Alice Guy Blaché_Filmemacherin_Filmstudio-Besitzerin_Pro_Quote_Frauen_women filmmakers

#wirwarenimmerda – warum ARTEs Erklärung, die den Frauen-Kurzfilmwettbewerb retten will, leider nicht hilft

Sicher wisst Ihr, dass ich Filmemacherin bin. Momentan ist gerade wenig Zeit dafür, aber 25 Jahre Filme Machen – das bleibt. Als Filmemacherin ist man an der Filmhochschule von vielen Kolleginnen umgeben. Frauen stellen knapp über die Hälfte der Studierenden. Dann, bis zum 2. oder 3. Film, ist man entweder selber weg, oder die Kolleginnen sind weg – oder: beides.

Denn Frauen werden in der BRD seltener gefördert, bekommen seltener Senderaufträge, bekommen weniger öffentliche Mittel, bekommen weniger diverse Rollen und werden dort, wo man sie in Crews anstellt, schlechter bezahlt. Oft, weil sie nicht die Kamerafrau oder die Tonmeisterin sind, sondern in Bereichen arbeiten, die schlechter bezahlt sind, z.B. in „weniger wichtigen“ (= schlechter bezahlten) Bereichen oder nicht eingesetzt als HoD / Head of Department – oder: weil sie für die gleiche Arbeit weniger Geld bekommen. Denn den Gender-Pay-Gap gibt es auch beim Film. Leider.

ARTE hatte jetzt eine tolle Idee: Wenn wir so wenige Filmemacherinnen haben, machen wir doch mal einen Wettbewerb für sie! Vielleicht zu einem Thema… hm… irgendwas mit Frauen! Ja, genau:

„Unbeschreiblich weiblich“-Wettbewerb löst Proteststurm aus

Unbeschreiblich weiblich, das wäre doch was! – Liebes ARTE-Team: Kein Wunder, dass sich hier gerade alle Frauen, die Filme machen, sehr, sehr ärgern. Zu Recht! Denn #wirwarenimmerda! (Wer den Offenen Brief an ARTE der Initiative #nichtmeintatort lesen will und/oder sich an der Protestaktion beteiligen -> hier lang)

Wir Frauen stellen schon immer die Hälfte der Bevölkerung, seit langem die Hälfte der Studierenden und quasi seit Ewigkeiten machen wir auch Filme!

Wie bekommt Ihr Filme von Frauen, liebes ARTE-Team? Bei 100 Stoffideen, die über den Schreibtisch wandern, und 10 Filmen, die man machen möchte, solltest Du, liebes ARTE-Team, 5 Stoffe von Frauen umsetzen.

Oder, auch eine gute Idee: Von jedem Euro, den Du für Produktionen und Lizenzen ausgibst, 50 Cent an Frauen geben. Dazu müsstest Du Dich ein wenig umsehen, liebes ARTE-Team, bissi schau’n. Aber eigentlich, ja:

So einfach ist das!

Damit nicht einfach alte, christliche, heterosexuelle, nicht-behinderte, weiße Männer durch alte, christliche, heterosexuelle, nicht-behinderte weiße Frauen ersetzt werden, könntest Du, liebes ARTE-Team, wenn Du schon mal dabei bist, Dir über die Verwendung öffentlicher Mittel für alle Menschen der Gesellschaft Gedanken zu machen. Dabei könntest Du z.B. das Diamond System des Creative Diversity Network einsetzen – just an idea. Viele große Sender nutzen das bereits.

Alte, christliche, heterosexuelle, nicht-behinderte, weiße Männer?!

Bei dem Diversitäts-System geht es grob gesagt darum, alle Aspekte gendergerecht und divers hinzubekommen. Es geht darum:

  • wer die Filme macht, also nicht nur, wer Regie führt, sondern auch wer Kamera, Ton, Drehbuch, Produktion u.v.a.m. macht, und wie diese Menschen jeweils bezahlt werden
  • wer vor der Kamera zu sehen ist und wessen Geschichten wir sehen, also Haupt- und Neben-Rollen sowie Protagonist*innen
  • wessen Geschichten wir erzählen, was also unsere Inhalte sind
  • wen wir erreichen, wohin unsere Produktionen also ausstrahlen, und wer sie nutzt
  • Das Ganze muss man nicht als „soll“ und „kann“ aufziehen, sondern einer Dokumentation und einem Monitoring unterziehen, damit es wirkt. Gilt übrigens auch für Filme von Frauen, über Frauen, mit Frauen – messen und verbessern.

