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Warum ein Kopftuch Neutralität nicht in Frage stellt

Am Freitag, dem 07.05.2021, hat der Bundesrat einem Gesetz zugestimmt, das das Erscheinungsbild von Menschen im Staatsdienst regelt. Schaut man auf die Fälle von rechtsextremen Tattoos im Staatsdienst, scheint das erst mal eine gute Idee. Allerdings kann das Gesetz auch Auswirkungen auf das Tragen von religiösen Symbolen haben – wie Kopftuch, Kippa und Co. Und das ist ein riesengroßes Problem.

Eine befreundete Mama aus der Kita meiner Jüngsten ist IT-lerin. Ich habe sie mal gefragt, ob sie als Frau im Bereich IT genauso leicht Jobs findet wie Männer, oder ob sie da schon Diskriminierung kennen gelernt hat. Sie meinte: „Weißt Du, ich heiße Hacer mit Vornamen. Alle Deutschen denken, ich bin ein Mann. Ein Foto kann ich eh nicht mit schicken!“ – sagte sie, lachte und zeigte auch ihr Kopftuch. Das das ein Problem ist, dass sie das nicht kann, zeigt ein absurdes und unnötiges Gesetz, das gerade durch den Bundesrat ging.

Wir brauchen Vielfalt im Staatsdienst

Beamtinnen und Beamte sollen die Pluralität unser demokratischen Gesellschaft abbilden. Dazu zählen zum Beispiel verschiedene Sexualitäten, Religionen und Nationalitäten. Von echter Vielfalt im Staatsdienst können wir derzeit allerdings nicht sprechen: Nur 14,8% der Beamt*innen in Deutschland haben zum Beispiel einen Migrationshintergrund. In meinem Stimmkreis Ramersdorf-Perlach gibt es eine große Vielfalt an Nationalitäten. Von 118.260 Menschen im Viertel hat jede dritte Person einen einen ausländischen Pass. Die Menschen im Stadtbezirk fühlen sich verschiedenen Konfessionen zugehörig – oder auch keiner! Ich bin der Meinung, dass, ob und was jemand glaubt, keine Einschränkung bei der Berufswahl haben darf! Umso unfassbarer erscheint mir das Gesetz, dass am vergangenen Freitag den Bundesrat passiert hat.

Das „Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften“ wurde am 21.04.21 im Bundestag beschlossen und nun vom Bundesrat gebilligt. Um was geht’s genau? Durch das neue Gesetze soll das äußerliche Erscheinungsbild von Beamtinnen und Beamten durch Verbote reglementiert werden.

Es geht um viel mehr als um Tattoos – Darum lehnen wir Grüne das Gesetz ab

Wir Grüne haben uns im Bundesrat enthalten und deutlich Kritik am Gesetz geäußert. Warum? Definitiven Handlungsbedarf sehen wir hinsichtlich Tattoos, wenn diese das Vertrauen in eine neutrale Amtsführung von Beamt*innen beeinträchtigen. Ein Beispiel: Fast 10 Jahre lang lieferten sich ein ehemaliger Berliner Polizeibeamter und das Land Berlin einen Rechtsstreit, ob der Mann wegen seiner rechtsextremen Tattoos aus dem Dienst entlassen werden dürfe. An diesem Tattoo-Fall zeigt sich, dass eine bundesweite Regelung sinnvoll ist.

Das Problem am neuen Gesetz ist jedoch, dass es weit über die Tattoo-Frage hinausgeht. Denn es bezieht sich auch auf Kleidungsstücke mit weltanschaulichem oder religiösen Hintergrund. Das Tragen von religiös konnotierter Kleidung kann verboten werden, wenn es gegen die Neutralität verstößt. Demnach können, je nach Wertung, auch Kopftuch- und Kippaverbote gestützt werden – und laut Begründung scheint auch genau das vom Bundesinnenministerium intendiert zu sein. Zwar kann das Gesetz durch Rechtsverordnung oder Landesrecht noch konkretisiert werden, aber es ist als allgemein geltende Verhaltenspflicht formuliert.

Warum dieses Gesetz dem Bundesverfassungsgericht widerspricht

Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem vergangen Urteil bereits 2015 klargestellt, dass ein Kopftuch allein kein Indiz für eine Distanzierung von den Werten der Verfassung ist. Nur dann, wenn noch andere Faktoren eine Rolle spielen, kann man hier von fehlender Neutralität der Beamt*innen sprechen. Damit verstößt das Gesetz klar gegen die im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit.

Besonders kritisch ist auch, dass eine Regelung mit einer solchen verfassungsrechtlichen Tragweite ohne breite vorherige Diskussion und durch einen sehr kurzfristig von CDU/CSU und SPD präsentierten Änderungsantrag vorgelegt wurde. Im Bundestag gab es dazu keine Debatte und keinen einzigen Redebeitrag. Dabei wäre eine breite gesellschaftliche Diskussion auf jeden Fall nötig gewesen – schließlich können mit diesem Gesetz zahlreiche Menschen – vor allem muslimischen Glaubens – vom Staatsdienst ausgeschlossen werden. Und so kann sich jetzt einmal mehr das Kopftuchverbots-Gespenst in die öffentliche Debatte schleichen.

Widerstand gegen das Gesetz gab es auch im Netz

Die Frankfurter Jurastudentin Rabia Küçüksahin hatte eine Online-Petition gegen die Verabschiedung des Gesetzes gestartet. Ziel der Petition war es, den Bundesrat dazu zu bringen, seine Zustimmung zu verweigern und so das Gesetz zu stoppen. Zudem fordert die Petition mehr Vielfalt in der Beamtenschaft. Mittlerweile haben schon über 170.000 Menschen unterschrieben. Das Ziel ist so klar wie gut: Um rechtsextreme Tattoos zu verbieten, darf die Beschneidung von Diversität im Staatsdienst nicht der Preis sein!