vor. Wo anfangen und Objekte suchen? Eine zentrale bayerische Anlaufstelle, die Betroffene berät und begleitet, sie durch das Bürokratie-Dickicht führt, ist notwendig und wäre bundesweit Leuchtturm und Vorbild für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Opfern, den Angehörigen und den Hinterbliebenen der Greueltaten der NS-Diktatur – endlich auch beim Thema NS-Raubgut.