Generell aber: 1€ ausgeben, 50 Cent davon für Frauen. So einfach ist das. Mit 50/50 anfangen, wäre mal ein erster Schritt. Mit einem Kurzfilmwettbewerb („Nenne 10 Personen, die mit Kurzfilmen ihren Lebensunterhalt verdienen!“ Halt… war nur ein Witz!) zu dem Thema „Unbeschreiblich weiblich“ bringt man sicher nicht die 50% der Filmhochschulabsolventinnen der letzten 10, 20, 30 Jahre in Arbeit und Brot, die jeden Tag aufs Neue versuchen, mit ihren Dokumentarfilmen sich und ihre Familien zu ernähren.

Warum nur zeichnet sich Realität bisher nicht auf Bildschirmen ab?

Du erklärst, liebes ARTE-Team, ganz richtig:

Fakt ist, dass viel zu wenig Dokumentarfilme von Frauen auf ARTE gezeigt werden. Ganz besonders gilt dies für die Primetime. Und das, obwohl viele extrem talentierte und sehr engagiert arbeitende Filmemacherinnen sich an Journalismus- und Dokumentarfilmschulen ausbilden lassen.

ARTE Kurzfilmwettbewerb für Regisseurinnen

Dass Du, liebes ARTE-Team, mit der Schlüssel zum Problem bist, erkennst Du nicht. Denn weiter fragst du:

Warum nur zeichnet sich diese Realität bisher nicht auf den Bildschirmen ab? Und welche Bedeutung kann dem Genre Dokumentarfilm beigemessen werden, wenn es den weiblichen Blick nicht ausreichend miteinbezieht?

ARTE Kurzfilmwettbewerb für Regisseurinnen

Das fragen wir Filmemacherinnen uns auch. Und schlagen vor, dass Du, liebes ARTE-Team, einfach in Zukunft 50% Deiner Ausgaben in weibliche Produktionen steckst. Wir freuen uns auf Dich und Deine Anfragen!

50/50 – Dann klappt es auch mit dem weiblichen Blick.

Apropos weiblicher Blick: Leserinnen erkennen vielleicht die Dame im Bild. Sie heißt Alice Guy Blaché. Filmemacherin! Frau! Sie lebte 1873-1968 und war Erfinderin, Innovatorin, eine der ersten Regisseurinnen, erste weibliche Studiobesitzerin.

Die Ideen zur Gleichstellung sind alle da. Man muss nur wollen.

Seither gab es sehr, sehr viele Frauen. Gibt es sehr, sehr viele Filmemacherinnen. Weitere kostenfreie Ideen: Festivals auffordern, auf Gendergleichgewicht zu achten, Förderungen auffordern, gendergerechtes Budgeting und Quotierungen einzuführen, auf Verbände von Filmemacherinnen zugehen (PQF, WIFTG, DigitalMediaWomen, Cinematographinnen, WomenInMedia u.v.a.m.) und um Kooperationen bitten, an der ARTE-Spitze die „Gläserne Decke“ aus Beton sprengen und Präsidentinnen ernennen oder zumindest paritätisch besetzen und nicht in 2021 mit *null* Frauen an der Spitze versuchen, einen Stich zu machen – und und und.

Auch eine Präsidentin würde ARTE sehr gut tun.

P.S. – Deine Presseerklärung zur Klarstellung der Intention des Kurzdokumentarfilmwettbewerbs „Regisseurin gesucht!“ – ARTE-Statement haben wir wohl gelesen. Es scheint, Du verstehst nicht, liebes ARTE-Team, dass wir Filmemacherinnen schon immer da waren, nicht erst gesucht werden müssen und: keine Peanuts wollen, sondern die Hälfte Deiner Screentime und die Hälfte Deines Geldes – und die Hälfte Deines Präsidiums!


Weiterlesen:
Frankfurter Rundschau vom 11.11.2020: „Seit 1896“
Homepage der Initiative #Wirwarenimmerda
Homepage von Pro Quote Film


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