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Kunst ist kein nachrangiges Grundrecht

Wenn der Museumsshop auf hat, das Museum aber zu, ist es Zeit, an unsere Verfassung und die darin garantierte Kunstfreiheit zu erinnern.

Bereits vor dem Lockdown Light galten für Kulturveranstaltungen deutlich härtere Einschränkungen als für andere Bereiche des täglichen Lebens. Wer von einem Kongress kam (10qm/Person), mittags schnell ein paar Kleinigkeiten einkaufte (10qm/Person), hernach mit anderen Gästen noch zum Essen ging (unbeschränkte Personenzahl), um den Abend im Theater ausklingen zu lassen (200, zuletzt 50 Personen), der*die stellte fest, dass nur für die Kunst pauschale Beschränkungen galten.

Kunst und Kultur mit Bordellen oder Spielhallen in einen Topf werfen? – Das muss aufhören!

Vom aktuellen generellen Veranstaltungsverbot ausgenommen sind jedoch
„verfassungsrechtlich besonders geschützte Bereiche wie Gottesdienste und Demonstrationen“1. Zu Recht, denn in GG Art. 4 (2) ist zu lesen: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“

Die Kunstfreiheit ist kein nachrangiges Grundrecht!

In seinem „Mephisto“-Urteil zum Streit um den Roman von Klaus Mann hat das Bundesverfassungsgericht 1971 festgestellt, dass die Kunstfreiheitsgarantie in gleicher Weise den „Werkbereich“ und den „Wirkbereich“ des künstlerischen Schaffens betrifft. Beide Bereiche bilden eine unlösbare Einheit. Nicht nur die künstlerische Betätigung (Werkbereich), sondern darüber hinaus auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks sind sachnotwendig für die Begegnung mit dem Werk als einem ebenfalls kunstspezifischen Vorgang; dieser „Wirkbereich“, in dem der Öffentlichkeit Zugang zu dem Kunstwerk verschafft wird, ist der Boden, auf dem die Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG vor allem erwachsen ist.2 Die Kunstfreiheit bezieht sich also auch auf verfassungsrechtlich besonders geschützte Bereiche wie Theater- oder Konzertaufführungen.

Die Kunstfreiheit ist verfassungsrechtlich besonders geschützt.

Wesensmerkmal der Kunst ist ihre Diversität und Kleinteiligkeit. Anders als viele anderen Lebensbereiche hat sie nicht die „eine Stimme“, um sich mit ihrem Ruf nach Beachtung der Verfassungsgrundsätze Gehör zu verschaffen. Nach einem Brandbrief aller Staatstheater Bayerns nebst Philharmonie und Kammerspielen an die Bayerische Staatsregierung überlegen nun Kunstschaffende in Bayern erstmals, gegen die pauschalen Maßnahmen, die man ihnen strenger und früher als anderen auferlegt hat und die man für sie später als für andere gelockert hat, rechtlich vorzugehen.

Dabei wenden sie sich nicht in erster Linie gegen den Teil-Lockdown, sondern gegen die Einschränkung der Kunstfreiheit insgesamt in Abwägung der seit Pandemiebeginn ergriffenen Maßnahmen. Ob ein Eingriff in die Kunstfreiheit durch eine pauschale Deckelung der Publikumsgröße auf zuletzt 50 Personen insbesondere angesichts der positiven Ergebnisse der drei Pilotprojekte geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sei, möchten sie rechtlich klären lassen.

Wir Grüne haben seit Pandemiebeginn bereits mehrfach die Abkehr von
der pauschalen Deckelung gefordert, zuletzt gemeinsam mit allen
demokratischen Oppositionsfraktionen im Bayerischen Landtag. Die im
Raum stehende Initiative einer verfassungsrechtlichen Klärung begrüße
ich ausdrücklich.

Quellen:

  1. u.a. Bayerische Staatszeitung vom 2.11.2020
  2. BVerfGE 30, 173 <189>