Axt angelegt an der Vielfalt der Kultur in Bayern: Ein offenes Wort zum Begleitausschuss um Zuge der dauerhaften Benachteiligung der Kultur in der Pandemie im Kulturstaat

„Axt angelegt an der Vielfalt der Kultur in Bayern“ – Offener Brief an den Bayerischen Staatsminister für Wissenschaft und Kunst

Axt angelegt an der Vielfalt der Kultur in Bayern: Ein offenes Wort zum Begleitausschuss im Zuge der dauerhaften Benachteiligung der Kultur in der Pandemie im Kulturstaat

Sehr geehrter Herr Staatsminister Sibler,
lieber Bernd,


es war ein kluger Schachzug, die Protestierenden einzuladen. Ihnen im Ministerium ein Forum zu geben, nicht nur Verbände, sondern auch Einzelpersonen, die im Zentrum des Aufbegehrens gegen die sich stetig enger ziehende Schlinge um den Hals der Kultur in Bayern stehen, zu hören. – Ja, Hilfe wird besser, wenn man miteinander redet. Aber wo hören wir noch die starke Stimme der Kultur, wenn sie sich nur noch in einem Hinterzimmer zur Wehr setzt?

Wenn sich in einer einseitigen, intransparenten Dynamik die eine Seite einladend gibt und den Takt der Termine und Treffen bestimmt, die andere Seite gefangen zwischen vermeintlichen Mitbestimmungsrechten, die nirgends verbrieft sind, Treffen, deren Protokolle und Absprachen nicht öffentlich sind, und der Angst, schlicht gar nicht mehr gehört und gefragt zu werden, gefangen ist, dann verstummt Protest und öffentlicher Diskurs. Protest nur noch im „Begleitausschuss“, dem König der Runden Tische? Wer darf da rein und mitmachen? Wer muss draußen bleiben? Wer entscheidet über rein und raus? Welche Rechte hat der Ausschuss? Wurde der Name so gewählt, um demokratische Mitbestimmung vorzugaukeln? Oder hat man es erfolgreich geschafft, Gegenwehr von den Straßen und Titelseiten in die warmen Konferenzsäle zu schaffen?

Die Mehrheitsverhältnisse sind klar auf Seiten der Betroffenen. Verbände wie Einzelpersonen – Künstlerinnen und Künstler, Veranstalterinnen und Veranstalter – stellen die Mehrheit im ministeriellen Begleitausschuss. Es ist gut, dass die Akteurinnen und Akteure institutionalisiert auf höchster Ebene Gehör finden und einbezogen werden. Sie brauchen aber auch Rechte. Sie brauchen einen kämpferischen, durchsetzungsstarken Fürsprecher. Denn wo am Ende doch der Apparat und die Staatsregierung entscheiden und die Gehörten keinerlei Entscheidungsbefugnisse haben, braucht es im Gegenzug eine laute Stimme des Anwalts der Kultur:

Ich erwarte und fordere, dass sich ein Kunst-Minister als eben dieser oberste Anwalt für die Kultur in seinem Land, die Kultur in Bayern, in die Bresche wirft, an vorderster Front kämpft, sich für seine Sache, die Kultur im Kulturstaat Bayern, stark macht!

Dazu gehört es für mich unbedingt zu verhindern, dass Baumärkte zuerst öffnen, dass 2G+ bei 25% Belegung im Theater im 1. OG gilt bei gleichzeitigen 2G und 100% Belegung in der Theaterkneipe im EG, dass in Ski-Gondeln, weniger strenge Regeln gelten als bei Märchen-Performances am Lagerfeuer für Kinder und Jugendliche, als bei Lesungen im Park oder performativen Video-Walks, die sich „Führung“ statt „Kunst“ nennen müssen, damit sie mit weniger strengen Regeln stattfinden dürfen.

Kämpfen denn hier im Kulturstaat Bayern nur andere Kabinettsmitglieder für ihr Ressort? Oder ist es der Ministerpräsident, an dem es scheitert und dem Kultur schlicht egal ist?

Wie sonst ist es erklärlich, dass Freizeitparks laut Pressemitteilung vom 14.12.2021 sogar innen – innen! – mit 2G öffnen dürfen und keineswegs nur 25% des Publikums einlassen dürfen? Was heißt es für einen Kulturstaat, dass Werbeveranstaltungen mit 2G durchgeführt werden dürfen bei 100% Auslastung, Kultur aber mit 2G+ und 25% Auslastung gegängelt und in den wirtschaftlichen Ruin getrieben wird? Und nein, die Geistertickets decken gerade bei kleinen Kulturveranstaltungen nicht die gigantischen Löcher im Weihnachtsgeschäft ab, die die Pandemie wie klaffende Wunden nun schon den zweiten Winter ins Herz unserer kulturellen Vielfalt in Bayern reißt.

Ist dem Ministerpräsidenten unsere Verfassung, gerade erst 75 Jahre alt geworden, schnuppe? Oder haben wir es mit einem CSU-FW-Kabinett zu tun, wo sich nur das Wirtschaftsministerium Gehör verschaffen kann und der Kunstminister Wogen glättend, tröstend und erklärend durchs Land zieht?

Du siehst, mir ist wirklich der Geduldsfaden gerissen. Die Lage ist dramatisch. Für das so wichtige Weihnachtsgeschäft kommt jede Hilfe zu spät. Selbst auf Bundesebene – noch ohne Kultur in der Verfassung – hat es die Kunstfreiheit in die Debatte zum Gesetzentwurf geschafft (1). Auch auf europäischer Ebene wird die Kultur als Bildungsort, aber auch als Lebenselixier einer Gesellschaft, die für die einen Kraft gibt wie Religion für die anderen, möglichst gleich gestellt, jedenfalls aber nicht permanent schlechter gestellt.

Ihr Kunstministerinnen und Kunstminister übernehmt als Anwaltschaft die Verteidigung der Kultur! Das ist Eure Aufgabe und Pflicht! Die französische Kulturministerin Roselyne Bachelots forderte Ende November 2021 mit Verschärfungen und Eintreffen der fünfte Welle die Menschen Frankreichs auf, „in die Kulturstätten zu gehen, denn man braucht Kultur, Aufführungen und Kino, um bei guter Gesundheit zu sein“.

Der geschätzte bayerische Kunstminister a.D. Hans Maier forderte in seiner Rede am Königsplatz zur Lage der Kultur, es „müssen sich ihre Freunde in der Öffentlichkeit zu Wort melden. Sie müssen zum Aufstand blasen.“ Er sprach von „Ludwig I., der mit seinen Festplätzen, Monumenten und Sammlungen das moderne Bayern geprägt hat.“ – wie prägt Dr. Markus Söder das Land? Mit Freizeitparks und Skilift-Gondeln, die auch im Innenbereich weniger Infektionsschutzauflagen haben als Kultur im Außenbereich?

Jetzt ist nicht die Zeit des Anträge Schreibens und des parlamentarische Routinen Abwartens. Es brennt.

Wenn die Verwaltungsvorschriften enthalten, was die Pressemitteilung verspricht, ist die Axt an der kulturellen Vielfalt Bayerns angesetzt. Bitte sei Anwalt der Kultur und hilf mit, das zu verhindern.

Herzlichst grüßt

Sanne Kurz

(1) https://dserver.bundestag.de/btd/20/002/2000250.pdf